Predigt im Abendgottesdienst über Apg. 8,26-39

  • 08.07.2018 , 6. Sonntag nach Trinitatis
  • Prädikantin Dr. Almuth Märker

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus. Amen

Der Predigttext steht in der Apg. des Lukas im 8. Kapitel:
„Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist. Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, ihr Schatzmeister, war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten. Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja. Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen! Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest? Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen. Die Stelle aber der Schrift, die er las, war diese (Jesaja 53,7-8): »Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.« Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach: Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem? Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Schriftwort an und predigte ihm das Evangelium von Jesus. Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser. Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert's, dass ich mich taufen lasse? Und er ließ den Wagen halten und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn. Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich."
Der Herr segne an uns sein Wort.

Ein Wagen rumpelt über den schottrigen Weg. Es ist sehr warm, die Sonne brennt vom Himmel. Dem Mann im Wagen, offensichtlich ein vornehmer, ranghoher, werden von frischen Kräutern duftende feuchte Tücher gereicht. Er versucht, einen kühlen Kopf zu bewahren. Den braucht er, denn die Textstelle, die er da in seiner Papyrusrolle liest, ist schwer zu verstehen. Er liest. Und dass er liest, können auch Leute, die am Wegesrand stehen, vernehmen. Denn: Er liest laut.
Der „Kämmerer aus dem Morgenland" - wie er in unserm Predigttext genannt wird-, dieser gottesfürchtige Äthiopier auf dem weiten Rückweg von Jerusalem in sein Heimatland liest in einer Textrolle, und er liest laut. Das war für Menschen im Alten Ägypten und in der antiken Welt selbstverständlich.

Und so beginnt meine Predigt mit einem Plädoyer für lautes Lesen. Laut zu lesen ist uns vertraut aus verschiedenen Situationen:
- dem eigenen Kind, das noch nicht lesen kann, laut vorlesen,
- Enkelkinder auf den Schoß nehmen und laut vorlesen,
- der erblindeten alten Mutter aus der Zeitung vorlesen,
- dem Geliebten ein Gedicht vorlesen Das sind bekannte Situationen. Jeder, jede von uns hat sie schon erlebt.

Aber laut zu lesen, wenn ICH SELBST lese - das mutet heutzutage eigentümlich an. Es ist schlicht aus der Mode gekommen. Und doch war es zur Zeit unseres Predigttexts höchst üblich. Wer las, der rollte die Worte in seinem Mund hin und her wie eine Speise. Wer die Augen über die Zeilen eines Textes gleiten lies, der lies auch ein sattes Murmeln ertönen. Wenn ich laut lese, gehen der Text und sein Inhalt vom Auge über die Zunge ins Hirn. Das ist, wie wenn ich den Text schmecke. Die Liebe geht bekanntermaßen durch den Magen, das Verständnis eines Textes geht - und das war einmal selbstverständlich - offenbar durch den Mund. Der homo sapiens sapiens - der verständige Mensch, der wir zu sein vorgeben - dieser homo sapiens ist recht eigentlich der Mensch, der schmecken kann (> lat. „sapere" - „schmecken").
Es gibt da offensichtlich einen Zusammenhang: Ein Wort, eine Sentenz oder einen komplizierten Sachverhalt auszusprechen ist die Voraussetzung dafür, ihn zu begreifen, ihn zu verstehen und geistig aufzunehmen und zu durchdringen.

Das laute Vorlesen, es schärft zudem alle Sinne. Ich habe eben noch nach Jahren eine Erinnerung daran, welche Art Hustenbonbon der Großvater beim Vorlesen immer lutschte; eine Erinnerung daran, wie kuschelig weich sich die Wolljacke der Mutter anfühlte, wenn ich bei ihr auf dem Schoß saß; eine Erinnerung daran, wie die Vögel vor dem Fenster sangen, als mir mein Liebster dieses eine Gedicht vorlas.

Mit allen Sinnen nehme ich die Welt wahr, ich begreife sie, wenn ich laut lese. Und genau das tut der Kämmerer aus unserem Predigttext. Er hat schon viel begriffen von der Stelle aus dem Propheten Jesaja, die er während der Fahrt auf dem rumpelnden Wagen liest. Doch die Jesajastelle erschließt sich dem Kämmerer nicht völlig.

Philippus, der zur christlichen Urgemeinde gehörte und im Raum Jerusalem unterwegs war, um das Evangelium von Jesus Christus zu verkünden, ... Philippus bemerkt den Kämmerer, und er bemerkt auch, wie der um Begreifen ringt. Er steigt auf den Wagen und fragt nach: Begreifst Du, was Du da murmelst?
Der Kämmerer: „Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet?" (V. 31) Und dann heißt es: „Und er bat Philippus aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen."

„Und er bat ..." - Liebe Gemeinde, es ist eine gute Art, sich auf eine Predigt vorzubereiten, indem man in einer Gesprächsrunde die Bibelstelle liest, gemeinsam darüber nachdenkt und sie gemeinsam diskutiert. In einer solchen Gesprächsrunde fragte ich letzte Woche, welcher Aspekt in diesem Text denn der wichtigste sei, was denn am stärksten ins Auge falle. Eine junge Frau, die gerade ihr Leben neu ausrichten muss - ich möchte von dieser jungen Frau fast sagen, sie sei ein aus dem Nest gestoßenes Vogeljunges - sie sagte, ohne lange zu überlegen: „Am schwierigsten ist es, um Hilfe zu bitten."

Um Hilfe bitten. Der Kämmerer hat genau diesen Mut. Er ist dafür nicht zu schade, obwohl er ein Großer ist, einer mit Machtfülle. In Äthiopien, dem Land, in das er gerade wieder zurückfuhr, regierten Königinnen. Die sog. Kandake, die aktuell an der Spitze des Reichs stehende Königin, hatte ihn zu einem engen Berater gemacht. Er war Schatzmeister und sozusagen ein hoher Beamter am Hofe. Der Kämmerer kann viel, er vermag viel, er weiß auch viel. Und doch bittet er um Hilfe.
Philippus geht auf diese Bitte ein. Er steigt auf den Wagen. Er legt die Jesajastelle aus, und indem er auf den Gottesknecht bei Jesaja eingeht, predigt er dem Kämmerer das Evangelium von Jesus Christus. Und Philippus tauft ihn; auch darum hat der Kämmerer ihn gebeten. In der Tat, der Kämmerer und Philippus sind beide gleichermaßen aktiv: Der eine, indem er um Unterweisung bittet und um Verständnis ringt; der andere, indem er die Schrift auslegt, predigt und die Taufe vollzieht.

Wer aber, liebe Gemeinde, ist in unserer Geschichte die „handelnde Person"? Wer ist agens, wer hat die Zügel in der Hand, ist movens und Motor, also Antrieb der Handlung?

Die handelnde Person ist Gottes Geist.

Unser Leben ist ja wie mit einem Flechtband durchwoben von Gottes Geist. Und da gibt es die Vorstellung, dass Gottes Geist mich ständig begleitet, dass er/sie mich trägt. Da glauben manche aber auch - und so interpretieren sie dann die Freiheit, die wir als Christenmenschen haben -, dass Gottes Geist, indem ich geschaffen wurde, schöpferisch war, dass ich aber dann alles selbst in der Hand habe und auch in die Hand nehmen kann.

Unser Predigttext bietet, so lese ich es, ein drittes Modell an und gibt Antwort auf die Frage, wie Gottes Geist in unserm Leben wirkt:
- „ Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach ..." (V. 26) Gottes Geist macht hier den Anfang, er gibt den Impuls.
Später, in der Mitte des Textes heißt es:
- „Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin ..." (V. 29) Gottes Geist verhilft zum Durchhalten, er behält mit liebendem Blick die Kontrolle und das Ziel im Auge.
Und schließlich lesen wir am Ende des Textes:
 - „Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus ..." (V. 39)
Gottes Geist greift auch am Schluss ein. Er bringt die Abrundung, durch ihn gelingt die Vollendung.

Gottes Geist ist Anfang, Mitte und Schluss unserer Geschichte. Diese Kraft, sie gibt den Impuls für unser Leben, sie lässt und durchhalten, und sie wird uns zur Vollkommenheit führen. 

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und unser Beginnen in Christus Jesus. Amen.

Fürbitten (nach der Predigt zu Apg. 8, 26-39)

Gott des Himmels und der Erden,
Du hast die Welt geschaffen, Du begleitest sie mit Deiner Liebe.
Viele Millionen Menschen, auch wir, treten Deine Schöpfung mit Füßen durch verschwenderischen Konsum, durch exzessiven Energieverbrauch, durch kranke Urlaubsgewohnheiten.
Wir bitten Dich, dass noch mehr Menschen unter uns aufwachen und ihre Gewohnheiten ändern: weniger Fleisch, weniger Flugreisen, weniger Fluchen auf die Politik und vielmehr stattdessen im Kleinen beginnen.

Gott des Himmels und der Erden,
Du siehst, die verzagten Herzens sind:
Ermutige sie andere um Hilfe zu bitten: - sei es, dass sie unter Einsamkeit leiden,
 - sei es, dass sie Rat brauchen, wie weiter in ihrem Leben,
- sei es, dass sie psychisch erkrankt sind:
Schenk Ihnen die selbstverständliche Kraft zu sagen: Ich brauche Hilfe.

Gott des Himmels und der Erden,
in unserer säkularen Umgebung ringen viele darum, Gott und die Welt zu verstehen.
Wecke das Herz derer, die Dein, Gottes Wort erklären und auslegen können: in der Familie, im Kolleginnenkreis, in der Öffentlichkeit.
Lass uns als Kirche und als Gläubige hinaus gehen. Schluss mit dem Versteckspiel. Leite Du uns bei diesem mutigen Schritt.

Gott des Himmels und der Erden,
immer wieder ist sie aus den Fugen, Deine Welt: in Kriegen, in Drohgebärden unter den politisch Mächtigen, in Wirtschaftsverstrickungen.
Gib denen, die die Länder regieren, Besonnenheit, langen Atem und kluge Beraterinnen und Berater in Deinem Geist.

Gott des Himmels und der Erden,
wir werden sterben.
Je mehr wir selbst an Lebensjahren zunehmen, umso mehr sehen wir die Angst, die Schmerzen und das Leid derer, die am Ende ihres Lebens stehen und die Beschwernis derer, die sie pflegen. Manchmal werden auch junge Menschen mitten aus dem Leben gerissen.
Lehre uns die Kunst des Sterbens und lass uns nicht die Augen verschließen vor dem Tod, sondern unsere Zuversicht auf Dich und Dein Reich setzen.

Amen

Dr. Almuth Märker, Prädikantin an St. Thomas