Predigt über 1. Buch Mose 3, 1-19

  • 01.03.2020 , 1. Sonntag der Passionszeit - Invokavit
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

wer wir sind und warum es auf dieser Welt so ist, wie es ist – das wird ganz am Anfang der Bibel erzählt. Es geht dabei nicht um den Anfang unserer Geschichte im biologisch-historischen Sinn. Hier geht es vielmehr darüber hinaus: Es geht um die „Ur-Geschichte der Beziehung zwischen Gott und Mensch. Es ist die Geschichte des Menschen, jedes Menschen, mit Gott. Sie ist alt. Aber nahe an uns dran. Rührend und schmerzlich, mitunter auch komisch und grotesk. Sie fordert uns heraus. Denn sie ist heute so aktuell wie vor tausenden von Jahren.

Aber die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der HERR gemacht hatte, und sprach zu der Frau: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten? Da sprach die Frau zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet! Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist. Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon und er aß. Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze. Und sie hörten Gott den HERRN, wie er im Garten ging, als der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seiner Frau vor dem Angesicht Gottes des HERRN unter den Bäumen im Garten. Und Gott der HERR rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du? Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich. Und er sprach: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du nicht gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen? Da sprach Adam: Die Frau, die du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum und ich aß. Da sprach Gott der HERR zur Frau: Warum hast du das getan? Die Frau sprach: Die Schlange betrog mich, sodass ich aß. Da sprach Gott der HERR zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht, verstoßen aus allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Erde fressen dein Leben lang. Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen; der soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen. Und zur Frau sprach er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr sein. Und zum Mann sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen –verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.

Die Geschichte vom Sündenfall also zu Beginn dieser Passionszeit. Sündenfall? Nun, wir werden sehen. Zunächst: Mit dem Auftritt der Schlange passiert etwas Besonderes. Zum ersten Mal steht der Mensch einer Erscheinung gegenüber, die von außen kommt. Der Schlange gegenübergestellt muss er wählen. Muss entscheiden. Die Schlange spricht die gleiche Sprache wie der Mensch. Und sie weiß sich Gehör zu verschaffen. Sie kennt unsere Schwachstellen und setzt genau dort an. Da wo wir versuchlich sind, weil wir misstrauisch werden. Wo wir das Gefühl haben, da wird uns doch etwas vorenthalten, ich fühle mich in meiner Freiheit eingeschränkt. Die Schlange vertritt die Stimmen, die uns Menschen Gott als Verbotsinstanz einflüstern. Wo wir nicht alles wissen sollen, da werden wir hellhörig. Doch wir wollen gerne wissen, was gut und böse ist. Oder genauer – und darum geht es hier: Wir wollen es gerne selbst bestimmen, was gut und böse ist. „Sein wie Gott“ – dieses Angebot steht im Raum. Steht gegen Gottes Gebot, vom Baum in der Mitte des Gartens nicht zu essen. Dass es ihn vor den fürchterlichen Folgen seiner Allmachtsphantasien bewahren soll, versteht der Mensch nicht. Er will alle Möglichkeiten in der Hand haben und greift zur verbotenen Frucht. Noch könnte er es lassen, auch hineinzubeißen. Aber diese Geschichte weiß: Immer wieder wird der Mensch es tun. Hätten die beiden es sein lassen können, im letzten Moment? Wo er sein will, wie Gott, da kann er nicht wiederstehen, der Mensch, da ist diese Geschichte sehr nüchtern. Ist es so? Wie geht es uns denn bei den Fragen von Gut und Böse und von Leben und Tod? Wie frei können und sollten wir entscheiden? Was kommt dem Geschöpf zu – und was dem Schöpfer? Muss es da nicht eine klare Linie geben?

Unter anderem das ist ja eine Frage, die sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus der letzten Woche zum Thema Sterbehilfe jeder zu stellen hat. Auch wenn die größte Aufgabe jetzt beim Gesetzgeber liegt ist. Nur so, in dem Ärztinnen und Ärzte jetzt nicht mehr befürchten müssen, für ihr helfendes Handeln belangt zu werden, kann die segensreiche Palliativmedizin weiter ausgebaut werden. Kann es weiter um ihre Begleitung beim Sterben gehen – statt zum Sterben. Die Freiheit zu letzterem ist jetzt rechtlich gesehen jedem eingeräumt worden. Die Frage, die sich uns stellt ist, ob man das Ganze als Geschöpf betrachtet. Unter dem Aspekt, dass unser Leben endlich ist, verletzlich und dass Sterben zum Leben gehört. Wer das annehmen kann, wird auch loslassen – oder anderen auf diesem Weg helfen, ihn durchzustehen und ihn zu erleichtern, wo das Leid unerträglich geworden und eine Veränderung zum Besseren nicht möglich ist. Oder betrachtet man die ganze Frage unter dem Aspekt „Sein zu wollen wie Gott“ und setzt die Grenzen selbst vollkommen willkürlich. Als was siehst Du Dich, Mensch. Adam, wo bist Du? Das ist die Frage, die sich in vielen Fällen zwischen Leben und Tod, zwischen Mensch und Mensch und zwischen Mensch und Gott stellt. Und die nur jede und jeder für sich beantworten kann.

Die Geschichte beschreibt, wie es weitergeht, wenn der Mensch der Versuchung nicht widersteht sein zu wollen wie Gott. Als die Menschen sich stellen sollen, wird es zunächst possenhaft grotesk. Adam tritt auf wie die Karikatur des schwachen Ehemannes, der sich passiv in Unabänderliches fügt, und seine Frau die Entscheidungen für sich treffen lässt. Es folgt der Klassiker: die Frau war’s. Oh nein! Die Schlange war’s. Einer zeigt auf den anderen. So possenhaft es aber auch ist: Es ist das erste Mal, dass in dieser Geschichte und in der Bibel überhaupt die Angst auftaucht. Die Angst, mit den Folgen des Verhaltens in Freiheit konfrontiert zu werden. Das ist unangenehm. Da zeigen wir reflexhaft mit dem Finger auf andere, flüchten uns in Formeln wie: „Die anderen aber auch“ – es wäre kein Wunder gewesen wenn Gott spätestens an dieser Stelle das Experiment Mensch abgebrochen hätte. Leider ist diese Gattung nicht in der Lage, mit ihrer Freiheit umzugehen. Aber irgendwas scheint Gott am Menschen zu mögen. Zu lieben. Es geht weiter. Der Mensch bleibt ein Gegenüber Gottes. Ein Ebenbild, das in seiner freien Entscheidung weiterhin ernst genommen wird, auch wenn sie falsch war. Gott geht dem Menschen nach, der jetzt erlebt, dass sich nur eins von dem erfüllt hat, was die Schlange gesagt hat. Und das ist ziemlich wenig, wie meistens bei solcherart Versprechen. Er erkennt, er ist ein nackter Erdling. Nichts anderes heißt ja Adam: der von der Erde Genommene. Er fürchtet sich davor, sich eine Blöße zu geben. Und er verkriecht sich, taucht ab von der Bildfläche, zieht sich zurück, bitte nicht auch noch die Scham über das Versagen vor der Verantwortung ertragen müssen. Es ist das zweite Mal, wo die Angst in dieser Geschichte auftaucht. Die Versuchung zu glauben: Es geht schon vorbei, wenn ich es aussitze in meinem Versteck. Aber wo man auch hockt, man hört doch die Stimme Gottes, wenn sich das Gewissen regt. Wo bist Du, Adam?

Der Mensch, das ist gehört zu den anrührenden Momenten in dieser Geschichte, hat immer noch die große Freiheit, darüber nachzudenken und zu antworten. Gott zerrt ihn eben nicht hervor unter den Bäumen des Gartens. Und Scham zu erfahren, schafft dem Menschen auch neue Möglichkeiten. Auch darum geht es hier. Die Menschen nennen sich in dieser unserer Urgeschichte der Menschheit erst jetzt beim Namen! Hier erst werden sie wirklich Persönlichkeiten, die Erfahrungen haben und mit Verlust und Versagen umgehen können. Und: Der Mensch bekommt auch jetzt erst eine richtige Aufgabe, auch wenn sie erst mal schmerzhaft und schwer erscheint, und den Folgen menschlicher Allmachtsphantasien sehr ähnlich sind - etwa, was den verfluchten Acker betrifft. Der Mensch erfährt, dass durch ihn das Leben in die Welt kommt, und er muss sich zugleich mit der Tatsache des Todes auseinandersetzen. In all dem trägt er die Erinnerung an den süßen Garten Eden in sich. Seine Erinnerung an die ungetrübte Nähe zum Schöpfer. Gott aber lässt den Menschen nicht einfach laufen. Er macht ihm Felle, um ihn in seiner Nacktheit zu schützen. Wir können in dieser Welt leben, haben etwas, um uns zu schützen vor Kälte, vor Ungemach und all dem, was uns Probleme bereitet. Wir können uns der Passionszeit stellen, auch der Passionszeit in jeweils unserem persönlichen Leben. Da, wo Ostern noch weit weg ist, so wie heute am ersten Sonntag in der Passionszeit. Und leben wir auch diese Zeit mit Gottes Hilfe – und in seinem Frieden, welcher höher ist als all unsere Vernunft.

Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche
taddiken@thomaskirche.org