Motettenansprache
- 30.11.2024
- Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Manchmal, liebe Gemeinde, kommt es auf die kleinen Worte an, auf wenige ganz wenige Buchstaben. So auch in dem alten Adventslied „Nun komm der Heiden Heiland“, das wir eben gesungen haben. Es gehört zu den allerersten Gemeindeliedern, die überhaupt aus der christlichen Kirche überliefert sind. In Mailand, in Oberitalien ist es entstanden und der Mailänder Bischof Ambrosius hat es für seine Gemeinde gedichtet. Veni, redemptor gentium, „komm, Erlöser der Völker“, beginnt der uralte Choral, komm. Der Reformator Martin Luther hat es für das allererste evangelische Gesangbuch ins Deutsche übersetzt, 1524 wurde es gedruckt und erstmals gesungen, vor fünfhundert Jahren, wir haben im zu Ende gehenden Jahr das Jubiläum gefeiert, auch hier in Leipzig.
Luther hat aber nicht so übersetzt, liebe Gemeinde, wie ich vor vielen, vielen Jahren im Schulunterricht Latein übersetzt habe, brav Wort für Wort. Er war nicht nur ein kluger Theologe, sondern auch ein wunderbarer Dichter. Und so beginnt seine Übersetzung nicht mit dem lateinischen veni, „komm“. Sie be-ginnt, wir haben es eben alle gesungen, mit „nun“. „Nun komm“. Manchmal, liebe Gemeinde, kommt es auf die kleinen Worte an, auf wenige ganz wenige Buchstaben. Auf die drei Buchstaben von „nun“.
Wer „komm“ ergänzt durch „nun“ komm, macht es dringender, macht es drän-gender. Nun komm endlich. Nun komm mal. „Komm“ ist erste freundliche Stu-fe, die ich sage, wenn ich jemanden zum Mitgehen bewegen will. Nun komm, im Sächsischen noch etwas kürzer: „Nu komm ma“, ist schon ungeduldiger und schließlich „nun komm endlich“ ist ganz und gar ungeduldig. Luther verschärft bei seiner Übersetzung das Drängen, macht alles dringender und drängender.
Und dann Johann Sebastian Bach. Der große Thomaskantor hat auch nicht ängstlich, wie ich vor Jahrzehnten im Musikunterricht brav Akkord um Akkord unter einen Ton geschrieben, bis ein mehrstimmiger Satz herausgekommen ist für Chor und Orchester. In der Kantate, die wir gleich hören werden, wird die erste Strophe des Liedes in einen großen festlichen Satz eingefügt. Man hört eine fröhliche Tanzbewegung, man hört förmlich, wie Menschen schreiten in geordneten Schritten, kurz innehalten, ob der Heiland der Welt schon kommt, immer mehr schreiten herzu, gerade so, wie heute in die Thomaskirche zu Ad-ventskantate. Luthers Drängen, Luthers „nun“ ist wieder ein wenig zurückge-nommen. Ein fröhliches Fest zur Ankunft wird gefeiert.
Warum beginnt Bach so festlich? Weil am ersten Advent eigentlich ein neues Kirchenjahr beginnt. Nach kirchlicher Zählung fängt alles mit der Vorweih-nachtszeit an und hört nichts mit dem Tag des Heiligen Silvester auf. Toten-sonntag war kirchlicherseits schon Schluss mit dem so schwierigen Jahr 2024, mit Krisen, Koalitionsbrüchen, schwierigen Wahlen, Krieg, Haushaltsnotlage und so weiter und so fort. Alles vorbei. Neujahr. Jedenfalls kirchlich. Advent, liebe Gemeinde, bedeutet: Nicht wir stellen die Uhr. Nicht wir setzen die Zeit. Mit dem Drängeln hat’s ein Ende. Er kommt. In diese Kirche. Es wird Advent. Er kommt zu uns, zu Dir und mir. Er kommt in unsere Dunkelheiten, in die Dunkel-heiten dieser Welt. In unsere Dunkelheiten. Und macht alles licht.
Bach hat die Kantate, die wir gleich hören werden, vor dreihundert Jahren, 1724 komponiert. Das verstärkte Orchester, Horn, zwei Oboen, Violinen, Viola und Basso continuo, der tänzerische Rhythmus – das will uns alles in Loben und Danken bringen. Für Gottes Zeitansage im Advent, für den adventlichen An-bruch der Gnadenzeit, für sein Kommen. Nun, jetzt, heute, hier. Amen.
Jesus Christus, du Heiland der Welt, du Heiden Heiland, wir bitten dich:
Nun komm mit deiner Gerechtigkeit. Sei bei denen, die nicht wissen, wovon sie morgen leben sollen. Steh allen bei, deren Arbeit nicht gerecht bezahlt wird, deren Heimat geplündert wird, deren Kinder keine Chance haben. Sei bei allen, die sich gegen Ausbeutung und Raubbau zur Wehr setzen. Öffne unsere Augen, dass wir sehen, wo wir mit unserer Lebensweise zur Ungerechtigkeit beitragen, und hilf uns, bessere Wege zu finden.
Nun komm mit deiner Sanftmut. Schütze die Frauen, die täglich unterdrückt und misshandelt werden. Schütze die Kinder, die geschlagen und missbraucht werden. Hilf den Männern, die für sich Wege aus der Gewalt suchen. Wecke in allen Menschen die Fähigkeit zu Mitleid und Erbarmen. Lass deine Kirche zu ei-nem sicheren Ort für alle werden.
Nun komm mit deinem Frieden. Wende die Herzen der Gewalttäter und Kriegs-treiber. Wehre allen, die das Leben der Unschuldigen und Wehrlosen zerstö-ren. Wir bitten dich besonders für die Menschen in Israel und im Gaza-Streifen, in der Ukraine, in Armenien, im Sudan. Zeige uns deine Wege zum Frieden, ge-rade da, wo wir selbst keine Wege sehen können.
Nun komm mit deiner Liebe. Überwinde alle Kälte und Härte in unseren Herzen. Erfülle unsere Häuser, unsere Familien und Gemeinden mit deiner Wärme und Freundlichkeit. Hilf uns, füreinander offen zu sein und einander beizustehen. Wir bitten dich für die Menschen, mit denen wir unser Leben teilen; für die, die wir vermissen; für die, um die wir uns sorgen; für alle, die wir dir besonders ans Herz legen wollen. In der Stille nennen wir dir ihre Namen.
Nun komm mit deiner Freude. Lass uns deine Nähe erfahren, stärke unseren Glauben, und lass dein Licht in unseren Herzen leuchten.
Nun komm, du König unseres Lebens, und hilf uns.
Amen.