Predigt über Josua 1,1-9 Neujahr

  • 01.01.2025 , Neujahr
  • Pfarrer i.R. Christian Wolff

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Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Die Publizistin Thea Dorn wurde vorgestern im Deutschlandfunk gefragt, warum sie im Blick auf das Jahr 2025 zu mehr Zuversicht mahne, wo doch manche Bürger:innen Deutschland am Abgrund wähnen (https://www.deutschlandfunk.de/zuversicht-fuer-2025-interview-mit-schriftstellerin-thea-dorn-dlf-22675f84-100.html). Sie, die sich selbst als Agnostikerin versteht, antwortete, dass sie kürzlich Dietrich Bonhoeffers Aufzeichnungen aus der Gestapo-Haft gelesen hätte. Für sie seien die Gedanken Bonhoeffers zur Zuversicht, zum Optimismus ein „großer Augenöffner“ gewesen. In der Tat: An der Jahresschwelle 1942/43 hat Bonhoeffer in einer Art Resümee der Jahre 1933-1943 einen Abschnitt über „Optimismus“ geschrieben. Dort lesen wir:
Optimismus ist in seinem Wesen keine Ansicht über die gegenwärtige Situation, sondern er ist eine Lebenskraft, eine Kraft der Hoffnung, wo andere resignier(t)en, eine Kraft, den Kopf hochzuhalten, wenn alles fehlzuschlagen scheint, eine Kraft, Rückschläge zu ertragen, eine Kraft, die die Zukunft niemals dem Gegner lässt, sondern sie für sich in Anspruch nimmt. … Es gibt Menschen, die es für unernst, Christen, die es für unfromm halten, auf eine bessere irdische Zukunft zu hoffen und sich auf sie vorzubereiten. Sie glauben an das Chaos, die Unordnung, die Katastrophe als den Sinn des gegenwärtigen Geschehens und entziehen sich in Resignation oder frommer Weltflucht der Verantwortung für das Weiterleben für den neuen Aufbau, für die kommenden Geschlechter. Mag sein, dass der Jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht.
(Dietrich Bonhoeffer, Nach zehn Jahren. Rechenschaft an der Wende zum Jahr 1943, in: ders., Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hrsg. von Eberhard Bethge. Neuausgabe, München 1970, S.25ff)

Auch im Predigttext für diesen Neujahrstag, ein Abschnitt aus dem Buch Josua (es folgt im Ersten Testament den fünf Büchern Mose) geht es um Zukunftsaussichten, um Zuversicht und Verantwortung in einer Welt voller Ungewissheiten. Nach der Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten und der sich daran anschließenden 40-jährigen Wanderung durch die Wüste stand das Volk Israel kurz vor der Inbesitznahme des gelobten Landes. Dieser aufregende Weg, voller Irrungen und Wirrungen, ist untrennbar mit dem Namen des Moses verbunden. Allerdings war es Mose nicht vergönnt, den Einzug in das gelobte Land zu erleben. Mose starb kurz vor dem Ziel. So blieb es seinem Nachfolger Josua vorbehalten, den Einzug zu organisieren – eine Aufgabe, der er sich angesichts der äußeren und inneren Bedrohungen, Widersprüche und Begehrlichkeiten kaum gewachsen sah. Darum wendet sich Gott direkt an ihn, um ihn zur neuen Aufgabe zu ermutigen. Damit beginnt das Buch Josua:

Nachdem Mose, der Knecht des Herrn, gestorben war, sagte der Herr zu Josua, dem Sohn Nuns, dem Diener des Moses: Mein Knecht Mose ist gestorben. Mach dich also auf den Weg, und zieh über den Jordan hier mit diesem ganzen Volk in das Land, das ich ihnen, den Israeliten, geben werde. Jeden Ort, den euer Fuß betreten wird, gebe ich euch, wie ich es Mose versprochen habe. Euer Gebiet soll von der Steppe und vom Libanon an bis zum großen Strom, zum Euphrat, reichen - das ist das ganze Land der Hetiter - und bis zum großen Meer, wo die Sonne untergeht. Niemand wird dir Widerstand leisten können, solange du lebst. Wie ich mit Mose war, will ich auch mit dir sein. Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht. Sei mutig und stark (Luther übersetzt: sei getrost und unverzagt)! Denn du sollst diesem Volk das Land zum Besitz geben, von dem du weißt: Ich habe ihren Vätern geschworen, es ihnen zu geben. Sei mutig und stark, und achte genau darauf, dass du ganz nach der Weisung handelst, die mein Knecht Mose dir gegeben hat. Weiche nicht nach rechts und nicht nach links davon ab, damit du Erfolg hast in allem, was du unternimmst. Über dieses Gesetzbuch sollst du immer reden und Tag und Nacht darüber nachsinnen, damit du darauf achtest, genau so zu handeln, wie darin geschrieben steht. Dann wirst du auf deinem Weg Glück und Erfolg haben. Habe ich dir nicht befohlen: Sei getrost und unverzagt? Fürchte dich also nicht und hab keine Angst; denn der Herr, dein Gott, ist mit dir bei allem, was du unternimmst.
Josua 1,1-9 – Übersetzung nach „Gute Nachricht Bibel“

Es war dieser Text, der im vergangenen Jahrhundert dazu herhalten musste, in unsäglichen Kriegspredigten vor allem während des 1. Weltkrieges zwischen 1914 und 1918 gewaltsam vollzogenen Expansionismus religiös zu rechtfertigen. Diejenigen, die dafür in den Krieg geschickt wurden und auf den Schlachtfeldern ihr Leben ließen, hatten auf ihren Koppelschlössern das stehen, was wesentlicher Inhalt des Predigttextes ist: „Gott mit uns“. Dass Gott auf dem Hintergrund des Predigttextes für die eigenen Interessen instrumentalisiert und nationalistisch-militärische Gewalt gegen andere abgesegnet wurden, kommt nicht von ungefähr. Denn Hintergrund ist die durchaus auch gewalttätige Landnahme des Volkes Israel nach der langen Wüstenwanderung. Sie wird direkt angesprochen:
Jeden Ort, den euer Fuß betreten wird, gebe ich euch, wie ich es Mose versprochen habe. ... Niemand wird dir Widerstand leisten können, solange du lebst.

Heute werden wir so nicht mehr reden können. Heute müssen wir um des Friedens und des Bekenntnisses zu Gott als dem Schöpfer allen Lebens willen darauf bestehen: Kein Staat, keine Nation ist - auf Kosten von anderen Ländern – erweiterungsbedürftig und erweiterungsberechtigt! Keine Staatsmacht hat das Recht, sich fremde Territorien einzuverleiben.
Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist,
der Erdkreis und die darauf wohnen.

Psalm 24,1
heißt es im 24. Psalm. Damit wird angedeutet: Land kann niemals bleibendes Eigentum einer Privatperson oder einer Nation sein. Land ist wie unser persönliches Leben immer eine zeitlich, körperlich-geistig und geographisch begrenzte Gabe Gottes. Dieser global gültige Aspekt des biblischen Glaubens galt und gilt in besonderer Weise für Israel - das Land der Verheißungen, das Ursprungsland des christlichen Glaubens. Erst recht gilt es für die, die – wie die Terrorgruppen der Hamas, der Hutis oder der Iran - Israel von der Landkarte löschen wollen. Niemand also sollte heute den letzten Vers des Predigttextes als Rechtfertigung eigener Machtansprüche missverstehen: 
… der Herr, dein Gott, ist mit dir bei allem, was du unternimmst.

Ob und wie Gott „bei allem“ ist – das entscheidet Gott allein. Es kann nicht bestimmt werden durch egoistisch-nationalistische Partikularinteressen. Wir wissen aus der Geschichte Israels, wie oft sich Gott im Zorn von Israel zurückgezogen hat, wie er das eigene Volk in einem zermürbenden Machtkampf den Feinden preisgegeben hat, bis es schließlich deportiert wurde und das eigene Land verlor – und das, obwohl die führenden Israeliten glaubten, Gott sei mit ihnen. Aber sie übersahen, dass ihre eigenmächtigen Expansionsgelüste längst den Rang und die Bedeutung Gottes eingenommen hatten und damit dem 1. Gebot widersprachen: „Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus dem Ägypterland, aus der Sklaverei befreit habe; du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ (2. Mose 20,1)

Die Warnung davor, aus diesem Text die Rechtfertigung von kriegerisch durchzusetzenden Herrschaftsansprüchen abzuleiten, hat eine starke Bedeutung für das ganze Leben und für alles, was 2025 auf uns zukommt – gerade auch im Blick auf den Angriffskrieg des Putin-Russland gegen die Ukraine, die militärischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten, die martialisch vorgetragenen Besitzansprüche Chinas gegenüber Taiwan und des zukünftiges Präsidenten der USA Donald Trump gegenüber Panama, Kanada und Grönland. Das Motto für das neue Jahr kann und darf nicht heißen Land- und Besitzvermehrung, auch nicht Inbesitznahme und Sesshaftwerdung, sondern Aufbruch, Erneuerung, Beschränkung – und internationale Solidarität. Wir haben zu lernen, die Grenzen unseres Lebens, die Grenzen unserer Kräfte, die Grenzen unserer Zeit, die Grenzen unserer Möglichkeiten - und natürlich auch die Grenzen unseres Landes anzuerkennen. Gerade darin können wir Möglichkeiten entdecken, unser Leben zu entfalten, ohne Besitzansprüche zu stellen.

Darum hat es einen tiefen Sinn, dass Gott seine Rede an Josua mit der kurzen Feststellung beginnt: 
Mein Knecht Mose ist gestorben.
Der Tod ist die deutlichste Grenze unseres Lebens. Diese Grenze musste auch Moses erfahren. Denn er starb, bevor das Volk Israel das gelobte Land erreichte. Sein Tod wird in der Bibel als Folge von mangelndem Vertrauen und von Untreue gegenüber Gott gedeutet (vgl. 4. Mose 20). So sind Gottes Verheißungen immer verbunden mit deutlichen Grenzziehungen und Beschränkungen. Doch die Grenzen, die der Tod setzt, und die Beschränkungen, die Gott uns zumutet, heben sein Versprechen nicht auf:
Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.
Das ist die gute Nachricht an den Josua. Das ist die gute Nachricht an uns. Das ist die gute Nachricht, die durch Jesus von neuem in Kraft gesetzt wurde. Darum kann Bonhoeffer schreiben:
Aber den Optimismus als Willen zur Zukunft soll niemand verächtlich machen, auch wenn er hundertmal irrt; er ist die Gesundheit des Lebens, die der Kranke nicht anstecken soll.
(aaO, S.25)

Ja, dass ein Dietrich Bonhoeffer von den Nazis ermordet wurde, dass wir im vergangenen Jahr viele Hoffnungen und Wünsche haben zu Grabe tragen müssen, dass wir Menschen verloren haben, ohne die unser Leben ärmer geworden ist, dass uns Leitfiguren abhandengekommen sind, ohne die uns neue Aufbrüche kaum möglich erscheinen, dass wir starken Beschränkungen unterworfen und Verlustängsten ausgesetzt sind - das alles soll die Verheißung Gottes an Josua nicht außer Kraft setzen:
Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht. Sei getrost und unverzagt.
Unsicherheit und Furcht vor der Zukunft sind also angesichts dieser gegenüber Josua mehrfach wiederholten Zusage des Schutzes Gottes wenig angebracht. Gott hat sein Volk trotz des Tanzes um das goldene Kalb nicht verlassen. Er ermutigt Josua zu Beginn seines Weges in ein unbekanntes, in ein Neuland mit der Zusage: 
... der Herr, dein Gott, ist mit dir bei allem, was du unternimmst.
Zwischen unbewältigter Vergangenheit und ungewisser Zukunft erfährt Josua so die große Zusage Gottes für die Gegenwart: Zeit, Ermutigung und Solidarität.

Fühlen wir uns also angesprochen von diesen Zusagen Gottes:
•    Du, Mensch, du brauchst nicht ständig den verpassten Gelegenheiten hinterherzulaufen. Du musst dich nicht in eine atemlose Aufholjagd begeben, brauchst nicht zu denken, dich selbst oder andere für 40 Jahre Wüstenwanderung entschädigen zu müssen. Sieh Mose an! Der musste sich schließlich auch mit dem Schauen, mit der Erwartung begnügen und konnte trotzdem in Frieden sterben. 
•    Du, Mensch, bei allem, was du erleben wirst im Neuland des neuen Jahres, wird Gott bei dir sein. Er hält an dir fest, auch wenn im neuen Jahr Menschen und Mächte an dir herumzerren, dich verwickeln wollen in den elenden Existenzkampf um materielles Wohlergehen. Gott ist mit dir, auch wenn du dir verloren vorkommst in dem Meer von Angeboten und Anforderungen.
•    Du, Mensch, Gott teilt sein Leben mit deinem. Was du zu tragen hast, trägt er mit. Wo du erschöpft bist, schenkt er Ruhe und Erquickung. Bist du hungrig, so gibt er dir zu essen und zu trinken. Wo du ungeduldig wirst, schenke er dir Zeit. Seine Solidarität mit dir hat eine Gestalt, ein Gesicht, einen Namen: Jesus Christus. Er geht für dich den Weg voran in das neue Land, auch in das Neuland des Jahres 2025. Du kannst ihm voller Vertrauen folgen.

Diese Zusagen Gottes ermöglichen uns eine aktive Teilnahme am Leben. Sie ermöglichen uns eine verantwortliche und an den Geboten Gottes gebundene Existenz. Diese Bindung ist allein schon deswegen notwendig, damit wir aus der überschwänglichen Verheißung nicht ableiten: uns Menschen sind alle Mittel erlaubt, um die Verheißung Wirklichkeit werden zu lassen. Damit also aus dem Weg ins gelobte Land, aus dem Weg in die uns noch fremde Zeit des neuen Jahres weder ein zielloses Umherirren noch eine zwanghafte Landerweiterung werden, fordert Gott den Josua und mit ihm jeden von uns auf:
... achte genau darauf, dass du ganz nach der Weisung handelst, die mein Knecht Mose dir gegeben hat. Weiche nicht nach rechts und nicht nach links davon ab, damit du Erfolg hast in allem, was du unternimmst. Über dieses Gesetzbuch sollst du immer reden und Tag und Nacht darüber nachsinnen ...

Haben wir dieses Zutrauen in die Weisungen Gottes, in seine Gebote, auch in ihre Notwendigkeit? Zumindest sollten wir daran denken, was aus Menschen geworden ist bzw. wird, wenn sie Lebenswege gehen, ohne immer wieder nachzusinnen über die Gestaltung der Ziele und Wege; welche Haltlosigkeit, welche Trostlosigkeit, welche zerstörerischen Kräfte daraus erwachsen, wenn wir unser Leben meinen nicht mehr vor Gott verantworten zu müssen. Maßlosigkeit, Gewalttätigkeit, Rücksichtslosigkeit, Lustlosigkeit dem Leben gegenüber, Frust und Verdruss sind einige der Folgen, derer wir heute gewahr werden und denen wir im vergangenen Jahr oft fassungslos gegenüberstanden. Da ist die mörderische Todesfahrt des Taleb Al Abdulmohsen durch den Magdeburger Weihnachtsmarkt genauso zu benennen wie die schamlose, blasphemische, gefährliche Selbstüberhebung und alle Werte zerstörende Plünderungspolitik eines Wladimir Putin, Donald Trump oder Elon Musk.

Wir kommen ohne verlässliche Werte, ohne moralische Bindung, ohne die 10 Gebote und Jesu Entfaltung dieser Gebote in der Bergpredigt nicht aus. Kein Haus kann gebaut oder renoviert werden ohne ein Gerüst; und selbst Beton zerfließt, wenn er nicht verschalt und mit Moniereisen versehen wird. Legen wir also den Irrglauben ab, als sei uns Menschen der aufrechte Gang möglich ohne die Gerüststangen von Gottes Wegweisung, als könnten wir uns dem Nächsten helfend zuwenden, uns zum unter die Räuber gefallenen Menschen nieder bücken, ohne zuvor den Halt des Glaubens und mit ihm Zuversicht erfahren zu haben. Es wird Zeit, dass wir den notwendigen Zusammenhang zwischen Glaubensgehorsam und einem gesunden Selbstbewusstsein, zwischen Halt und Haltung, zwischen Freiheit und Bindung wieder entdecken – und an die nächste Generation weitergeben.

Es wird zu den großen Aufgaben der Kirchgemeinden im neuen Jahr gehören, in Gottesdiensten, im Unterricht, im gemeindlichen Leben immer wieder an diesen Zusammenhang zu erinnern und ihn zu leben. Wir benötigen ein intensives Bemühen darum, dass Menschen eine ethische Orientierung für ihr Leben und dadurch auch Haltung gewinnen. Nur dann werden wir auch spüren, wie uns die Zusage Gottes in der Suche nach einem neuen Selbstbewusstsein und nach Optimismus helfen und festigen kann:
Sei mutig und stark,
Sei getrost und unverzagt.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Christian Wolff, Pfarrer i.R.
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