Predigt Sexagesimae Acta 16,9-15
- 23.02.2025 , 2. Sonntag vor der Passionszeit - Sexagesimae
- Superintendent Sebastian Feydt
Gnade er mit euch und Friede von Gott und seinem Vater und dem Herrn Jesus Christus. In der Stelle bitten wir Gott um seinen Segen für sein Wort und unser Hören und Verstehen.
Grundlage der Predigt heute sind Verse aus der Apostelgeschichte im 16. Kapitel
Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: Ein Mann aus Makedonien stand da und bat ihn: Komm herüber nach Makedonien und hilf uns! Als er aber die Erscheinung gesehen hatte, da suchten wir sogleich nach Makedonien zu reisen, gewiss, dass uns Gott dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen. Da fuhren wir von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake, am nächsten Tag nach Neapolis und von da nach Philippi, das ist eine Stadt des ersten Bezirks von Makedonien, eine römische Kolonie. Wir blieben aber einige Tage in dieser Stadt. Am Sabbattag gingen wir hinaus vor das Stadttor an den Fluss, wo wir dachten, dass man zu beten pflegte, und wir setzten uns und redeten mit den Frauen, die dort zusammen-kamen.
Und eine Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, eine Gottesfürchtige, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf, sodass sie darauf achthatte, was von Paulus geredet wurde.
Als sie aber mit ihrem Hause getauft war, bat sie uns und sprach: Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie nötigte uns.
Liebe Gemeinde!
„Es ist der Moment gekommen, den Gedanken eines verängstigten und in sich selbst verkrümmten Europas fallen zu lassen, um ein Europa zu erwecken und zu fördern, dass ein Protagonist ist und Träger von Wissenschaft, Kunst, Musik, menschlichen Werten - und auch Träger des Glaubens ist. Das Europa, das auf den Menschen schaut, ihn verteidigt und schützt; das Europa, dass auf sicherem, festen Boden voranschreitet, ein kostbarer Bezugspunkt für die gesamte Menschheit.“
Mit diesen Worten hatte Papst Franziskus vor über zehn Jahren, 2014, in seiner Rede vor dem Europäischen Parlament in Straßburg uns Europäer an unser Fundament erinnert.
Und dieses christliche Fundament hat seine Gründungsurkunde in den biblischen Versen, die wir heute in diesem Gottesdienst an die Hand bekommen haben. Es beginnt mit den Worten: Komm herüber. Da sprichst in der Erscheinung des Paulus bei Nacht kein Engel, sondern ein Mann aus Mazedonien. Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns.
Was für eine Einladung an die mit dem Evangelium in der Tasche reisenden Botschafter des christlichen Glaubens. Von der äußersten Grenze unseres Kontinents werden sie gebeten zu kommen und zu helfen.
Und Paulus und Timotheus, sein Begleiter, machen sich sofort daran, über das Ägäische Meer auf den neuen Kontinent, nach Europa zu gelangen. …da suchten wir sogleich nach Makedonien zu reisen, gewiss, dass uns Gott dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen. Von Troas ging es nach Samothrake und dann über Neapolis nach Philippi. Willkommen Evangelium von Jesus Christus auf dem europäischen Kontinent.
Liebe Gemeinde, ich halte es gerade heute für hilfreich, sich in diesen angespannten und vermutlich in die Geschichte eingehenden Tage am Anfang des Jahres 2025 im Blick auf die weltpolitischen Veränderungen bewusst zu machen: Dass wir heute hier als Christen zusammen sind, dass es diese Thomaskirche gibt, dass es über zwei Jahrtausende christlichen Glauben in Europa gibt, das hat seinen Ursprung in diesem Übergang von Kleinasien nach Mazedonien.
Heute würden wir sagen: von der Türkei über das Meer in das makedonische Gebiet im heutigen Staat Griechenland.
Das war der Weg des Evangeliums. So geschah die Ausbreitung des christlichen Glaubens nach Europa. Hier liegt der Beginn all dessen, was Europa dann, ausgeprägt in Konfessionen, über 2000 Jahre bis zum heutigen Tag noch prägt.
Denn mit diesem Beginn verbindet sich auch in die Verantwortung, die eben diesem Evangelium von Jesus Christus innewohnt. Weil das Evangelium immer den Menschen und Gott, uns Menschen vor Gott im Blick hat. Ganz so, wie wir es von Franziskus gehört haben:
„Ein Kontinent, der auf den Menschen schaut, der den Menschen (in seiner Würde) verteidigt und schützt, ein Europa, das auf dem sicheren Boden (des Rechts) voranschreitet ..“
Alles, was wir in autokratischen Systemen weltweit, jetzt auch in den Vereinigten Staaten, infrage gestellt sehen: die Achtung der Würde eines jedes Menschen, der Respekt vor der Andersartigkeit Anderer, die Achtung des Rechts, die Bewahrung der Schöpfung, die Bereitschaft zur Vergebung und zur Versöhnung, die Sicherung eines friedlichen Zusammenlebens - all das fußt auf der Ausbreitung des Evangeliums von Jesus Christus in Europa.
Bildung, soziales Wirtschaften, das Aushandeln von Kompromissen, politische Teilhabe, Gewaltenteilung, kurzum die Grundlagen der Demokratie basieren auf dem im Evangelium Vermittelten.
Gerade weil das Evangelium so stark auf den Menschen in seiner Freiheit und in seinem Gebunden-sein an Gott verweist; der Mensch nicht auf sich allein zurückgeworfen bleibt.
Und: keine andere Religion setzt sich so mit dem durch Menschen verursachten Leid und der Gewalt in ihrem Glaubensvollzug auseinander, wie ist der christliche Glaube, basierend auf dem Evangelium, der Leidensgeschichte von Jesus Christus tut.
Was ringen wir im christlichen Glauben um den Menschen: Um uns, um die Fähigkeit in uns gewalttätig zu werden, einander mit Hass und Häme zu begegnen, uns wechselseitig abzusprechen, es gut zu meinen.
Was ringen wir bis heute um unsere verkümmerte Fähigkeit, halbwegs friedlich zu streiten, nicht den Menschen als Person, sondern seine Haltung oder seine Position zu kritisieren. Und über allem einzusehen, dass auch ich nicht frei von Fehlern und Schuld bin.
Aber es ist gerade der christliche Glaube, es ist gerade die aus dem Evangelium ableitbare Unterscheidung zwischen einer Person und seiner Handlung, zwischen Mensch und Werk. Und es ist auch die aus dem Evangelium von Jesus abgeleitete Orientierung auf den Ausgleich innerhalb einer Gemeinschaft, auf den Schutz des Lebens, auf die Ungerechtigkeit und das daraus abgeleitete Ringen um ein gerechtes Miteinander.
Es ist und bleibt der Auftrag der Kirchen und unser Auftrag als Christinnen und Christen, die Gesellschaft - und damit auch die politisch Verantwortlichen in dieser Gesellschaft - daran zu erinnern und zu mahnen, dass Recht und Gerechtigkeit die vom Evangelium abgeleitet Maßstäbe sind, die ein geordnetes und sich Miteinander in der Gesellschaft befördern und den Zusammenhalt fördern.
Liebe Gemeinde, was mich an dem heutigen biblischen Text aus der Apostelgeschichte besonders beeindruckt, ist das Aufeinander-folgen und Verwoben-sein der ganz großen Linie – des Wegs des Evangeliums nach Europa, die Ausbreitung des christlichen Humanismus auf dem Kontinent und gleichzeitig die berührende Perspektive hinein in eine individuelle Lebenssituation.
Auch das ist heute, am Tag der Wahl des Deutschen Bundestages, ein Geschenk. Denn es ist ja auch heute so: es geht um das große Ganze, um die Entwicklung Europas – und es geht um ganz konkrete, individuelle Themen.
Haben Sie es auch mit verfolgt, wie wir erst mit Paulus und Timotheus mitgenommen wurden auf den Weg nach Europa - und dann in Philippi, am Schabbat, plötzlich mit den beiden vor die Tore der Stadt gehen und dort eintauchen in das Alltagsgeschehen am Fluss.
Wer ist da? Die Frauen sind da. Und unter ihnen eine mit dem Namen Lydia. Sie stammt, dass der Region Lydien.
Vermutlich war sie früher Sklavin, hat es aber zur Freiheit gebracht, und als Purpur-Händlerin zu einem gewissen Wohlstand gebracht.
Frauen wie Lydia kommen da zusammen, tauschen sich aus, bedenken das Leben, beten gemeinsam, leben ihren Glauben.
Ganz gezielt gehen Paulus und Timotheus nicht in die Synagoge, sondern sie suchen die Menschen dort auf, wo die beieinander sind. Sie gehen vor die Tore der Stadt. Sie gehen über die Grenzen der sozialen Bezüge hinaus und tauchen ein in den Alltag der Menschen.
Willkommen Evangelium von Jesus Christus mitten im Leben.
Und dann geschieht es: Dort, mitten im Leben, entfaltet das Evangelium plötzlich seine Kraft. Eine gottesfürchtige Frau – Lydia - hörte Paulus und Timotheus zu.
Mit einem Satz kann die Apostelgeschichte das auszudrücken, was jetzt geschieht: Der tat der Herr das Herz auf. So, dass sie darauf achthatte, was von Paulus geredet wurde.
Mehr ist gar nicht nötig, um dem Evangelium Kraft zur eigenen Entfaltung zu verleihen. Was von Paulus gesagt wurde, was Paulus gepredigt hat, verändert hier das Leben nicht nur dieser Frau mit Namen Lydia, sondern mit einem nächsten knappen Satz erfahren wir, dass es alle, die mit ihr zusammen in ihrem Haus waren, betraf. Als sie aber mit ihrem Haus getauft war, bat sie (uns) und sprach: Wenn ihr erkennt, dass ich an den Herren glaube so kommt in mein Haus und bleibt da.
Liebe Gemeinde, diese Hausgemeinschaft, diese Hausgemeinde wird zur Keimzelle der christlichen Gemeinden – überall in Europa. Nehmen wir heute mit, wie uns die biblischen Worte das Wesentliche christlicher Gemeinschaft offenlegt. Es ist nicht der Ritus, nicht die Feier der Taufe, nicht die Art, wie der Gottesdienst gefeiert wird, der beschrieben wird. All das ist vorausgesetzt. Es ist die Offenheit für die neue Botschaftt. Uns begegnet dieses feine Gespür, dass aus Offenheit etwas Neues erwachsen kann – die nächste Generation eingeschlossen.
Wichtig ist, dass die Begegnungen im Alltag, das Kennenlernen des Evangeliums im Fluss der Zeit, vor den Toren der Stadt, sich auswirkt auf die Hausgemeinschaften.
Eine Gemeinschaft, die aus dem christlichen Glauben heraus sich interessiert zeigt, einladend ist, gastfreundlich auf andere zugeht, entgegenkommend ist, hilfsbereit und mit großer menschlicher Nähe.
Wertschätzend, anerkennend unterwegs ist im Glauben.
Das ist ein gutes Beispiel, wenn wir heute Räume suchen, in denen wir neu Verständnis und Verständigung lernen können.
Wenn wir als Kirchen solche Verständigungs-orte offenhalten und als solche wahrgenommen werden, tragen wir etwas bei zum Wohl unserer Gemeinschaft.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.