Predigt im Abendgottesdienst über Jeremia 1,4-10

  • 09.08.2020 , 9. Sonntag nach Trinitatis
  • Prädikantin Dr. Almuth Märker

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus. Amen

Der Predigttext steht bei dem Propheten Jeremia im 1. Kap. Es ist die Berufung des Jeremia.

„Und des HERRN Wort geschah zu mir:

Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.
Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.
Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete.
Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR.
Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.
Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.“
Der Herr segne an uns sein Wort. (Stille)

Eine Stellenausschreibung im Internet. Alles scheint zu passen. Meine Qualifikation und meine Berufserfahrung, die Schwerpunktsetzung bei dieser Stelle, das Kollegium, der Arbeitsweg, das Gehalt. Ich bewerbe mich. Ich verwende ganze Nächte darauf, das Anschreiben genau auf den Text der Ausschreibung zuzuschneiden. Ich lasse neue Porträtfotos machen. Ich spreche mit Freundinnen und Familie. Die in meinen am Ende Augen perfekte Bewerbung lade ich hoch. - Und dann die Absage. … Meine Gefühle fahren Achterbahn.

„Wir haben da eine tolle Stelle zu besetzen. Ganz schön anspruchsvoll, aber dir trauen wir das zu. Du hast die Gabe, Klartext mit den Leuten zu reden. Du hast die Fähigkeit zu kritischer politischer Analyse. Du hast einen guten Draht zum kleinen Mann und zur ganz normalen Frau auf der Straße. Außerdem verfügst Du über soviel Einfühlungsvermögen, dass Du schon genau einschätzen kannst, wann Deinem Gegenüber ein Rüffel gut tut und wann es Ermutigung braucht. Du hörst auf Deine innere Stimme, auf die Stimme Gottes. Diese Stelle wollen wir mit Dir besetzen.“
… spricht Gott, der Herr, zu Jeremia, dem künftigen Propheten.
Jeremia antwortet: „Zum Predigen fehlen mir die richtigen Worte. Ich bin viel zu jung.“ (V. 6)

Liebe Gemeinde, die Berufungsgeschichte des Jeremia ist nicht die einzige Erzählung einer Berufung im Alten Testament. Auch Mose, auch Jesaja und Hesekiel wurden berufen, wie auch die Prophetin Debora einen Ruf von Gott erhalten hat, selbst wenn die klassische Erzählung dazu nicht überliefert ist. Und im Neuen Testament ruft Jesus am See Genezaret Fischer in seine Nachfolge. Sie werden zu seinen Jüngern. Auch das sind Berufungsgeschichten. Beschreibungen, wie Gott Menschen in seinen Dienst ruft, sind also ganz üblich in unserer Bibel. Bei der Berufungsgeschichte von Jeremia fällt aber schon auf, wie entschieden und schroff, aber auch mit wie großen Zweifeln und Skrupeln Jeremia diese Berufung zurückweist: „Ach, Herr HERR (flehentliches 2x) ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.“

Was hindert uns daran, Gottes Ruf zu folgen?

Es gibt offensichtlich eine große Angst, die uns hindert:
- Da ist zunächst: die Macht der Gewohnheit. Alles soll bitte im gewohnten Gleis bleiben. Der Alltag, in den ich mich eingerichtet habe, ist doch eigentlich recht bequem. Bloß keine Veränderung!
Das ist die Angst vor Neuem, die uns hindert, Gottes Ruf zu folgen.
- Da gibt es außerdem ein tiefes Sicherheitsbedürfnis in uns. Die Sicherheiten, in denen wir leben, haben wir uns manchmal hart errungen. Das Wagnis, sie aufzugeben, wollen wir nicht eingehen. Ganz abgesehen von der Ungewissheit, die dann auf uns zukommt.
Hier ist es die Angst loszulassen und aufzubrechen, im Übrigen ja ganz natürliche menschliche Eigenschaften.
- Und schließlich kennen manche von uns tief innen ein Gefühl von Unvermögen. Ich bin zu jung, ich bin zu alt, ich bin zu klein, zu leise, nicht vollkommen genug.
Dies würde ich als Angst, Fehler zu machen und nicht zu genügen bezeichnen. Auch das ist eine zutiefst menschliche Erfahrung.

Was befähigt uns dann aber, Gottes Ruf zu folgen?

Dazu finden wir Antwort in der Geschichte von Jeremias Berufung.
- Da ist zunächst das Wunder, dass ich von Gott geschaffen bin und in seine Schöpfung eingebunden bin. Und dass ich damit ein gewolltes und gewünschtes, ja ein geliebtes Mitglied in Gottes himmlischer Familie bin. Gott der Herr sagt ja zu Jeremia, er sei von seiner Mutter geboren. Von meiner Mutter geboren sein, das ist etwas, was mich in ganz starkem Maße mit der Schöpfung verbindet.

In Jeremias Berufungsgeschichte finden wir eine nächste Antwort auf die Frage, was uns befähigt, Gottes Ruf zu folgen.
- Dass Gott mir nämlich alles gibt, was ich brauche; dass er mich ausstattet:
Gott sagt zu Jeremia: „Fürchte dich nicht!“ – sie nimmt mir die Angst.
Und weiter: „Ich bin bei Dir.“ - Er stattet mich also mit Schutz und Stärke aus.
Weiter bei Jeremia: „Gott streckt seine Hand aus.“ - Gott wendet sich mir zu. Das ist Zu-wendung Gottes, die wir brauchen.
Und Gott rührt Jeremias Mund an und legt seine Worte in dessen Mund. - Gott erledigt also alles für mich. ES geschieht an mir, ES geschieht in mir. Ich bin passiv aktiv.

Gott beruft uns. Manchmal wissen wir gar nicht, wo hinaus das führen soll. Was wir aber brauchen, wenn uns Gott beruft, ist Vertrauen.

Liebe Gemeinde, schließen Sie doch einmal die Augen. Denken Sie an das Gefühl, das Sie als Kind hatten. Ein kindliches Urvertrauen. Spüren Sie es, sehen Sie es? Da hinten steht Gott. Wie eine Mutter breitet sie die Arme aus. Sie rennen los, stürmen auf ihn zu, immer schneller, immer wilder, ein glucksendes Lachen steigt in Ihnen auf – so große Vorfreude! Sie ist schon ganz nahe. Und dann … der letzte Schritt: ein Sprung. Sie stoßen sich ab, sie lassen alles hinter sich. Für den Bruchteil einer Sekunde haben Sie das Gefühl, als wüchsen Ihnen Flügel. Und Gott fängt sie auf, hält Sie, wirbelt Sie herum.

Unsere Aufgabe ist das. Unsere Aufgabe ist da. Gott hält sie für uns bereit.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und unser Beginnen in Christo Jesu.

Amen