Predigt im Festgottesdienst zum 1. Weihnachtstag

  • 25.12.2021 , 1. Christtag
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Predigt am 1. Weihnachtsfeiertag 2021,

1. Johannes 3,1-6

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

schade, die erste Kantate des Weihnachtsoratoriums hören wir nun leider heute nicht. Aber ich möchte an ihr inneres Ohr appellieren, wenn Sie die Musik denn kennen, was ich bei den meisten vermute. Ich liebe es, wie man bei dieser Kantate mitgenommen wird vom weihnachtlichen Jubel zu dem Ort, wo ich mich hinabbeugen muss – und wo Weihnachten zu einem Geschehen in uns wird. Die Kantate schließt mit dem Choral „Ach, mein herzliebes Jesulein, mach Dir ein rein sanft Bettelein, zu ruhn in meines Herzens Schrein, dass ich nimmer vergesse Dein.“ Mein Herz wird zur Krippe, die diesen Höchsten fassen soll. Auf Weg dahin ruckelt es ordentlich, vor allem in der Bass-Arie „Großer Herr und starker König“ – er, der große Herr, der die „Pracht und Zier der Welt erschaffen“ hat, „muss in harten Krippen schlafen“. O ja, das Göttliche will nicht recht hineinpassen in den hart-herzigen Menschen. Bach lässt die Singstimme von den Instrumenten synkopisch begleiten, immer gegenan gehen Göttliches und Menschliches. Weihnachten bleibt widerständig. Gott wird Mensch. Aber der Mensch wird nicht Gott, auch wenn Gott sich in ihn hineinlegt in sein Innerstes. Dennoch: Weihnachten macht etwas mit uns!

Das beleuchtet unser heutiger Predigttext aus dem 1. Johannesbrief. Er ist erst mal so gar nicht weihnachtlich: Keine Hirten, keine Könige, keine Krippe, noch nicht einmal Bethlehem kommt vor. Er fordert uns heraus, aber mag uns dabei vielleicht gerade den Kern von Weihnachten als anhaltendes Geschehen nahebringen.

Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch! Darum erkennt uns die Welt nicht; denn sie hat ihn nicht erkannt. 2 Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen: Wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. 3 Und jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der reinigt sich, wie auch jener rein ist. 4 Wer Sünde tut, der tut auch Unrecht, und die Sünde ist das Unrecht. 5 Und ihr wisst, dass er erschienen ist, damit er die Sünden wegnehme, und in ihm ist keine Sünde. 6 Wer in ihm bleibt, der sündigt nicht; wer sündigt, der hat ihn nicht gesehen noch erkannt. 

Man muss sagen: Keine einfachen Worte und Gedanken! „Welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen“… Gottes Kinder! Das also ist es, was Weihnachten aus uns macht. Allerdings merken wir gerade zu Weihnachten, dass wir vor allem Kinder unserer Eltern sind und bleiben, egal wie alt wir sind. So sie denn leben, kommen wir mit ihnen zusammen an diesen Tagen. Und alles soll am liebsten so sein wie immer. Andere wollen gerade das nicht. Zu sehr schmerzt und zu tief sitzt, was mal zwischen uns war. Weihnachten kommt da so einiges hoch. Von daher tut es gut, gerade zu Weihnachten zu hören: Wir sind als Kinder Gottes immer mehr als nur Kinder unserer Eltern. Wir sind nicht ein für allemal auf das festgelegt, wie uns unser Zuhause geprägt hat. Guckt hin, seht, so hören wir es: Seht, was es vielmehr heißt, Gotteskinder zu sein. Seht hin! Ständig kommt das auch in der Weihnachtsgeschichte vor, auch im Weihnachtsoratorium, in unseren Weihnachtsliedern. Seht – und begreift: Wenn Gott nun gerade in einem Kind zur Welt kommt - ist das nicht auch ein Zeichen für das, was in uns als Kind, als Gotteskind, leben will – und sollte? Das, was die Welt nicht erkennt von außen, wie es hier im Text heißt? Sondern was nur wir selbst an und für uns wahrnehmen können?

Und hier sind wir auch mit diesem unweihnachtlichen Text mittendrin in der Weihnachtsgeschichte. Jesus ist hier das Kind seiner Eltern - aber eben auch nicht. Dafür steht das wunderbare Symbol der Jungfrauenschaft ja auch, dass ein Kind eben nicht nur auf seine leiblichen Eltern bezogen ist. Die Weihnachtsgeschichte erzählt: In dem Moment, wo sie ihr Kind zur Welt gebracht hat, steht Maria genauso staunend davor, wie alle anderen auch. In keiner Weise bemächtigt sie sich ihres Kindes, dass sie sagt: Es ist mein Kind – und ich allein weiß und entscheide, was gut für es ist. Nichts dergleichen. Das göttliche Kind, das „herzliebe Jesulein“ , es kann sich weiter entwickeln als Gottessohn - weil es eben gelassen wird. Der zwölfjährige Jesus darf herumspringen zwischen den Gelehrten im Tempel. Und wird so zum Mann, der sagen wird: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, voller Vertrauen zu anderen und euch selbst - dann werdet ihr nie begreifen, was das Reich Gottes ist.

Ich denke, das ist das erste, was wir als weihnachtliche Botschaft aus diesem Text hören können: Die absolute Ehrfurcht vor meinem eigenen und dem Leben eines jeden Menschen, vor der Berufung, die in allen leben möchte: Gotteskind zu sein. Wie auch immer sie sich entfalten wird. Wir sind alle unendlich viel mehr als das, was wir im Moment in uns und anderen sehen. Maria ahnt es, weiß es. Können wir uns und andere so betrachten, wie Maria ihren Sohn? Lassen wir dem Göttlichen in uns Platz zum Wachsen, lassen wir es zu, dass wir selbst oder andere ein „sanftes Bettelein“ für dieses Kind sein kann?

Wie schwierig das ist und was dem im Wege steht, ist Thema des zweiten Teils unseres Textes. Denn zur Geschichte der Gotteskinder gehört immer auch die verweigerte Liebe und die Lüge. Bevor man an Heiligabend Krippenspiele aufgeführt hat, gab es Weihnachtsspiele vom verlorenen Paradies. Um daran zu erinnern, dass wir eben auch Kinder der Eltern sind, die Adam und Eva heißen. Die, die Schuld für ihr Versagen immer gern auf den anderen schieben: Ich war‘s nicht, die Frau war‘s. Ich war‘s nicht, die Schlange war‘s. Die Geschichte der Unfähigkeit, Verantwortung zu übernehmen. An Weihnachten steht der Paradiesbaum mitten bei uns zuhause im Zimmer und erinnert uns daran. Andererseits steht da aber eben auch die Krippe mit dem Gottessohn. Gottes Liebe zu uns oft so Lieblosen ist größer als alles andere. Martin Luther hat einmal gesagt: „Gott ist kein Engel geworden, wie es vielleicht angemessen gewesen wäre. Er ist Mensch geworden, damit wir Menschen zu ihm gehören. Er gehört zur selben Familie wie wir.“

 

Tja, beide Seiten also sind in uns. Wir sind Gottes Kinder und Adams und Evas zugleich. So bleibt, das auch zusammenzusehen und einer weiteren Spur in diesem Text zu folgen. Denn da ist die Rede von „Wir“, von „uns“, Plural: Gott hat uns nicht zu Einzelkindern gemacht. Als Kinder Gottes gehören wir zusammen. Ob wir wollen oder nicht. Heile Familie unterm Tannenbaum zu spielen wird dabei aber von uns nicht erwartet.  Vielmehr geht es um das, was durch Weihnachten unter uns Gotteskinder möglich wird, ohne dass wir uns fürchten müssten: Einzugestehen, wo wir lieblos sind. Um Verzeihung zu bitten und eine Bitte um Verzeihung anzunehmen - auch, wo wir verletzt wurden. Auch der andere ist ein Kind seiner Eltern und Tochter Evas oder Sohn Adams. Und weil wir beide miteinander als Kinder Gottes verbunden sind und beide von der Vergebung leben, darum können wir auch geschwisterlich streiten, uns auseinandersetzen, durchaus auch heftig. So wie es in diesen Tagen ja auch passiert immer wieder und von Neuem. Corona und die damit einhergehenden Einschränkungen, Nöte und Ängste sind immer wieder Thema. Oder eben auch nicht, weil wir das Thema lieber meiden. Denn natürlich kann es zu Verdruss führen, wenn jemand anderes komplett anders denkt in Sachen Impfung, Schutzverordnung oder wie die Politik das Ganze bewältigt oder auch versagt. Und manchmal ist Gespräch im Moment schlicht nicht möglich, weil man schwer mit Leuten sprechen kann, die gerade herumbrüllen. Dabei aber von einer Spaltung der Gesellschaft zu reden – das halte ich für problematisch. So gespalten sind wir nicht, von den Radikalen und Gewalttätigen einmal abgesehen, die gelbe Sterne tragen, weil sie im Supermarkt Maske tragen müssen oder meinen, auf Polizistinnen und Journalisten losgehen zu dürfen. Dennoch, auch wenn es schwer zu ertragen ist: Auch sie sind Gottes Kinder. Und da, wo Gespräch noch möglich ist, sollten wir es uns nicht verbauen durch zu viel Gerede von der Spaltung der Gesellschaft. Und darauf hoffen, dass es vielleicht auch wieder möglich sein kann, einen Gesprächsfaden zu finden.

 

Vielleicht ist dies das Weihnachtlichste an unserem Predigttext: Dass wir Kinder Gottes sind und bleiben. Egal, was der andere sagt und denkt, auch wenn es manchmal schwer zu ertragen ist: Er oder sie ist und bleibt wie ich Gottes Kind, denn er schenkt sich in der Krippe aller Welt und nicht nur denen, die so denken wie ich. Genau das aber ermöglicht uns den Streit, auch die scharfe Auseinandersetzung, wir können und sollten da auch Klartext reden: Ich kritisiere Deine Meinung auf das Schärfste. Ich lehne sie ab, ich halte sie sogar für gefährlich. Das können wir uns als Kinder Gottes offen sagen – weil es eben nicht den Kern der Person betrifft. Ich sage nicht: Ich lehne Dich ab als Menschen. Oder ich will Dich vernichten, beseitigen, weil Du so bist, wie Du bist. Haben wir ja auch erlebt in diesen Wochen, dass solche Botschaften an Frau Köpping und Herrn Kretschmer offen gesendet worden sind. Hier muss für alle, die sich selbst zu Kindern Gottes rechnen, eine rote Linie überschritten sein. Denn als Kinder Gottes wie auch als Kinder Adam und Evas haben wir eine gemeinsame Aufgabe: Gottes Mitstreiter gegen Lieblosigkeit sein! Verbündete zu sein gegen jeglichen Hass, den Menschen auf Menschen entwickeln können. Ich hoffe, dass alle, die sich zu Gottes Kindern rechnen, etwas davon nach draußen tragen können. Dass wir es zumindest immer wieder versuchen, auch wenn es uns langsam müde macht. Aber wir brauchen das dringend für unser Miteinander. Auch hier gilt doch das Wort Jesu: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder“ – wenn wir kein Vertrauen mehr haben und nichts mehr dran setzen es wiederzugewinnen und neu zu entwickeln, dann wird es schwer. Manchmal fängt es eben klein an. Und wie bei einem Kind geht es ums Wachsen. Ein „Nichtkönnen“ ist meistens ein „Nochnichtkönnen“ und auch die Grenzen, die wir dabei erfahren, sind vorläufige Grenzen. Das zu glauben, das unterscheidet Christenmenschen von all den Predigerinnen und Predigern der Alternativlosigkeit in dieser Welt. Und so möge uns dieser unweihnachtlich-weihnachtliche Text durchaus durchs Jahr begleiten und immer wieder anregen: „Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch.“

 

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org