Motettenansprache zum Magnificat BWV 243
- 09.12.2017
- Pfarrer Hundertmark
Motettenansprache zum Magnificat Lk 1, 46ff am 9.12.2017, Thomaskirche zu Leipzig um 15 Uhr
https://www.bibleserver.com/text/LUT/Lukas1
Über kaum eine andere biblische Figur ist so viel gestritten und geschrieben wurden wie über Maria. Mit ihrem Lobgesang aus dem Lukasevangelium steht sie heute im Mittelpunkt der Motette. Lohnenswert ist es, sie aus unterschiedlicher Perspektive zu betrachten.
Maria, das unmenschliche Wesen
Bis zur menschlichen Unkenntlichkeit überzeichnet wurde Maria in der Kirchengeschichte, weil Männer Angst hatten vor selbstbewussten Frauen, die, mit eigenem Geist ausgerüstet, selbstbestimmt ihr Leben gestalten wollten. Denn unheimlich war den männlichen Machthabern eine Frau mit eigener Kraft und eigenem Willen zu sehen. Jene Kraft lässt Maria sagen, was sie selbst erlebt – Gott kehrt Verhältnisse um, zerbricht zementierte Macht. In Marias Lobgesang steckte schon immer Sprengkraft, wenn sie beispielsweise jubelt „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.“ Throne waren Ausdruck patriarchaler Machtansprüche und Machtverfestigungen, ganz egal ob darauf ein Kaiser, ein König oder ein Papst saß. Wer das infrage stellte, legt sich mit einer Macht an, die eben keine Gnade kennt und vor Folter oder Scheiterhaufen nicht zurückschreckte. Maria musste also entrückt werden – zur Heiligen, ja fast zur Göttin erhoben, auf die viel projiziert werden konnte, was sich sonst nicht leben lässt. Die junge Frau wurde zur Jungfrau und zum Dogma erhoben, weil sie so entmenschlicht wurde und damit eben nicht mehr Vorbild sein konnte für andere Frauen mit eigenem Willen und verständigem Geist.
Maria die Protestantin
Mit ihrem Lobgesang protestiert Maria gegen diejenigen, die ihr moralische Verwerfung ankreiden wollen. Auf Gottes Barmherzigkeit vertraut sie und wird nicht enttäuscht. Letztlich macht sie die Erfahrung, dass sie selber eingebunden wird in die lange Geschichte von Gottes Barmherzigkeit „Und die Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten.“ Maria protestiert, indem sie sich ihren widerständigen Geist bewahrt. Der Weg ihres Sohnes ist nicht der Weg, den sie sich wünscht. Harsch spricht Jesus mit ihr. Als sie merkt, er ist ganz anders, kommt es zeitweilig zum Bruch zwischen Mutter und Sohn. Marias widerständiger Geist hilft ihr auch all die Enttäuschungen zu überwinden, hilft ihr aus dem Schmerz darüber, dass mit ihrem Kind so vieles anders verlaufen ist, als sie es sich vorgestellt hatte. Am Ende aber kann Maria ebenfalls mit unter dem Kreuz stehen. Durch den widerständigen Geist versteht sie, die neue Macht ihres Sohnes als eine Macht, die vom Leben kündet.
In der Ankündigung des Engels, dass Marias Kind der Sohn des Höchsten sein wird und durch ihn Liebe eine neue Dimension bekommt, weil Gottes Liebe Gegenwart und Ewigkeit miteinander verschränkt, ist ein Stück Passionsgeschichte schon mit angelegt. Maria lebt diese Passion, bleibt nicht in ihr stecken, sondern wird nach Tod und Auferstehung zur Mitbegründerin der neuen Familie in Jesus Christus. So lebt sie aus jener Kraft, die sie zu Beginn ihrer Geschichte so überwältigt hat, dass sich ihre Lippen auftun, um Gott zu loben.
Maria im Spannungsfeld von Widerstand und Ergebung
Ihr Ausruf: „Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast“ ist eben nicht Ausdruck ergebender Dienstbarkeit gegenüber männlicher Anordnung, sondern Erkenntnis, dass Gott auch mein Leben wenden kann.
Die Maria, die nur auf Empfänglichkeit, Mütterlichkeit, Gehorsam und Biologie festgelegt wird, ist ein Traumbild gestörter männlicher Phantasien. Sie ist zudem auch noch unbiblisch. Gegen solche Traumbilder und Überzeichnungen dürfen wir getrost mit Maria in ihren Protestruf einstimmen, dass Gott die Niedrigen erhöht hat und dass die Kirche dies auch wahr machen soll. Also lasst uns mit Maria kämpfen. Wo Frauen nicht die gleichen Löhne bekommen wie ihre männlichen Kollegen, möge Marias Protestruf laut erschallen. Wo ernsthaft die Frage gestellt wird, ob Frauen Pfarrerinnen sein dürfen, möge Marias Lobgesang solchen Ungeist davonwehen.
Wo Frauen gezwungen werden ihre von Gott geschenkte Schönheit zu verschleiern, möge Marias Widerstandsgeist protestieren.
Der „Herr“ in Marias Worten ist nicht ihr Ehemann, sondern Gott als derjenige, der Neubeginn schenkt, der Verkrustungen aufbrechen kann und Unmögliches in Lebensmöglichkeiten wandelt.
Deshalb: Nur ihm allein die Ehre mit allem, was wir aufzubringen vermögen. Johann Sebastian Bach hat im letzten Satz seines Magnificats diese Aussage vervollkommnet.
Weil Gottes Geist ein Geist der Erneuerung und Veränderung ist, darf kann und muss mit Maria protestiert werden, wo Mächtige ihre Angst vor Erneuerung und Veränderung hinter Arroganz verstecken. Die allerorten erlebbare Überheblichkeit der Macht wird nichts ausrichten können gegen einen widerständigen Geist, der sich in Gottvertrauen ergeben kann. Gesättigt wird der Hunger nach Liebe und Gerechtigkeit, wo sich Menschen darauf einlassen, auch das Unvorstellbare zu wagen und zu leben. Leer ausgehen werden diejenigen, deren Reichtum sich nicht in Menschlichkeit verwandelt, sondern nur der eigenen Machtabsicherung dient.
Was bleibt von Maria im 21. Jahrhundert?
Ihr Jubel über einen Gott, der sie ernst nimmt. Ihre Freue darüber, dass Frohe Botschaft keine Vertröstung ist, sondern unvorstellbar im eigenen Leben wirkt.
Maria ist kein biologisches Phänomen. Sie ist vielmehr ein Beispiel dafür, wie sich ein Mensch ganz ohne Netz und doppelten Boden in Gottes Vertrauen ergeben kann und daraus seine Kraft zum Widerstand zieht. Amen.
Gebet
Barmherziger Gott, wir bitten Dich stärke unser Vertrauen in deine Gerechtigkeit und rüste uns aus mit deiner Kraft, die es uns ermöglicht zu protestieren im Namen der Liebe, die sich uns in deinem Sohn Jesus Christus zeigt. In seinem Namen rufen wir zu Dir: Vater unser im Himmel….