Predigt über 1. Kor 6, 9ff
- 22.07.2018 , 8. Sonntag nach Trinitatis
- Pfarrer Hundertmark
Predigt über 1. Kor 6, 9ff am 8. So p. Tr., 22.7.2018, St. Thomas zu Leipzig um 09.30 Uhr und 18 Uhr
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Aus dem 1. Korintherbrief hören wir den Predigttext für den heutigen Sonntag. Er steht im 6. Kapitel.
„Oder wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden?
Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Lustknaben noch Knabenschänder
10 noch Diebe noch Habgierige noch Trunkenbolde noch Lästerer noch Räuber werden das Reich Gottes ererben.
11 Und solche sind einige von euch gewesen. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.
12 Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich.
13 Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise; aber Gott wird das eine wie das andere zunichtemachen. Der Leib aber nicht der Hurerei, sondern dem Herrn, und der Herr dem Leibe.
14 Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft.
15 Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind? Sollte ich nun die Glieder Christi nehmen und Hurenglieder daraus machen? Das sei ferne!
16 Oder wisst ihr nicht: Wer sich an die Hure hängt, der ist ein Leib mit ihr? Denn die Schrift sagt: »Die zwei werden ein Fleisch sein« (1. Mose 2,24).
17 Wer aber dem Herrn anhängt, der ist ein Geist mit ihm.
18 Flieht die Hurerei! Alle Sünden, die der Mensch tut, sind außerhalb seines Leibes; wer aber Hurerei treibt, der sündigt am eigenen Leibe.
19 Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört?
20 Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.“
Wegen solcher Texte, haftet dem Christentum immer noch das Etikett der Leib- und Sexualfeindlichkeit an. Einher geht das oftmals mit dem Vorwurf der Heuchelei.
Zur Situationsbeschreibung des Paulus sei nur kurz gesagt, dass die prosperierende Hafenstadt Korinth auch ein aufstrebendes Sexualgewerbe hatte. Zu unterscheiden gilt es dabei die Sklavenhuren in den Freudenhäusern und die freischaffenden, selbstständigen Häteren, welche besonders in den höheren gesellschaftlichen Kreisen beliebt waren. Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe zu haben war für einen Mann nicht anstößig, solange es nicht die verheiratete Partnerin eines anderen Mannes war. Umgekehrt galt das natürlich nicht. Und da tut sich schon ein großes Problem auf. Denn solches Denken aus rein männlicher Perspektive ist auch dem Paulus immanent.
Kann so ein Text fruchtbare frohe Botschaft werden, liebe Gemeinde? Das wird schwer. Denn schwer liegt auf ihm die Wirkungsgeschichte.
1.) Wenn der moralische Zeigefinger sich lächerlich macht
Wie viele Knaben wurden in den letzten zweitausend geschändet, weil eine leib-und sexualfeindliche Kirche jene Enthaltsamkeit zu verordnen versuchte, die doch wider die Natur des Menschen ist, der sich auch körperlich nach seinem Gegenüber sehnt?
Mag jemand das Leid zählen, das erduldet und ertragen wurde, weil eine Moralkirche die einmal geschlossene Ehe für unverbrüchlich erklärte und ihr Scheitern nicht nach außen sichtbar werden durfte?
Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen – dieses Sprichwort gilt auch und erst recht in Bezug auf Moralvorstellungen, die menschliches Versagen verdammen anstatt liebevoll wie Christus für einen anderen Weg werben. Aufgabe von Kirche heute ist es nicht, ihren Gemeindegliedern vorzuschreiben wann und mit wem sie Sex haben dürfen. Das ist und bleibt Privatsache. Aufgabe ist aber, darauf hinzuweisen, dass jegliche Beziehungen zwischen Mann und Frau oder Mann und Mann oder Frau und Frau in Freiheit und ohne Unterdrückung bzw. Abhängigkeiten geführt werden soll. Und das gilt sehr wohl auch für den Bereich der Sexualität.
2.) Unter dem Vorzeichen der Naherwartung gedeihen mancherlei Blüten.
Paulus hatte zahlreiche Gegner in der korintheischen Gemeinde. So sind die Verse zunächst als Abwehr gegen seine Gegner gedacht. Sie begegneten ihm mit einem falschverstandenen Libertinismus. Ihre Argumentation -wenn ich durch Christus frei bin, kann mir nichts schaden, also brauche ich mich auch an keine moralischen Vorschriften zu halten- ist für Paulus eine Anfechtung. Leider setzt er dem einen Extrem ein anderes entgegen –die enthaltsame Askese-, indem er im 7. Kapitel unter dem Mantel der Naherwartung die Ehe als reine Notgemeinschaft zur Befriedigung des Sexualtriebs ansieht, wenn er dort schreibt: Es ist gut für den Mann, keine Frau zu berühren. 2 Aber um Unzucht zu vermeiden, soll jeder seine eigene Frau haben und jede Frau ihren eigenen Mann.
Könnte es sein, dass Paulus ein etwas merkwürdiges Verhältnis zu Sexualität hat, welches einhergeht mit einem noch merkwürdigeren Frauenbild? Gewiss ist Paulus Kind seiner Zeit und Einflüsse wie auch Erlebnisse aus dem gesellschaftlichen Leben in Korinth haben seine Briefe geprägt. In der Hafenstadt gab es unterschiedliche Freudenhäuser. Lustknaben in sexueller Abhängigkeit galten als schick.
In seiner Argumentation nimmt Paulus hier leider nur die Position des freien, erwachsenen Mannes ein. Jegliche andere Perspektive, z. B. die in Not geratenen Frau, die aus wirtschaftlichen Gründen das Prostitutionsgewerbe ergreift oder eben genannte Lustknaben, die meist als Sklaven gehalten wurden, fehlt ihm.
Was aber noch viel problematischer ist, ist seine Argumentation in Bezug auf die Verbindung von Mann und Frau. Der Schöpfungsbericht beschreibt hier keine rein sexuelle Verbindung, sondern eine psychosoziale Einheit, zwischen zwei Lebewesen, die aneinander gewiesen sind. Das trifft auf den Besuch bei einer Prostituierten nicht automatisch zu. Die Befriedigung des sexuellen Bedürfnisses ist nicht gleichzusetzen mit einem ganzheitlichen Zusammengehen und Zusammenleben, wie es uns der Schöpfungsbericht über die Verbindung von Mann und Frau erzählt. Hier hinkt die Argumentation des Paulus gewaltig. Wohl deshalb wurden die Verse aus dem Predigttext herausgelöst.
3.) Wenn der Körperkult zur Seelenqual wird
Auf seinen Körper in besonderer Weise Acht zu geben hat Konjunktur. Natürlich ist der Körper wertvoll und muss gepflegt werden. Doch wie schnell wird aus sinnvoller Körperpflege und Körperfitness eine Vergottung des Körpers? Paulus stößt ein wenig in dieses Horn. Denn sein Wort vom Körper als dem geheiligten Tempel kann leicht in dieser Weise verstanden werden.
Zu ausschweifendes Leben schadet dem Körper. Das ist keine neue Erkenntnis. Wer aber aus seinem Körper einen Kult macht, bei dem wird die Seele Schaden nehmen. Denn spätestens dann, wenn erste Verfallserscheinungen zu beobachten sind, kommt alles, was Prioritäten hatte plötzlich ins Wanken. Wo das eigene Sein sich durch den perfekten Körper definiert, fehlt die Verankerung, wenn Krankheit jenen angreift. Auch der imperfekte Körper kann und wird Wohnung des Geistes sein. Lässt sich Gott nicht auch loben durch Lebensfreude, die sich auch im Körper zeigt?
4.) Dem Evangelium auf der Spur
Und da ist es dann doch zu finden, das Evangelium, die frohe Botschaft Gottes, die mir Freiheit gewährt und mich mit neuem Blick Gewohntes betrachten lässt. Gute Nachricht von der Liebe Gottes kann solch starke Kraft entwickeln, dass andere Dinge, die mich zu fesseln drohen, für das eigene Leben nicht mehr relevant sind. Paulus findet dafür die wegweisenden Worte im zwölften Vers, wo es heißt.
12 Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich.
Ohne diesen Vers könnte man den heutigen Abschnitt nur schwer predigen.
Liebe Gemeinde,
die entscheidende Frage ist, was hat über mich Macht? Sie darf ich mir täglich stellen. Als von Gott in die Freiheit des Glaubens und Lebens entsandter Mensch, wird mich nichts aus seiner Beziehung herausreißen können.
Das widerspricht zunächst der Argumentation des Paulus, die ja darauf abhebt, dass schon ein Verunreinigter die ganze Gemeinde aus dem Heil reißt. Paulus möchte die christliche Freiheit wahren und macht auf deren ethische Folgen aufmerksam. Dabei überzieht er, was in der Kirchengeschichte zu fatalen Folgen führte. Christliche Gemeinde darf kein sexualethischer Überwachungsstaat werden. Gott hat uns nicht durch die Taufe von den alten Abhängigkeiten befreit, damit wir wieder in sie zurückfallen und uns das Leben gegenseitig zur Hölle machen.
Christliche Freiheit fragt immer auch nach dem Guten. Das bedeutet, sie fragt nach dem, was auch anderen nützlich ist.
„Darf unser Herr Gott gute große Hechte, auch guten Rheinwein schaffen, so darf ich sie wohl auch essen und trinken.“ (M. Luther)
5.) Sexualität verantwortungsvoll leben
Die Naherwartung hat nachgelassen und somit haben wir heute eine andere Sichtweise als sie Paulus beschreibt. Niemand weiß, ob Jesus Christus morgen wiederkommt, um die Welt zu erlösen. Es mag so eintreffen oder auch nicht. Die Frage, die daraus resultiert ist: Wie gestalte ich mein Leben in der Gemeinschaft?
Wofür bin ich verantwortlich? Was soll mich leiten. Auch da hilft der Blick in die Schöpfungsgeschichte. „Die Erde zu bebauen und zu bewahren“ hat Gott uns aufgetragen. Dem gerecht zu werden ist an keine Zeit gebunden, sondern gilt immer, ganz gleich, ob morgen die Welt untergeht. Das symbolische lutherische Apfelbäumchen will gepflanzt werden, immer wieder. Paulus beschreibt den menschlichen Leib als Tempel, den es reinzuhalten gilt. Er versteht den Menschen als Einheit von Körper, Geist und Seele. Als solcher muss er ganzheitlich betrachtet werden. Nimmt der Geist Schaden, so auch der Körper. Gleiches gilt in umgekehrter Weise. Eigentlich wertet der Apostel dadurch den Leib auf als Wohnung des Geistes Gottes. Von daher betrachtet, ist eine asketische Züchtigung ebenso schädlich wie eine hedonistische Zerstörung des Leibes. Beides würde der Bestimmung, nämlich Wohnung für Gottes Geist zu sein, kaum gerecht werden.
Verantwortlich zu leben und zu lieben heißt nicht, in einen gewissen Fatalismus zu verfallen, weil ich frei bin oder weil die Welt sowieso untergeht. Die Bedeutung liegt vielmehr darin:
Ich schaue, was dem Leben und der Liebe dient. Darin lobe ich Gott durch meine Taten in Freiheit und Verantwortung für meinen eigenen Körper. Dabei nehme ich meinen Lebens- und Liebespartner als ebenso freien Menschen wahr. Wo aber Lebens- und Liebesformen beginnen, Macht über jemanden zu gewinnen, so dass Abhängigkeiten entstehen, muss der Einspruch des Paulus gelten: „Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich.“ Was Gott geschaffen hat, darf ich auch nutzen. und ihn dadurch loben. Amen.
Martin Hundertmark -Pfarrer an der Thomaskirche zu Leipzig-