Predigt im Abendgottesdienst

  • 12.11.2017 , Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres
  • Pfarrerin Taddiken

Predigt im Abendgottesdienst, 12. November 2017

Und er trieb einen Dämon aus, der war stumm. Und es geschah, als der Dämon ausfuhr, da redete der Stumme, und die Menge verwunderte sich. Einige aber unter ihnen sprachen: Er treibt die Dämonen aus durch Beelzebul, den Obersten der Dämonen. Andere aber versuchten ihn und forderten von ihm ein Zeichen vom Himmel.

Er aber kannte ihre Gedanken und sprach zu ihnen: Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet und ein Haus fällt über das andre. Ist aber der Satan auch mit sich selbst uneins, wie kann sein Reich bestehen? Denn ihr sagt, ich treibe die Dämonen aus durch Beelzebul. Wenn aber ich die Dämonen durch Beelzebul austreibe, durch wen treiben eure Söhne sie aus? Darum werden sie eure Richter sein. Wenn ich aber durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen. Wenn ein gewappneter Starker seinen Palast bewacht, so bleibt, was er hat, in Frieden. Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er ihm seine Rüstung, auf die er sich verließ, und verteilt die Beute.
Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut. (Lukas 11,14-23)

Liebe Gemeinde,
was wir da eben aus dem Lukasevangelium gehört haben, das ist befremdlich. Die knapp geschilderte Dämonenaustreibung lässt sich noch einordnen, gerade in den letzten Wochen zieht sich die Heilung von Besessenen wie ein roter Faden durch unsere Predigttexte. Doch dann folgt ein Gespräch darüber, mit welcher Kraft Jesus den Dämon ausgetrieben hat. In der damaligen Zeit vielleicht eine berechtigte Fragestellung: Wenn jemand mit solcher Kraft und Macht auftritt wie Jesus, wüsste man schon gerne, woher er sie hat. Doch die Vorstellung einer Dämonenhierarchie mit Beelzebul an der Spitze, mit dessen Hilfe - wenn man ihn kontrolliert - alle anderen Dämonen beherrschbar sind, das wirkt auf uns heute seltsam. Einen Dämon mit einem anderen Dämon auszutreiben - hat das in unserem aufgeklärten Denken heute noch etwas verloren? Wie ist es zu verstehen?

Am letzten Sonntag wurden in dem texanischen Ort Sutherland Springs 26 Menschen beim Gottesdienst erschossen - die Opfer waren zwischen 5 und 72 Jahren alt. Eine furchtbare, völlig unverständliche Tat. Offensichtlich handelte der Täter - mit einem halbautomatischen Gewehr, schusssicherer Weste und weiteren Waffen ausgestattet - aus familiären Motiven, offensichtlich waren Streitigkeiten in der Familie dem Amoklauf vorausgegangen. Schnell war von einem „Akt des Bösen" und von einer geistigen Verstörtheit des Täters die Rede. Wie auch bei Amokläufen der jüngeren Vergangenheit rückten die US-amerikanischen Waffengesetze in den Mittelpunkt der Debatte - mit zum Teil überraschenden, erschreckenden Vorzeichen. Auf diese Thematik angesprochen, sah US-Präsident Donald Trump keinen Zusammenhang zwischen der Bluttat und den in unseren Augen sehr laschen Gesetzen, die es nahezu jedem ermöglichen, sich mit schwersten Waffen auszustatten. Im Gegenteil: Der Präsident lobte einen Nachbarn der Kirchengemeinde, der auf den die Kirche verlassenden Attentäter mit seinem eigenen Gewehr das Feuer eröffnete, ihn verwundete, mit einem anderen Passanten verfolgte, bis sich der Amokschütze wahrscheinlich selbst tötete.

Dass dieser Nachbar jetzt von vielen als Held verehrt wird, kann ich sogar irgendwie noch verstehen. Denn vielleicht hat er noch Schlimmeres verhindert. Andere Reaktionen dagegen sind mir völlig unverständlich. Zum Beispiel, dass nach jedem Amoklauf die Waffenverkäufe deutlich in die Höhe schnellen. Dass nach jedem Amoklauf die Mitgliederzahlen der „National Rifle Association" - also der Waffenlobby, die für die laschen Waffengesetze vor allem verantwortlich ist - signifikant zunehmen. Dass in Texas darüber diskutiert wird, das Tragen von Waffen in Kirchen zu erlauben, wie es schon 2016 im US-Staat Georgia geschehen ist. Damit wären in Texas die Kirchen dann den Universitäten gleichgestellt, in denen dürfen seit 2016 Studenten und Dozenten bewaffnen.

Ich erkenne hier das gleiche Muster, das ich beim Predigttext als befremdlich bezeichnet habe: Wird hier nicht versucht, den Dämon „Waffengewalt" mit dem Beelzebul „Noch-mehr-Waffengewalt" auszutreiben? Ein erschreckender Teufelskreis, der ja nachweislich nicht zu weniger, sondern zu mehr Waffengewalt führt, worauf wiederum mit mehr Waffen geantwortet wird ...

Das aber ist nicht nur in den USA zu beobachten. Angesichts der heute beginnenden ökumenischen Friedensdekade kann man auch einen Blick werfen auf das weltweit geglaubte und vertretene Prinzip der Stabilisierung der Heimatregionen auch durch Waffenverkäufe. Auch hier wird in der Regel der Teufelskreis, den Dämon Gewalt mit dem Beelzebul „Noch-mehr-Gewalt" angeheizt und angetrieben.

So unbekannt und veraltet ist also dieses hier erwähnte Prinzip nicht. Auch nicht, was unser jeweils persönliches Leben betrifft, auch da gibt es das:
Wenn ich versuche, der Angst, zu kurz zu kommen, mit immer mehr Besitz Herr zu werden. Doch die Angst bleibt ... Wenn ich versuche, das Gefühl, nichts wert zu sein, zu überwinden, indem ich mich in den Vordergrund dränge, vielleicht auf Kosten anderer ins „rechte" Licht rücke. Doch das Gefühl bleibt, wird vielleicht sogar immer stärker ...

Teufelskreise, in denen ich vergeblich versuche, Dämonen mit anderen Dämonen auszutreiben. Vergeblich. Ausweglos. Scheinbar.

Doch es gibt einen Ausweg. Es ist ein radikaler Ausweg. So erschreckend radikal wie der letzte Satz des Predigttextes, als Jesus spricht: „Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut." Jesus betreibt nicht ein wenig Kosmetik an den Verhältnissen dieser Welt, sondern er stellt ihr eine ganz andere Denk- und Lebensweise gegenüber: Frieden statt Gewalt. Verzicht statt Besitz. Demut statt Hochmut. Vertrauen statt Angst. Hoffnung statt Verzweiflung. Das Reich Gottes, von dem wir im Vaterunser beten, dass es kommen möge, ist nicht eine etwas humanere Welt. Der Wille Gottes, von dem wir im Vaterunser beten, dass er geschehen möge, ist nicht ein christlich aufgepeppter menschlicher Wille. Der Himmel ist nie eine Erde mit Friede, Freude, Eierkuchen.

Was Jesus predigt und wofür er gestorben und auferstanden ist, ist etwas radikal anderes. Das muss ich zunächst akzeptieren. Ob ich es auch leben kann, das ist eine andere Frage. Zunächst muss ich es akzeptieren - und dann kann ich kleine Schritte machen, es umzusetzen.

Es ist ein ganz unscheinbarer Vers in diesem Zusammenhang, der einen dazu ermutigt: Mit Jesus sammeln. Wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut, sagt Jesus. Was kann ich sammeln, was ist in seinem Sinne? Ich glaube, es fängt damit an, sich selbst zu sammeln. Sich nicht wie ein hilf- und willenloses Etwas in dieser großen unheimlichen Welt zu sehen, sich da nicht selbst hineinzufressen in diese Sicht auf sich. Sich sammeln, sich auf die Gaben zu besinnen, die in mich gelegt sind. Sich sammeln in Bezug auf das, wie Gott mich ansieht, dass er mich und mein Leben will. Mich sammeln in eigentlich ganz einfachen Dingen, aber sie erfordern Sammlung und Innehalten, sie fordern mich auf, mich selbst zu reflektieren: Was geht in mir selbst vor? Ist das, was hier von den sich überlagernden Dämonen, von diesem Machtkampf von oben und unten, auch etwas, was sich bis zu einem gewissen Grad in mir selbst abspielt? Was siegt, was unterliegt in mir dann, wenn ich Angst habe, zu kurz zu kommen? Oder die Befürchtung habe, nichts zu bedeuten?

Der radikale Ansatz Jesu, der meine scheinbar ausweglosen Teufelskreise aufbricht, beginnt mit meiner Erkenntnis, dass ich nicht Macher bin, sondern Beschenkter. Beginnt mit Vertrauen und der berechtigte Hoffnung, dass mein Vertrauen nicht unbeantwortet bleibt und auch nicht meine Versuche, zu sammeln, zuallererst mich - mit dem, was Jesus mir dazu an die Hand gegeben hat mit seinem Wort, das Orientierung schenkt und stärker ist als alles, was an dieser Welt dämonisch ist oder uns zu sein scheint.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche.