Motettenansprachen Gedenken an Dietrich Bonhoeffer (1906-1945)

  • 11.04.2025
  • Pfarrer i.R. Christian Wolff

PDF zu den Ansprache vom 11. / 12.  April 2025

Ansprache am 11. April 2025

Am Mittwoch dieser Woche jährte sich zum 80. Mal der Todestag von Dietrich Bonhoeffer. Nach fast zweijähriger Gestapo-Haft wurde er im Konzentrationslager Flossenbürg erhängt. Wir wollen heute und morgen an diesen bedeutenden theologischen Lehrer und Märtyrer unserer Kirche erinnern – nicht, um aus ihm eine Heldenfigur oder einen Heiligen zu machen. Aber wir benötigen gerade in bedrängter Zeit Vorbilder des Glaubens und Mahner zur Aufrichtigkeit. Zu diesen gehören auch die am gleichen Tag, also am 9. April 1945, auf direkten Befehl von Adolf Hitler ermordeten Georg Elser (er verübte am 8. November 1939 in München ein Attentat auf Hitler) und der Schwager von Bonhoeffer Hans von Dohnanyi, führender Kopf der Widerstandsbewegung gegen das Nazi-Regime.

Bonhoeffer war einer der Wenigen, die von Anfang an das Nazi-Regime als verbrecherisch durchschauten und die militante Judenfeindlichkeit als Gotteslästerung anprangerten. Er versuchte, das Evangelium von Jesus Christus diesseitig, also der Wirklichkeit zugewandt und den Widersprüchen des Lebens ausgeliefert, zu verstehen. Am 21. Juli 1944, einen Tag nach dem missglückten Hitler-Attentat, schrieb Bonhoeffer:
Ich dachte, ich könnte glauben lernen, indem ich so etwas wie ein heiliges Leben zu führen versuchte ... Später erfuhr ich und ich erfahre es bis zur Stunde, daß man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt. 
Bonhoeffer zeigt damit auf, dass sich der Glaube erst im Vollzug des wirklichen Lebens entwickelt.

Zu Beginn der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts befürwortete Bonhoeffer als einer der wenigen deutschen Intellektuellen und Theologen eine pazifistische Grundhaltung. So lehnte Bonhoeffer die Institution des Krieges zu einem Zeitpunkt kategorisch ab, als führende Kirchenleute in Sachen Krieg noch vom „wahren Gottesdienst“ sprechen konnten und in Deutschland eine beispiellose Aufrüstung begann. 1932 sagte Bonhoeffer auf einer internationalen Jugendfriedenskonferenz:
Der heutige Krieg vernichtet Seele und Leib. Weil wir aber den Krieg keinesfalls als Erhaltungsordnung Gottes und somit als Gebot Gottes verstehen können, und weil Krieg anderseits der Idealisierung und Vergötzung bedarf, um leben zu können, darum muß der heutige Krieg, also der nächste Krieg, der Ächtung durch die Kirche verfallen ... Wir sollen uns ... nicht vor dem Wort Pazifismus scheuen. 

Zwei Jahre später fragt er in einem Vortrag: „Wie wird Friede?“ und antwortet:
Friede ist das Gegenteil von Sicherung. Sicherheiten fordern heißt Mißtrauen haben, und dieses Mißtrauen gebiert wiederum Krieg. ... Friede heißt sich gänzlich ausliefern dem Gebot Gottes ... Kämpfe werden nicht mit Waffen gewonnen, sondern mit Gott. 
Diese pazifistische Grundhaltung ließ bei Bonhoeffer den Wunsch wachsen, Mahatma Gandhi, den großen Lehrer der Gewaltlosigkeit, kennen zu lernen. In Gandhis Strategie des gewaltlosen Widerstands sah Bonhoeffer eine Chance, den Nationalsozialismus wirksam zu bekämpfen. Doch es kam nie zu einer persönlichen Begegnung.

Dafür kam es aber bei Bonhoeffer zu entscheidenden Weiterentwicklungen seiner Gedanken. Angesichts der „Maskerade des Bösen“ , der Vernichtung der europäischen Juden und der Verbrechen des 2. Weltkriegs, ging Bonhoeffer Anfang der 40er Jahre in den politischen Widerstand. In dieser Zeit spürte Bonhoeffer: Sein eigener ethischer Rigorismus greift nicht mehr. Er hatte den Verdacht, dass es zu sehr um die eigene Vollkommenheit geht. Jetzt muss es aber zum 
Wagnis der auf eigenste Verantwortung hin geschehenen Tat (kommen), die allein das Böse im Zentrum zu treffen und zu überwinden vermag. 
Bonhoeffer sah sich der Entscheidung darüber ausgesetzt, welche Schuld größer ist: die der Duldung oder die der Beseitigung der Hitlerdiktatur. Er war der Überzeugung: Wer nicht bereit ist, Hitler zu töten, wird - ob er will oder nicht - mitschuldig am Massenmord. Andererseits lässt er keinen Zweifel daran, dass jede Anwendung von Gewalt Schuld bedeutet. So notiert er: 
Wer sich in der Verantwortung der Schuld entziehen will ... stellt seine persönliche Unschuld über die Verantwortung für die Menschen, und er ist blind für die heillosere Schuld, die er gerade damit auf sich lädt. 

Wenn wir dies heute bedenken, dann nicht, um gegenwärtige Waffengänge theologisch zu rechtfertigen. Vielmehr soll uns bewusstwerden, dass uns die Diesseitigkeit des Glaubens tief in die Widersprüche des Lebens führt. An keiner Stelle hat Bonhoeffer seinen pazifistischen Ansatz widerrufen. Vielmehr ist das jesuanische Gebot der Gewaltlosigkeit für ihn Voraussetzung dafür, jede Gewaltanwendung als Schuld, also als Versagen anzusehen - auch wenn sie als verantwortliche Tat geschieht. Das gilt insbesondere für alles Töten, auch für das Töten aus Notwehr, auch für den Tyrannenmord. Darum ist es einem Christenmenschen verwehrt, eine gewalttätige Auseinandersetzung wie dem Krieg zu einer vor Gott gerechtfertigten Tat zu erklären. Wohl können ethische Prinzipien und verantwortliches Handeln in Widerstreit treten, aber sie heben sich nicht gegenseitig auf. Wir dürfen also niemanden vorschnell aus dem Konflikt entlassen:
•    auf der einen Seite die Gewaltlosigkeit als die einzig mögliche Lebensäußerung des Christen;
•    auf der anderen Seite die Wirklichkeit der Gewalt und des Krieges, die nach der verantwortlichen Tat schreien.
Wo wir diesem Konflikt ausweichen, idealisieren wir unsere ethischen Prinzipien oder vergötzen die Gewalt. Beides ist von Übel. Also bleibt es für uns Christen beim Vorrang der Gewaltlosigkeit und dabei, dass jede Gewaltanwendung ein schuldhaftes und darum bis zum Äußersten zu vermeidendes Handeln ist. Das ist das, was wir in kriegerischen Zeiten als Christen und als Kirche nicht müde werden sollten, öffentlich zu bekunden, um so der Option für den Frieden den Vorrang zu geben. Amen.

Gebet

Wir beten mit Worten Dietrich Bonhoeffers :
Herr, mein Gott,
ich danke Dir,
dass du diesen Tag zu Ende gebracht hast;
ich danke Dir,
dass du Leib und Seele zur Ruhe kommen lässt.
Deine Hand war über mir
und hat mich behütet und bewahrt.
Vergib allen Kleinglauben
und alles Unrecht dieses Tages
und hilf, dass ich allen vergebe,
die mir Unrecht getan haben.
Lass mich in Frieden unter Deinem Schutz schlafen
und bewahre mich vor den Anfechtungen der Finsternis.
Ich befehle Dir die Meinen,
ich befehle Dir dieses Haus,
ich befehle Dir meinen Leib und meine Seele.
Gott, Dein Heiliger Name sei gelobt.

Mit Jesu Worten beten wir:
Vater unser …


Ansprache am 12. April 2024

Am 09. April 1945, also vor 80 Jahren, wurde der Theologe, Pfarrer und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) auf direkten Befehl von Adolf Hitler im Konzentrationslager Flossenbürg von den Nazis ermordet. Zuvor war er über zwei Jahre im Gefängnis der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Berlin inhaftiert.
Bonhoeffer wurde gerade 39 Jahre alt. Er stammte aus dem konservativen, deutschnational geprägten, protestantisch-gebildeten Großbürgertum. Dennoch hat er im Gegensatz zu vielen anderen seiner Zeitgenossen das verbrecherische System des Nationalsozialismus von Anfang an durchschaut. Sehr frühzeitig hat er die zunächst befürwortende, dann zögerliche Haltung der Evangelischen Kirche gegenüber dem nationalsozialistischen Terrorregime scharf kritisiert. Auch aufgrund dieser inneren Distanz zur Institution Kirche ging Bonhoeffer nach 1939 in den politischen Widerstand gegen das Terrorregime des Hitler-Deutschland. Für Bonhoeffer war klar, dass Nationalismus, Militarismus, Rassismus mit den Grundsätzen des christlichen Glaubens unvereinbar sind. Doch genau auf diesen drei Säulen, ergänzt um einen gerade im lutherisch geprägten, deutschen Protestantismus wuchernden Antisemitismus, basierte das Nazi-Regime. In einer Zeit, da wir uns des aufkommenden Rechtsnationalismus, des wachsenden Antisemitismus und des Erstarkens autokratischer Systeme zu erwehren haben, möchte ich heute an drei Gedanken Bonhoeffers erinnern: einen im Blick auf die politische Verantwortung, einen im Blick auf das Christsein, und einen im Blick auf das persönliche Leben.
•    Bonhoeffer warnte schon 1933 vor einem totalitären Führerprinzip. Für ihn stand dieses im krassen Gegensatz zum biblischen 1. Gebot: „Ich bin der Herr dein Gott … du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ (2. Mose 20,1). Am 1. Februar 1933, also einen Tag nachdem Adolf Hitler Reichskanzler wurde, hielt Bonhoeffer einen Rundfunkvortrag mit dem Titel „Der Führer und der einzelne in der jungen Generation“ . Darin analysiert er ziemlich hellsichtig das gerade installierte Führerprinzip:
Wo der Volksgeist eine göttlich-metaphysische Größe ist, da hat der Führer, der diesen Geist verkörpert, im eigentlichsten Sinn religiöse Funktion, da ist er der Messias.“ Doch wenn sich der Führer „von dem Geführten dazu hinreißen (lässt), dessen Idol darstellen zu wollen …, dann gleitet das Bild des Führers über in das des Verführers …“Dann spitzt Bonhoeffer zu: „Vor Gott ist der einzelne verantwortlich. Und diese Einzelheit des Stehens des Menschen vor Gott, des Sichunterwerfens unter eine letzte Autorität, ist dort vernichtet, wo die Autorität des Führers oder des Amtes als letzte Autorität gesehen werden. … Führer und Amt, die sich selbst vergotten, spotten Gottes und des vor ihm einsam werdenden einzelnen Menschen und müssen zerbrechen.“ Kein Wunder: Die Übertragung des Vortrags wurde mitten in der Rede abgebrochen – Teil der mit Hitlers Machtübernahme einsetzenden, systematischen Zerstörung jeglicher Meinungsfreiheit. Auf dem Hintergrund dessen, dass sich weltweit Autokraten breit machen, sich als Messias inszenieren und als Erstes demokratische Grundrechte außer Kraft setzen, muten die Gedanken Bonhoeffers wie ein Blick aus der Vergangenheit in die Zukunft an.
•    Bonhoeffer hat deutlich gespürt, dass sich Kirche in ihrer herkömmlichen Gestalt in einer sich säkular entwickelnden Welt überlebt hat. Er kommt zu der steilen These: „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.“  Dahinter steht die Überzeugung, dass sich in einem religionslosen Zeitalter das Verhältnis zu Gott nur in der Zuwendung zum leidenden Menschen abbilden kann. Damit bestreitet Bonhoeffer die institutionelle Vormachtstellung der Kirche gegenüber dem einzelnen Menschen und plädiert für ein „religionsloses Christentum“ in einer mündig gewordenen Welt. Gerade in der fundamentalen Krise, in der sich unsere Kirche heute befindet, ist es wichtig, dass wir uns fragen: Was ist die Aufgabe von uns Christen in einer säkularen Gesellschaft, die zunehmend nichts vermisst, wenn Kirche nicht präsent ist? Welche Inhalte unseres Glaubens sind unentbehrlich für den einzelnen Menschen und das gesellschaftliche Zusammenleben? Bonhoeffer hat auf diese Fragen in einem Brief zur Taufe seines Neffen eine sehr markante Antwort gefunden: „unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und Tun des Gerechten unter den Menschen“. Als Drittes fügt Bonhoeffer noch an: „… und auf Gottes Zeit warten.“  Man kann auch sagen: Für Bonhoeffer bilden Aktion und Kontemplation eine Einheit.
•    Bonhoeffer hat im Angesicht von Krieg, Zerstörung, Tod einen sehr hoffnungsvollen Gedanken zu Papier gebracht. Mit diesem knüpft er an Bachs unvollendetes, plötzlich abbrechendes Werk, die „Kunst der Fuge“, an: „Wenn unser Leben auch nur ein entfernter Abglanz eines solchen Fragmentes ist, in dem wenigstens eine kurze Zeit lang die sich immer stärker häufenden, verschiedenen Themata zusammenstimmen und in dem der große Kontrapunkt von Anfang bis zum Ende durchgehalten wird, so dass schließlich nach dem Abbruch – höchstens noch der Choral: ‚Vor Deinen Thron tret ich hiermit‘ – intoniert werden kann, dann wollen wir uns auch über unser fragmentarisches Leben nicht beklagen, sondern daran sogar froh werden.“  Wir leben in einer Zeit der Ab- und Umbrüche, in einer Zeit, in der das Sterben, dieser radikalste Abbruch des Lebens, immer mehr an den äußersten Rand gedrängt wird – ohne Hoffnungsperspektive, aber mit viel Bitterkeit. Bonhoeffer lenkt den Blick darauf, dass nicht entscheidend ist, wie lange ein Leben andauert, sondern dass in den Bruchstücken des sehr vergänglichen Lebens Sinnhaftigkeit erkennbar bleibt, die neue Zuversicht und Freude am Leben bei denen weckt, die um vergangenes Leben trauern und unter Abbrüchen leiden.
In diesem Sinn können wir Gott danken für das fragmentarische Leben eines Dietrich Bonhoeffer: seinen Mut, seine Klarheit, seine Glaubwürdigkeit - wahrhaft ein Abglanz dessen, was Gott uns allen an Leben ermöglicht. Amen.

Gebet

Wir beten mit Worten Dietrich Bonhoeffers :
Gott, zu Dir rufe ich.
Hilf mir beten
und meine Gedanken sammeln zu Dir;
Ich kann es nicht allein.
Denn in mir ist es finster,
aber bei Dir ist das Licht.
Ich bin jetzt einsam,
aber Du verlässt mich nicht;
ich bin kleinmütig,
aber bei Dir ist die Hilfe;
ich bin unruhig,
aber bei Dir ist der Friede;
in mir ist Bitterkeit,
aber bei Dir ist die Geduld;
ich verstehe deine Wege nicht,
aber Du weißt den Weg für mich.

So beten wir mit Jesu Worten:
Vater unser im Himmel ...


Christian Wolff, Pfarrer i.R.
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