Predigt über Gal 2, 16-21
- 11.08.2024 , 11. Sonntag nach Trinitatis
- Pfarrer Martin Hundertmark
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Wir schreiben das Jahr 50, liebe Gemeinde. Zwei Alphamännchen geraten in Streit. Er wird mit heftigen Worten ausgetragen. „Wendehals“ ist noch eine harmlose Beschimpfung. Schnell geht es ins Grundsätzliche. Wenn du so weitermachst wie bisher, dann verrätst Du die Wahrheit.
Paulus und Petrus sind aneinandergeraten. Letzterer machte eine Kehrtwendung in Bezug auf die christliche Gemeinschaft zu Tisch. Wer darf dort alles sitzen? Mit wem möchte man gemeinsam das Abendbrot teilen und anschließend auch Brot und Wein im Sinne Jesu Christi? Zunächst waren alle eingeladen. Aber plötzlich sollte auf zugewanderte Christen, die vormals jüdisch waren, Rücksicht genommen werden. Tischgemeinschaft mit den sogenannten Ungläubigen war nach deren Gesetzen nicht gestattet. Also grenzte Petrus seine Freunde aus, um auf andere Freunde Rücksicht zu nehmen aus Angst, etwas falsch zu machen
Mit Paulus war das schlecht zu machen, womit wir beim zweiten Protagonisten wären. Wer sich wieder zurückfallen lässt in Zeiten, die doch längst überwunden sind, setzt alles aufs Spiel – christliche Freiheit, göttliches Geschenk seiner Zuwendung, Gemeinschaft mit Christus.
Paulus fährt das große Kaliber auf. Er bezeichnet Petrus vor allen anderen als Heuchler und spricht ihm ab, in der Wahrheit des Evangeliums zu stehen.
Nun gut, man hätte es sanfter formulieren können, aber das war nun wirklich nicht Paulus sein Ding.
Paulus liegt es fern, um zweiten Kapitel des Galaterbriefes antijüdischen Tendenzen den Nährboden zu bieten. Das wurde viel später leider immer wieder mit diesem Text gemacht. Die erste Intention des Apostels ist glaubwürdiges Christsein unter den Voraussetzungen eines neuen, Lebens in Freiheit durch Christus.
Und nun knüpft unser Predigttext an, liebe Gemeinde. Dort versucht Paulus zu entfalten, was ihm wichtig ist.
Vielleicht hören sie beim zweiten Mal ein paar Stichworte.
16 Doch weil wir wissen, dass der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch des Gesetzes Werke wird kein Mensch gerecht. 17 Sollten wir aber, die wir durch Christus gerecht zu werden suchen, sogar selbst als Sünder befunden werden – ist dann Christus ein Diener der Sünde? Das sei ferne! 18 Denn wenn ich das, was ich niedergerissen habe, wieder aufbaue, dann mache ich mich selbst zu einem Übertreter. 19 Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt. 20 Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben. 21 Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn wenn durch das Gesetz die Gerechtigkeit kommt, so ist Christus vergeblich gestorben.
Wie schön wäre es doch, liebe Gemeinde, wenn wir durch das, was wir tun, Gott näherkommen könnten. Zwei Jahre Motettendienst bei Wind und Wetter und ich hätte ein Stein im Gnadenbrett Gottes. Dreißig Jahre ehrenamtlicher Dienst im Kirchenvorstand und mir wäre ein Platz an der himmlischen Tafel Gottes sicher. Jede Woche den Gottesdienst besucht und Christus würde mich auf Händen tragen. Jedes Jahr treu und brav in beträchtlichem Maße gespendet und Jesus erleichtert mein Gewissen.
Ganz ehrlich, liebe Gemeinde, versteckt im hintersten Schublädchen, kauert wohl bei Jedem und Jeder der klitzekleine Wunsch nach Werkgerechtigkeit. Denn sie ist so praktisch. Sie ist so menschennah. Menschennah deshalb, weil wir Anerkennung wollen für das, was wir tun, weil wir uns schwertun mit Geschenken ohne Gegenleistung und weil es berechenbarer ist, Taten Maß und Entlohnung zukommen zu lassen.
Was machen wir nun mit dem klitzekleinen Wunsch nach Werkgerechtigkeit? Soll er unterdrückt werden?
Können wir ihn einfach ignorieren?
Wir werden lernen müssen, mit ihm zu leben und unser Zusammenleben als christliche Gemeinde jedoch von diesem klitzekleinen Wunsch nach Werkgerechtigkeit nicht bestimmen zu lassen.
Vielleicht kann uns Paulus mit seinen Worten helfen?
Bevor ich auf drei Stichworte aus unserem Predigttext eingehe, schauen wir noch einmal darauf, was Paulus kritisiert. Er kritisiert die Heuchelei als Grundübel im menschlichen und besonders im christlichen Umgang miteinander Jetzt könnten Erfahrungsberichte der letzten zehn Jahre oder zehn Monate folgen, aber das würde sie am Ende dann doch langweilen. Schauen wir lieber auf einen weiteren Aspekt, der sich aus unserem Predigttext ergibt. Statt Rechtfertigung durch Gott tappen wir immer wieder in die Falle der Selbstrechtfertigung durch uns. Besonders Protestanten sind hier schwer anfällig. Mehrere Studien und Umfragen unter Pfarrern und Pfarrerinnen haben als Ergebnis hervorgebracht, dass diese überlastet sind, keine Lust mehr haben auf ihren Beruf oder von Frust überschüttet sind. Da wird mit allerletzter Kraft der überbordende Terminkalender wie eine Monstranz hochgehalten, damit auch wirklich jeder sieht – ich hab so viel zu tun im Auftrag Gottes und eigentlich keine Zeit mehr für euch. Wo bleibt da die Freude? Wo bleibt da das befreiende Evangelium?
Nicht, dass man es falsch versteht. In den letzten zehn Jahren habe ich hier auch Wochen erlebt, die ein Höchstmaß an Kraft gefordert haben und ich bin froh gewesen, dass diese Wochen am Ende überschaubar blieben und ich bin dankbar gewesen, dass ich mit Britta Taddiken eine Kollegin zur Seite hatte, auf die ich mich zu hundert Prozent verlassen konnte, wenn es mal über den Rand ging.
Das Vertrauen auf Gott nicht zu verlieren, statt sich selbst durch Arbeit erlösen zu wollen ist wohl eine der größten Herausforderungen als Pfarrer. Denn die gelebte Selbsterlösung durch Arbeit steht der glaubhaften Verkündigung von Gottes geschenkter Gnade doch mehr als nur beiläufig im Wege.
Als Kirche dürfen und müssen wir uns fragen, wie wir geeignetes Personal gewinnen wollen, das noch Lust hat auf diesen Beruf. Und jetzt tappe ich fast selbst in die Falle der Selbstrechtfertigung, wenn ich geneigt bin zu erzählen, wie viel Freude und welch großen Spaß es mir gemacht hat, hier und überhaupt Pfarrer zu sei mit all den vielfältigen Aufgaben und Erfahrungsgebieten. An St. Thomas Lehrender und Lernender gleichermaßen sein zu dürfen ist wahrlich ein himmlisches Geschenk.
Menschen für meinen Beruf zu gewinnen, wird dort gelingen, wo der Fröhlichkeit des Evangeliums mehr vertraut wird als einem Strukturgesetz, das letztlich nur willkürliches Menschenwerk ist.
Warum man Gemeinden, die selbstständig sind und aus eigener Kraft viele Zusatzaufgaben stemmen können, nicht einfach fröhlich im Weinberg des Herrn ihre Arbeit machen lässt, hat sich mir bis heute nicht erschlossen. Da liegt dann irgendwie doch der Schluss nahe, dass es andere Beweggründe gibt.
Paulus kritisiert den Rückfall in die Gesetzlichkeit aus Furcht, etwas falsch zu machen.
Wer heute alles gleich machen will, aus Furcht und Bequemlichkeit, für sein Tun gerade zu stehen, baut am Ende keine lebendigen Gemeinden, sondern Grabeshöhlen ohne Auferstehungshoffnung.
Das wird nicht die Kirche der Zukunft sein!
Kommen wir nun zu den drei Stichworten aus dem dichten Paulustext im Galaterbrief.
1.) sola fide
Trotz aller Liebäugelei mit dem klitzekleinen Wunsch nach Werkgerechtigkeit, hier steht das klare und deutliche Nein! Retten wird dich, liebes Menschenkind, allein der Glaube. Deine Werke werden es nicht.
Das ist auch gut so. Denn wir würden daran verzweifeln. Wir würden sonst unsere Ansprüche so hochschrauben, dass unter dem gnadenlosen Leistungsdruck jegliche Mitmenschlichkeit zermalmt würde.
Dass wir nicht perfekt sind, wissen wir. Deshalb kann ich an dieser Stelle auch nur um Verzeihung bitten für alles Imperfekte meines Dienstes hier an der Thomaskirche. Dass uns Gott als Imperfekte nicht verwirft und wir unsere fehlenden Talente ausgeglichen bekommen durch Gottes liebevolles Anschauen – ruft nach einer Antwort unsererseits. Sie kann laut Paulus nur lauten – wirf deinen Glauben nicht weg, selbst dann, wenn dir dein Verstand etwas anderes einreden will. Lass deinen Glauben wachsen an den Herausforderungen deines Lebens. Denn Glaube, so Martin Luther,
ist eine lebendige, verwegene Zuversicht auf Gottes Gnade. Und solche Zuversicht macht fröhlich, mutig und voll Lust zu Gott und allen Geschöpfen.“
2. sola gratia
Gottes Gnade lässt uns leben. Liebe Gemeinde, unglaublich befreiend ist dieser grundlegende Satz für unseren evangelischen Glauben. Wir müssen es eben nicht richten, weil er es richten wird am Ende und weil seine Barmherzigkeit es gut werden lässt. Das ist wahrlich manchmal unvorstellbar oder, um im Wortspiel zu bleiben, unglaublich. Denn wir erleben unseren Alltag oft genau andersherum. Da wird gerichtet und gehetzt, gemessen und bewertet, meist sogar mit unterschiedlichen Maßstäben. All das ist unnötig, schreibt uns Paulus ins Sonntagebuch.
Gottes Gnade misst nach dem, was uns in seinen Augen ausmacht – ein wertvolles Menschenkind, ganz jenseits aller Leistungen, geliebt und geachtet, unfertig und manchmal bedürftig, den richtigen Impuls fürs Leben zu bekommen.
So schließt dann Paulus auch konsequent mit dem Satz: „Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes.“
Und 3. solus christus
Wo wir anfangen, Menschen gefallen zu wollen,
haben wir als Kirche verloren.
Und wo wir aufhören Christus zu vertrauen, ebenso.
Als Grundlage unseres Glaubens steht er uns zur Seite. Und wir brauchen ihn dort ganz dringend angesichts einer sich selbst finden wollenden Gesellschaft,
angesichts auseinandertriftender Werte,
angesichts von so viel Hass und so wenig Verständnis füreinander.
Christus hat all das erlebt und erlitten.
Deshalb versteht er uns. Deshalb kann er dieser treue Wegbegleiter und Fürsprecher sein.
Vertrauen wir ihm unsere Zukunft an. Amen.