Predigt 2. Christtag

  • 26.12.2024 , 2. Christtag
  • Kirchenrat Lüder Laskowski

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Liebe Gemeinde,


eben war die zweite Kantate aus dem Weihnachtsoratorium zu hören. Tief hinein ging es in die Weihnachtsgeschichte. Draußen in der Nacht da beenden nichtsahnend die Hirten ihre Arbeit. Die Tiere haben sich niedergelegt. Der Tag ist vorbei. Sie erwarten nichts mehr – mindestens nicht heute Abend, vielleicht auch nicht in ihrem Leben. Doch unerwartet leuchtet es grell.
Wir haben Weihnachten zu einem milden freundlichen Fest gemacht. Aber eigentlich wirbelt es alles durcheinander, weckt Furcht und fasziniert zugleich. Das herzergreifende weiche Bild des schlummernden Kindes ist nur eines von mehreren, die um die Krippe herumgestellt werden. Eines der Gegenbilder ist der Sturm der Engel, der durch die Nacht fegt.
In den Alltag der Hirten bricht eine Wirklichkeit, die sie nicht überblicken und erfassen können. Furcht ist die natürlich Reaktion, Erschrecken, ungläubiges Staunen. Schließlich gehen die Hirten zögerlichen Schrittes hin zum Stall, zum Kind. Sie sind doch so fasziniert von der Geschichte, dass sie sich ihr nicht entziehen können.
Die Hirten fürchten sich, weil sie die Situation nicht überblicken, sie übersteigt ihre Auffassungsgabe. Es werden uns Menschen vorgestellt, die sich ihrer Grenzen bewusst werden. Die weglaufen müssten, würden sie ihren natürlichen Instinkten folgen. Und die dennoch Fuß an Fuß setzen und sich aufmachen und losgehen um zu sehen, was da geschehen ist. Sehen, wie Gott die Welt verändert. Zwischen angstgetriebenem Fluchtreflex und der Anziehungskraft der Verheißung ist ihr Weihnachtsweg beschrieben. Die Musik hat uns mitgenommen in diesen Zwischenraum. Der Wiegengesang geht über in den stürmischen Jubel der Engel und dieser mündet fast direkt in eine erleichterte Zustimmung der Hirten.
Diese Bewegung wird im heutigen Predigttext auf andere Weise gleichfalls vollzogen. Und uns damit eine Brücke gebaut in unsere Wirklichkeit, auch wenn es erst einmal vielleicht nicht so klingt. Paulus eröffnet seinen Brief an die Gemeinde in Rom mit den folgenden Worten:
Röm1,1 Paulus, ein Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel, ausgesondert zu predigen das Evangelium Gottes, 2 das er zuvor verheißen hat durch seine Propheten in der Heiligen Schrift, 3 von seinem Sohn, der geboren ist aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch, 4 der eingesetzt ist als Sohn Gottes in Kraft nach dem Geist, der da heiligt, durch die Auferstehung von den Toten – Jesus Christus, unserm Herrn. 5 Durch ihn haben wir empfangen Gnade und Apostelamt, den Gehorsam des Glaubens um seines Namens willen aufzurichten unter allen Heiden, 6 zu denen auch ihr gehört, die ihr berufen seid von Jesus Christus. 7 An alle Geliebten Gottes und berufenen Heiligen in Rom: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!“ Gott segne an uns dieses Wort.
Weihnachten wird immer wieder neu und unverdrossen gefeiert. Warum eigentlich? Schauen wir Schritt für Schritt noch einmal in diesen komplexen Text und ganz bewusst auf die Motive und Themen, die Weihnachten berühren. In ihnen ist bewahrt, was Paulus das Evangelium Gottes nennt. Eine gute Nachricht, die zu uns herüberweht aus alter Zeit, nach der die Welt aber bis heute neu geordnet wird.
Die erste wesentliche Passage lautet: „… verheißen hat durch seine Propheten in der Heiligen Schrift …“. Was wir heute feiern, kommt – wir erinnern uns an die Hirten – unerwartet, aber nicht ohne Hintergrund. Paulus ist wichtig, dass sich an diesem Tag eine Zusage erfüllt, die einer langen wirkmächtigen Tradition entspringt. Über Jahrhunderte wurde die Geschichte Israels reflektiert und dabei stets neu ins Verhältnis zu dem einen Gott gesetzt. Israel hat immer wieder die Ereignisse zusammengesetzt, die sein Schicksal bestimmten, suchte ganz bewusst nach den alle Zeiten durchziehenden Hoffnungsspuren, die sich im auf und ab der Geschichte abzeichneten. Durch das Dickicht der verworrenen und widersprüchlichen politischen Lagen schlugen sie Schneisen, die halfen, die Gründe des Scheiterns zu verstehen.
Die Propheten halten fest: trotz aller Tiefschläge und der durchschlagenden Fehler der Menschen und ihrer Herrscher, setzt sich Gott durch – weil ihm nicht gleich ist, was geschieht. Weil ihm sein Volk am Herzen liegt. Das ist die Kernaussage. Die Spanne an Indizien ist weit, in der die Propheten das entdecken. Sie zeigen dorthin, wo sich die Freiheit Bahn bricht. Sie schauen auf Zuneigung und Liebe, die sich in den breiten Strom von Ignoranz und Lieblosigkeit stellen. Sie loben die Führer, die wirklich Verantwortung übernehmen. Selbst im Schmerz erkennen sie Fünkchen von Hoffnung, in der lautstarken Klage gegen Gott. In demütigem Schweigen wiederum, so sagen sie, ist das Lied zu hören, das Gott dem Leben singt. Oder mit heutigen Worten: wir sind dem All nicht egal.
Mit diesen Deutungen prägen die Propheten des alten Israel starke Ideen. Denn sie würdigen das Kleine im Großen. Sie stellen infrage, was stark genannt wird und achten, was vermeintlich schwach ist. Sie reden dringlich und anders von Armut und Reichtum. Sie heben Bilder ins Bewusstsein, in denen nun gesprochen werden kann. Vom Licht in der Finsternis. Vom leidenden Gottesknecht, der alle ihm zugedachte Bosheit überwindet und so zu neuem Leben durchbricht. Vom Volk Israel, das nicht in Verzweiflung oder Nihilismus versinkt, sondern auf den Messias hofft.
Daran schließt Paulus den Gedanken an: „… der geboren ist aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch“. Der Text des Bass-Rezitativs in der erklungenen Kantate weist ebenfalls auf die Herkunft Jesu: „Was Gott dem Abraham verheißen, das lässt er nun dem Hirtenchor erfüllt erweisen.“ Der Verweis auf die Hirten trägt in sich den Bezug zu David, dem Hirtenkönig. Und zugleich werden sie zu Boten, zu den Erben der Propheten.
Für Paulus jedenfalls ist klar, dass sich die Tragweite dessen, was geschehen ist, darum auch nicht ablösen lässt von der Herkunft Jesu. Sie wird überhaupt erst verständlich, wenn man den Propheten zugehört hat. Fassbar wird Jesus und sein Handeln aus diesem Raum der Erfahrung, den Israel beschrieb. Denn Jesus war ein jüdischer Mensch. Er trug diese Geschichte in sich.
Nun setzt Paulus einen neuen Akzent, indem er fortfährt: „… (der) eingesetzt ist als Sohn Gottes in Kraft nach dem Geist“. Hier ist eine Unterscheidung gemacht, die in der Weihnachtsgeschichte selbst angelegt ist. Die Hirten sind ganz Menschen. Maria ist ganz Mensch. Und Josef sowieso – wir haben es in der Evangelienlesung gehört. Aber da ist noch etwas anderes. Eine andere Wirklichkeit, die erschrecken kann, aber nicht unberührt lassen wird. Sie wird sichtbar in dem Lichtsturm, den die Engel entfachen. Paulus ist fest davon überzeugt, dass sich die hoffnungsvolle Deutung, die Verheißung, nun in neuer Weise endlich Bahn bricht in der Welt. In letzter Konsequenz im Sieg des Lebens über den Tod. Denn er beendet seine Linie aus der Vergangenheit in die Gegenwart mit den Worten: „… der da heiligt, durch die Auferstehung von den Toten“. Das muss weitergegeben werden. Darum schreibt Paulus an die Römer. Das ist sein Angebot zur Orientierung im Dickicht der widersprüchlichen Ereignisse. Das ist seine Linie, um in diesem Zwischenraum zu bestehen.
Nun hören wir ihm zu und wir werden danach gefragt, wie wir klarkommen mit dem Durcheinander, der Unübersichtlichkeit in unserer Zeit. In der nach Disruption – früher nannte man das Revolution – gerufen wird. Alles behauptet werden kann und nichts geglaubt wird. Weltweit Gewalt, Denunziation und Lüge mit neuer zerstörerischer Kraft als legitimes Mittel der Politik betrachtet werden. Undurchdringlich das Dickicht scheint, in dem wir uns verirrt haben. Der Tod gewinnt.
Nehmen wir die Linie ernst, die Paulus für uns vorgezogen hat, orientieren wir uns an ihr. Denn die Welt ordnet sich, indem wir Zusammenhänge herstellen. Klarheit stellt sich ein in den Geschichten, in denen sich die Wirklichkeit sortiert. In ihnen entwirren sich uns auch die vielen Widersprüche, die uns über den Kopf zu wachsen drohen. Das tun wir nie voraussetzungslos. Es gibt keine objektive Erkenntnis.
Das haben auch Andere verstanden. Sie spinnen Geschichten zu ihrem eigenen Nutzen. Sie kombinieren die Elemente der Wirklichkeit nach ihrem Belieben, um ihrer Macht willen. Es ist nun an uns zu entscheiden, worauf wir schauen. Starren wir auf die Untergangspropheten? Flüchten wir vor den Auseinandersetzungen um die Deutungshoheit? Verheddern wir uns im Dickicht der Halbwahrheiten und der Furcht? Glauben wir an eine Welt ohne Gott?
Oder folgen wir der Geschichte, die Paulus an den Anfang seines Briefes stellt? In deren Mitte die Versöhnung von Fleisch und Geist steht, wie sie auch die Hirten auf dem Feld im grellen Licht der Engel und hernach im milden Licht des Stalles erlebt haben. Dort ist nichts mehr ohne Gott. Seitdem ist er immer schon da. Mit seiner Liebe und Gnade ist er die Mitte der Welt.
Paulus ist klar: der gedankliche Ausgangspunkt ist entscheidend dafür, wie ich auf die Welt zugehe. Darum schreibt er diese Sätze als die ersten seines Briefes. Dieser Glaube begründet seinen Auftrag. Ich bin davon überzeugt. Wenn heute der Sinn für Sendung und Transzendenz erlahmt. Und zugleich einem säkularen Humanismus, der sich für ach so überlegen hielt, die Luft ausgeht, wird der Glaube wieder wichtiger. Nicht weil er sich blind hingibt und sich alles erzählen lässt. Sondern weil er diese entscheidende Voraussetzungen hat. Er ist nicht beliebig. Er ist eingebettet in die Geschichte, die Gott mit den Menschen geht. Bevor die Welt in den Blick kommt, ist diese Entscheidung schon getroffen. Davon zu erzählen ist der Auftrag, den Paulus uns weitergibt.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.