Motettenansprache zu EG 396 - Jesu, meine Freude - Teil 1

  • 24.03.2017
  • Pfarrer Hundertmark

24.3.2017, St. Thomas zu Leipzig um 18 Uhr*

Liebe Motettengemeinde,

zum wiederholten Male durchbohren schreckliche Terrorbilder unsere wohnzimmerliche Ruhe und Frühlingsvorfreude. Der widerliche Anschlag in London vor wenigen Tagen, bei dem ein Auto als Mordwaffe benutzt wurde, lässt uns den Atem stocken. Tote, verletzte Menschen und Seelen, Ratlosigkeit sowie ein Gefühl von ohnmächtigem Handeln bleiben zurück. Da hilft es wenig, dass der Attentäter selber ums Leben gekommen ist.

Sidig Khan, Londons Bürgermeister rief mit sichtbarem Trotz seinen Bürgern zu, dass sich die offene Stadtgesellschaft eines freien Landes nicht einschüchtern lassen wird von feigen Anschlägen, seien sie nun durch verwirrte Einzeltäter motiviert oder von Terrororganisationen durchgeführt. Der Londoner Bürgermeister wird als gläubiger Muslim wohl kaum Berührungspunkte zum Jesusbezug aus dem Choral haben. Doch mir fielen bei seiner Ansprache die Worte aus der dritten Strophe ein.

„Trotz der Furcht dazu. Tobe Welt uns springe, ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh“

Auch wenn die „sichre Ruh“ nur innerlich zur Geltung kommen mag, weil alles Umgebende, tobt, zerspringt oder zusammenfällt, wird doch zum Ausdruck gebracht: Ich habe einen festen Stand, kann auf jemanden vertrauen, der mich nicht im Stich lässt, selbst im größten Hauen und Stechen sich aufbäumender Kräfte, die mein Leben bedrohen. Der Todesrachen ist weit aufgerissen. Permanent sind wir dieser Gefahr ausgesetzt sowohl für unseren Leib, wie auch für unsere Seelen. Höllische Mächte zerren an uns, versuchen uns in ihren Strudel aus Angst und Verunsicherung zu ziehen, um unser gänzlich habhaft zu werden.

Für den Textdichter Johann Franck, dessen erste dreißig Lebensjahre vom gleichnamigen Krieg begleitet waren, wurde dieses Wüten und Toben, dieses sinnlose Menschenlebenzerstören zur Prägung seines Lebens. In Guben geboren kam er nach Ausbildung zum Advokaten in seine Heimatstadt zurück, wurde Ratsherr und später dort auch Bürgermeister bis zu seinem Tode 1677. Die Frage, woran sich festzuhalten, wenn Terror und Krieg wüten, wenn Angst ständiger Lebensbegleiter ist und die Gesellschaft in tiefe Depression verfällt, weil sie den Glauben an das Gute zu verlieren droht, wurde zu existentiellen Überlebensfrage. Viele Texte aus dieser Zeit haben an Kraft nichts eingebüßt -Paul Gerhards Lieder sind ein gutes Beispiel- weil sie abgrundtiefe Noterfahrungen mit einem auf Jesus Christus sich gründenden Glauben in Verbindung bringen. Sie tun das so lebensnah, dass auch heute Anknüpfungspunkte gefunden werden und die Bildsprache zum Symbol wird, welches sich mit eigenem Erfahrungsschatz füllen lässt.

In der ersten Strophe beispielsweise sehnt sich das bange Herz nach verlässlicher Freundschaft. Weil menschliche Erfahrungen Enttäuschungen beinhalten, weil Vertrauen gebrochen wird und wir daran leiden, ist die Sehnsucht nach Verlässlichkeit umso größer. Dass die barocke Sprache hier das Bild von Bräutigam und Gotteslamm zur Hilfe nimmt, ist der Frömmigkeit damaliger Zeit geschuldet. Verstanden haben die Menschen damals, dass ähnlich einer festen, partnerschaftlichen Beziehung, die auf Treue und Verlässlichkeit beruht, sich die Beziehung zwischen mir und Jesus Christus beschreiben lässt. Christi Treueversprechen wird von seiner Seite aus nicht gebrochen. Dass steht den Alltagserfahrungen entgegen und kann für den, der sich seinerseits darauf einlässt, zur beruhigenden Kraftquelle werden.

Als großes Bekenntnis aus der Bedrängnis steht die zweite Strophe, in der es heißt:

„Unter deinen Schirmen bin ich vor den Stürmen aller Feinde frei.“

Wie oft wird der Mitmensch nicht zum Freund, sondern zum Konkurrenten und gelegentlich sogar zum feindlich eingestellten Widersacher, weil es um Ressourcen geht auf dem Karriereweg oder im Kampf um eine auskömmliche Arbeit bzw. im Ringen um politische Konzepte für eine Gesellschaft, die sich gerade neu zu orientieren versucht? In der Tat können solche Feinde uns anstürmen und das Leben schwer machen. Ihre Kräfte können so stark sein, dass der eigene Boden unter den Füßen zu zittern beginnt.

Nicht nur für Johann Franck war es wichtig, dass Jesus Christus in solch unsicheren Zeiten die sichere Bank ist, oder um mit dem Bild der Liedstrophe zu sprechen: „Jesus will mich decken.“ Nichts wird mich aus seiner Macht herausreißen können – das ist und bleibt der feste Glaubensgrundsatz von dem es zu erzählen gilt, gerade und besonders in Zeiten gesellschaftspolitischer Anfechtungen. An Gottes Macht werden sie alle scheitern, all die Kräfte und Mächte all die Ängste und Lebensfeinde.

Darauf zu vertrauen, lädt das Lied, welches wir jetzt singen werden, ein. Amen

*Die Motettenansprache nimmt Bezug auf den Choral EG 396 "Jesu, meine Freude"

1. Jesu, meine Freude,
meines Herzens Weide,
Jesu, meine Zier:
ach, wie lang, ach lange
ist dem Herzen bange
und verlangt nach dir!
Gottes Lamm, mein Bräutigam,
außer dir soll mir auf Erden
nichts sonst Liebers werden.
2. Unter deinem Schirmen
bin ich vor den Stürmen
aller Feinde frei.
Laß den Satan wettern,
laß die Welt erzittern,
mir steht Jesus bei.
Ob es jetzt gleich kracht und blitzt,
ob gleich Sünd und Hölle schrecken,
Jesus will mich decken.
3. Trotz dem alten Drachen,
Trotz dem Todesrachen,
Trotz der Furcht dazu!
Tobe, Welt, und springe;
ich steh hier und singe
in gar sichrer Ruh.
Gottes Macht hält mich in acht,
Erd und Abgrund muß verstummen,
ob sie noch so brummen.
4. Weg mit allen Schätzen;
du bist mein Ergötzen,
Jesu, meine Lust.
Weg, ihr eitlen Ehren,
ich mag euch nicht hören,
bleibt mir unbewußt!
Elend, Not, Kreuz, Schmach und Tod
soll mich, ob ich viel muß leiden,
nicht von Jesus scheiden.
5. Gute Nacht, o Wesen,
das die Welt erlesen,
mir gefällst du nicht.
Gute Nacht, ihr Sünden,
bleibet weit dahinten,
kommt nicht mehr ans Licht!
Gute Nacht, du Stolz und Pracht;
dir sei ganz, du Lasterleben,
gute Nacht gegeben.
6. Weicht, ihr Trauergeister,
denn mein Freudenmeister,
Jesus, tritt herein.
Denen, die Gott lieben,
muß auch ihr Betrüben
lauter Freude sein.
Duld ich schon hier Spott und Hohn,
dennoch bleibst du auch im Leide,
Jesu, meine Freude.

Pfarrer Martin Hundertmark (hundertmark@thomaskirche.org)