Motettenansprache zu BWV 81
- 27.01.2024
- Pfarrer Martin Hundertmark
Motettenansprache zu BWV 81 am 27.1.2024, St. Thomas zu Leipzig um 15 Uhr
Liebe Motettengemeinde,
mit Jesus in einem Boot. Da kann eigentlich nichts schief gehen, oder doch?
In der Kantate für dieses Wochenende wird die kleine Wundererzählung von der Sturmstillung bearbeitet. Jesus fährt mit seinen Jüngern hinaus auf den See. Plötzlich kommt ein Sturm auf. Die Wellen schlagen über dem Boot zusammen. Angst breitet sich aus. Verzweifelt schöpfen die Jünger Wasser aus dem Boot und wecken den im Boot schlafenden Jesus mit großen Vorwürfen auf: Interessiert es Dich nicht, dass wir hier umkommen? Jesus zeigt seine Macht über die angstmachenden Kräfte und fragt seine Jünger nach ihrem Glauben.
Textdichter und Komponist katapultieren dieses Wundererzählung in den Alltag. Und wer genau hinhören mag und genau den Kantatentext auf der Zwischeneben liest, wird entdecken, dass ihnen eine zeitlose Botschaft gelungen ist.
Jeder und Jede von Ihnen, liebe Motettengemeinde, wird Situationen in Erinnerungen haben, in denen man sich fühlte, als ob über einem die Wellen zusammenschlagen. Und je mehr man sich müht, dem Herr zu werden, desto schlimmer wird das Gefühl der Ohnmacht. Dann kriecht die Angst unter die Haut und ergreift vom ganzen Körper Besitz. Und Jesus schläft.
Ach leite mich durch deiner Augen Licht,
Weil dieser Weg nichts als Gefahr verspricht.
Vor ein paar Tagen hatte ich ein kurzes Gespräch mit jungen Menschen, denen es wirklich Angst und Sorge bereitet, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft entwickeln kann.
Es läuft viel schief in unserem Land durch unentschlossenes Handeln, dem permanenten Streitereien der Koalitionäre, sowie mangelnder Präsenz derjenigen, die Verantwortung haben.
Wenn 20-30 % meinen, sie müssten deshalb eine rechtsradikale und faschistische Alternative wählen, damit es ihnen besser geht, ist das erschreckend. Aber, liebe Motettengemeinde, schauen wir auf die anderen 70-80 %. Sie wollen es nicht tun! Das ist doch der Ansatz: Diese Kräfte zu stärken und zu vereinen, jeder mit durchaus unterschiedlicher Motivation. Egal, ob Christ oder Antifaschistin, ob Bildungsbürger oder besorgte alternativ lebende Familienmutter, ob Abiturientin oder frisch gebackener Rentner – nur gemeinsam und zusammen werden wir einer lauten Minderheit die Gestaltungskraft einer großen Mehrheit entgegenstellen können. Wir sind mehr und wir wollen nicht in einem Land leben, das von radikalen Kräften regiert wird. Gemeinsam für eine liebenswerte Stadt, für ein liebenswertes Land mit so bunten und vielfältigen Menschen, wie sie uns durch die schöpferischen Einfälle Gottes geschenkt wurden.
Führen wir sie alle zusammen. Jeder Mensch an seinem Ort in seinem Alltag. Das ist anstrengend und jede und jeder wird eine dicke Kröte zu schlucken haben, wenn es um das Gemeinsame geht. Denn jetzt ist nicht die Zeit für Einzelinteressen, um das eigene Leben angenehmer zu machen. Jetzt ist die Zeit für eine starke Gemeinschaft in einem bunten und vielfältigen Land, zu dessen demokratischen Werten sich diese Gemeinschaft bekennt. Als Christ fällt mir dieses Bekenntnis nicht schwer, deckt es sich doch mit vielen Anliegen Jesu – füreinander einstehen - Schwachen eine Stimme geben – Liebe üben – Böses in Gutes verwandeln, um nur einige zu nennen. Dieses Bekenntnis zu leben, ist deutlich schwerer. Deshalb taucht das Gefühl der Bedrängnis oft auf, wie in der Kantate besungen.
Ein Christ soll zwar wie Felsen stehn,
Wenn Trübsalswinde um ihn gehn,
Doch suchet die stürmende Flut
Die Kräfte des Glaubens zu schwächen.
Entschlossenheit und Besonnenheit sind jetzt gefragt, liebe Motettengemeinde.
Entschlossen dürfen wir in allen Bereichen unseres Zusammenlebens Gesicht zeigen für ein friedliches, würdevolles und demokratisches Zusammenleben. Christus macht uns doch genau dafür stark.
Dazu zählt auch, sich nicht zu scheuen, anzusprechen, dass es neben dem rechtsradikalen auch einen eingewanderten islamischen Antisemitismus gibt, der viel zu lange verniedlicht und ignoriert wurde. Selbstverständlich ist nicht jeder Muslim in unserem Land automatisch ein Antisemit. Aber es gibt leider zu viele davon. Weil es bedauerlicherweise wieder infrage gestellt wird, ist es gerade heute am Tag des Gedenkens an den Holocaust besonders wichtig zu betonen, dass jüdisches Leben zu Deutschland gehört und wir aus unserer Geschichte heraus die Pflicht haben, dieses Leben zu schützen und zu bewahren.
Nie wieder ist eben keine Floskel für Gedenktage.
Nie wieder ist jetzt! Nie wieder soll ein jüdischer Mitbürger Angst haben müssen, wenn er hier sein Leben gestalten möchte. Und dieses „Nie wieder!“ will gemeinsam gelebt werden, liebe Motettengemeinde.
Ebenso zählt dazu, sich entschlossen auf den Weg zu den Menschen zu machen, die ihren Frust und ihre Wut über verpasste Lebenschancen nun meinen an der Wahlurne zu kanalisieren.
Mag sein, dass Jesus in meinem Lebensboot schläft und mich beim Ausschöpfen der Bedrängnisfluten allein machen lässt. Er ist aber da und nicht weg. Allein der Blick zu ihm reicht aus, sagt uns Christus, um sich zu vergewissern: Ich bin bei Dir in allem,
was du tust. Deshalb:
Fürchte dich nicht!
Sei getrost und unverzagt!
Das ist manchmal kaum zu glauben, weil die Realität mit ihren Stürmen und Fluten so mächtig wirkt. Jesus Christus will uns nicht die Angst ausreden, sondern er will sie uns nehmen und auf sich laden, damit der Glaube gestärkt und die todbringenden Kräfte geschwächt werden.
Die wunderbare Bass-Arie der Kantate bringt es auf den Punkt. Stürmen und sich auftürmenden Sorgen werden Ziel und eine Grenze gesetzt. Und dann diese mutmachende Begründung: „mein auserwähltes Kind“
Christus hat uns die Treue geschworen. Wir sind seine auserwählten Kinder. Daran gibt es nichts zu rütteln. Und wer es versucht, dem tritt Christus selbst entgegen und spricht:
Schweig, aufgetürmtes Meer!
Verstumme, Sturm und Wind!
Dir sei dein Ziel gesetzet,
Damit mein auserwähltes Kind
Kein Unfall je verletzet.
Nehmen wir uns Christus zum Vorbild und schleudern den lebensfeindlichen Kräften das „schweig“ und „dir sei dein Ziel gesetzet“ entgegen.
Das heißt: Wir hassen nicht! Sondern wir versuchen uns tagtäglich der Herausforderung: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“ zu stellen. Wer sich dahinter versammeln kann und die Herausforderung, diesen Vers zu leben, annimmt, wird sehr schnell merken, dass es als Christ unvereinbar ist, Parteien oder Gruppierungen zu wählen, die sich gegen das Evangelium Jesu Christi stellen, weil sie nicht allen Menschen gleichermaßen ihre Würde garantieren wollen. Jesu Botschaft ist eine Botschaft des liebenden Werbens. Das gilt es zu verkündigen. Und auf diesem Fundament dürfen und wollen wir als Christen agieren. Liebend für Menschenwürde werben, weil diese uns von Gott geschenkt wurde
und kein verhandelbares Gut ist. Amen.