Predigt über Lukas 16

  • 11.06.2023 , 1. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Predigt über Lukas 16 – Reicher Mann und armer Lazarus zum Bachfest am 1. Sonntag nach Trinitatis, 11. Juni 2023, Marktplatz Leipzig um 10 Uhr mit Aufführung der Kantate BWV 75 „Die Elenden sollen essen“

 

Link zum Kantatentext: BWV 75 (ualberta.ca)

Die Predigt wurde zwischen Teil 1 und Teil 2 gehalten.

 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Ab wann ist man reich, liebe Bach-Fest-Gemeinde?

Ist man reich, solange es jemanden gibt, der noch weniger hat als man selbst?

Und umgekehrt: Ist man arm, solange man jemanden kennt, der mehr Vermögen besitzt als man selbst?

Ab wann ist man reich? – Diese Frage geht mir stets durch den Kopf, wenn ich die Parabel vom reichen Mann und dem armen Lazarus lese.

Ich könnte diese Frage statistisch beantworten.

Dabei käme es sehr darauf an, welche Bezugsgrößen ich verwendet. Statistisch gesehen besitzen der Millionär und der Bettler jeweils 500.000 €.

Das nützt dem Letzteren jedoch überhaupt nichts.

Nehmen wir z. B. den Sudan, das Land mit einem der niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen weltweit als Bezugspunkt, sind alle Menschen in unserem Land reich. Ich wage sogar zu behaupten, dass niemand von Ihnen hier am Sonntagmorgen wirklich hungern muss.

Mit dieser Hintergrundfolie auf die Parabel von Lazarus gehört, fährt dann doch schnell auch der Schrecken in die Glieder. Denn wir kommen unweigerlich zu dem Schluss: Wir sind hier alle der Reiche, dessen Tisch sich biegt, der mit Freuden und Freunden Festmähler hält, sicher im Frieden lebt und dessen größtes Problem die Entscheidung ist, ob der Latte Macchiato mit Soja- oder Hafermilch zubereitet werden soll.

Was wäre dann die Konsequenz, liebe Bach-Fest-Gemeinde? Schauen wir auf die Parabel, hieße die Antwort – Wir landen alle im Ort der Qualen.

Wir könnten daran auch nichts ändern, weil es schlicht zu spät ist. Oh weh!

Wo bleibt da das Evangelium, die frohe Botschaft?

Verbrennt sie im Fegefeuer?

Natürlich nicht. Um sie jedoch zu entdecken, brauchen wir einen Perspektivwechsel. Dazu lädt Jesus Christus ein. Denn er möchte seinen Hörerinnen damals und seinen Hörern heute, vor allen Dingen die Augen öffnen für eine neue Sichtweise auf ihr eigenes Leben.

 

Reichtum ist per se nicht verwerflich. Der Evangelist Lukas buchstabiert diesen Gedanken in Gleichnissen mehrfach durch. Was jedoch verwerflich ist, wenn ich Reichtum nur für mich selbst nutze. Diesbezüglich gibt es aus biblischer Perspektive keinen Kompromiss.

Geld und Vermögen vernebeln schnell den Blick für den Menschen, der mir bildlich gesprochen vor die Tür geworfen wird wie Lazarus in unserem Evangelium. Da liegt er nun, übersät von Geschwüren, matt und abgemagert, voller Sehnsucht nach den essbaren Abfällen des Festmahles. Er hat noch nicht einmal mehr Kraft, die lästigen Hunde abzuwehren, die auf der Suche nach Essen seine Geschwüre lecken. Die Teilnahmslosigkeit gegenüber der nackten Armut eines Bruders oder einer Schwester als Folge überbordenden Reichtums ist verwerflich.

Die Namenlosigkeit des Reichen unterstreicht das deutlich – teilnahmslos, rücksichtslos, namenlos.

Der Reiche in unserem Gleichnis ist Ausdruck einer empathieinsuffizienten Lebensweise, die ausschließlich nur eigenes Wohlbefinden zum Ziel hat.

Ganz anders der Arme. Er bekommt einen Namen. Lazarus-Gotthelf und dieser Name ist Programm.

Wo menschliches Vermögen zu Unvermögen wird, braucht es Gottes Hilfe.

 

„Wer in der Welt den Himmel sucht…“

 

Die von J. S. Bach komponierte Kantate „Die Elenden sollen essen“ teilt die Gedanken aus dem Gleichnis in zwei Teile auf. Im Tenorrezitativ des ersten Teils hörten wir von der Umkehrung der Verhältnisse. Wie bei Marias Lobgesang: Gott erhöht und stürzt.

 

 

Reich Gottes ist eine Verheißung. Sie lässt sich nach der Lesart des Lukas mitgestalten. Jedoch wird der Himmel auf Erden schnell zur Hölle, wenn der Mensch die Vorzeichen umkehren will. Und immer dort, wo politische Systeme den Himmel auf Erden verheißen haben, war die Folge großes Leid, Krieg, Diktatur und Unterdrückung. Den Himmel auf Erden kann ich mir als Mensch weder kaufen noch zurechtbasteln.

 

„Gib, Gott, dass wir es nicht verscherzen!“

 

Welch ein grandioser Satz, wie für unsere Zeit gemacht, liebe Bach-Fest-Gemeinde.

Gibt, Gott, dass wir unsere Zukunft nicht verscherzen heißt doch:

Wecke uns auf aus dem Schlaf der Selbstsicherheit! Öffne uns die Augen für Not und Elend vor unserer Haustüre!

Erwärme die Herzen und mach in ihnen Platz für Deine Liebe.

Im zweiten Teil der Kantate, den wir gleich hören werden, wird die gelegte Spur „Mein Jesus soll mein alles sein!“ weiterverfolgt und führt letztlich zum heilvollen Ziel für die angefochtene Seele des Glaubenden.

Um auf dieser Spur zu wandeln braucht es die in der Bergpredigt beschriebene geistliche Armut. Sie vertraut mehr auf Gottes Kraft als auf spirituelle Höchstleistungen als Währung für Gottes Wohlgefallen.

 

Aber was ist denn nun mit dem Reichen?

Hat er gar keine Chance?

Wir werden Rechenschaft abgeben müssen für unsere Lebensweise.

Es ist eben nicht egal, wie wir leben. Und am Ende kann auch niemand sagen: Sorry, wir haben es nicht gewusst. Allzu gerne versuchen wir uns mit solchen Sätzen reinzuwaschen und rauszureden.

Der Evangelist Lukas kontrastiert hier so stark, weil er auf das Gebot der Nächstenliebe abhebt. Es lässt sich in den schon bekannten Heiligen Schriften finden.

Eines Wunderzeichens bedarf es nicht.

Deshalb umso eindringlicher der Hinweis.

Lest mehr in der Bibel, und zwar die richtigen Stellen. Dort findet ihr das Dreieck aus Gottesliebe-Nächstenliebe und Eigenliebe als Schlüssel für ein gelingendes Leben.

Christus wird nicht vergessen, was wir tun oder unterlassen. Da könnte einem angst und bange werden. Doch jetzt kommt diese wunderbare Wiederentdeckung aus der Reformationszeit. Christus lässt uns auch nicht im Stich. Denn seine Liebe ist unendlich größer als unsere Vorstellungskraft von Recht und Gerechtigkeit. Seine Liebe ist sogar so groß, dass er für unsere Schuld einsteht und wir eine himmlische Zukunft haben. Glauben muss ich aber schon, dass Christus, das für mich tut. Im Bassrezitativ des 2. Teils der Kantate heißt es:

„Wer nur in Jesus bleibt, die Selbstverleugnung treibt, dass er in Gottes Liebe sich gläubig übe, hat, wenn das Irdische verschwunden, Sich selbst und Gott gefunden“.

Aus der Vorstufe zur Hölle wird eine wahre Selbstfindung mit Christus ganz ohne Atemkurs und Yogaübung. In der tätigen Nächstenliebe findet der Mensch zu sich und zu Gott.

„Sieh, so fließ aus dem Glauben die Liebe und die Lust zu Gott und aus der Liebe ein freies williges fröhliches Leben, dem Nächsten umsonst zu dienen“, so Martin Luther in seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“.

Die Menschen zur Nächstenliebe locken – darin liegt die Zukunft der Kirche, liebe Bach-Fest-Gemeinde.

Dafür braucht es nicht viel mehr

als ein weites Herz, aus dem alles entwichen ist, was uns unnötig fesselt und hindert,

sowie den empathischen Blick für unsere Umgebung

und das Vertrauen, dass Gott es wohltut. Amen.

 

Pfarrer Martin Hundertmark

(hundertmark@thomaskirche.org)