Motettenansprache "Von guten Mächten treu und still umgeben"

  • 05.01.2018
  • Pfarrer Hundertmark

Motettenansprache am 05.01.2018 über das Wochenlied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ (Evangelisches Gesangbuch Nr. 65). Thomaskirche zu Leipzig um 18 Uhr

Liebe Motettengemeinde,

die ersten Tage eines neuen Jahres sind geprägt von Hoffnungen, von Wünschen und auch noch von mancher Erinnerung an das vergangene Jahr. Wer ist ein Stück auf dem individuellen Lebensweg mit mir gegangen? Wessen Begleitung war mir besonders wichtig? Wo gab es Enttäuschungen, die nun verbunden sind mit der Hoffnung, dass ein neues Jahr auch neue Möglichkeiten bzw. einen Neuanfang bietet? Zu bewältigende Übergange fordern uns heraus in unserer Suche nach Orientierungspunkten und Verlässlichkeiten.

Dietrich Boenhoffer, Theologe und Widerstandskämpfer während der Zeit des Nationalsozialismus, schrieb im Gefängnis Briefe an seine Verlobte Maria von Wedemeyer. Einen dieser Briefe vom Dezember 1944 leitet er mit den Worten ein: „Es ist, als ob die Seele in der Einsamkeit Organe ausbildet, die wir im Alltag kaum kennen. So habe ich mich noch keinen Augenblick allein und verlassen gefühlt. Du und die Eltern, Ihr alle, die Freunde und Schüler im Feld, Ihr seid mir immer ganz gegenwärtig. Eure Gebete und guten Gedanken, Bibelworte, längst vergangene Gespräche, Musikstücke, Bücher bekommen Leben und Wirklichkeit wie nie zuvor. Es ist ein großes unsichtbares Reich, in dem man lebt und an dessen Realität man keinen Zweifel hat. Wenn es im alten Kinderlied von den Engeln heißt: ‚zweie, die mich decken, zweie, die mich wecken‘, so ist diese Bewahrung am Abend und am Morgen durch gute unsichtbare Mächte etwas, was wir Erwachsenen heute nicht weniger brauchen als die Kinder.“ Dann folgen die Zeilen, die uns heute als Lied „Von guten Mächten treu und still umgeben“ überliefert sind.

Hineingeworfen in eine unsichere Zukunft, versucht Bonhoffer Trost sowie Halt zu finden in der Gewissheit, dass sein Leben geborgen ist von einer guten Macht im Gegensatz zu den vielen dunklen und bösen Mächten, unter denen er litt.

„Unser Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet in dir.“ – der Kirchenvater Augustinus hat uns diesen Vers als eine seiner Bekenntnisse hinterlassen. Er passt recht gut zur zweiten Strophe des Liedes. Böser Tage schwere Last drückt Menschen nieder. Wer sich immer nur im Gestern verhaftet weiß, hat gar keine Chance, die Möglichkeiten von Gegenwart und Zukunft zu sehen, geschweige denn zu nutzen. Manch kleine, schwere Päckchen tragen wir auch ins neue Jahr, weil sie schlicht nicht abgelegt werden konnten. Sie belasten und quälen unsere Herzen. Die Last der bösen Tage bleibt meist länger in Erinnerung als die Beschwingtheit froher und glücklicher Stunden. Doch neben all dem Zagen und Jammern über unglückliche Zeit, Tage oder Wochen, wenn Menschen krank gewesen sind oder wenn das Gefühl überhandgenommen hat, dass das eigene Leben gerade misslingt, stehen zwei Dinge:

Die eindringliche Bitte um Frieden und Ruhe für die aufgeschreckte Seele, sowie der Ausblick auf den endgültigen Frieden - auf Gottes Heil, für das wir als seine Menschenkinder geschaffen sind.

In der Kelchstrophe, die wohl die schwierigste des Gedichtes ist, verarbeitet Bonhoeffer das Jesuserlebnis im Garten Gethsemane. „Wenn es möglich ist“, sagt Jesus, „so lass diesen Kelch an mir vorüber gehen. Aber nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe“. Nicht jeder kann den Gedanken dieser Strophe nachvollziehen und in manchem leidverstopften Ohr mag sie sogar zynisch klingen. Wer nimmt schon Leid mit zitterndem Dank entgegen?

Trotz aller Ängste, die auch Dietrich Bonhoeffer kannte, vermochte er seinen Glauben in solch eine Aussage zu fassen. Für andere Hörer spricht daraus die feste Zuversicht, dass Gott uns im Leid beisteht, dass er Maß und Fülle des Erträglichen kennt. Vielleicht kann auch nur jemand, der den Tod vor Augen hat, solche Worte schreiben, um nicht in grenzenlosem Zweifel zugrunde zu gehen.

Wir hören die ersten drei Verse, gesungen vom Thomanerchor

„Doch willst Du uns noch einmal Freude schenken an dieser Welt und ihrer Sonnen Glanz, dann wolln wir des Vergangenen gedenken, und dann gehört dir unser Leben ganz.“ Hier wird deutlich, dass Menschen, ganz gleich in welchem Gefängnis sie sitzen - in ihrem selbstgebauten oder in einem von anderen Menschen gebauten Gefängnis- Hoffnung haben auf eine bessere Zeit, Hoffnung, die sie leben lässt, auch wenn der Tod sie schon umfängt.

Die Bitte um eine letzte Freude, die das Herz noch einmal erwärmt, entspricht dem letzten Wunsch des Sterbenden, den man ihm gewähren soll. Noch einmal möchte ich mit meinen Lieben zusammen sein, noch einmal möchte ich dies oder das tun, eine Reise, einen Besuch, noch einmal die Berge sehen oder die blühende Frühlingswiese - dann bin ich bereit, mein Leben ganz in deine Hand zu geben. Erinnerungen an solche Freuden können zur Kraftquelle werden, aus der wir schöpfen für eine Zukunft mir ihren Ungewissheiten.

Viele Zeitgenossen sehen sich von dunklen Mächten umgeben, die Zugriff auf sie haben. Für den einen zeigt sich das in mancher politischer Entwicklung in unserer Gesellschaft, anderen wiederum gehen Grundwerte verloren, weil Kontrollwahn oder Gewinnwahn alles dominiert.

Die fünfte Strophe erzählt von den Kerzen und dem einen Licht. Bonhoeffer schreibt diese Zeilen kurz vor dem Weihnachtsfest – seinem letzten Weihnachtsfest. Für Hirten und Könige war es das Licht von Betlehem. Seitdem aber lässt Gott sein Licht auch durch uns scheinen. Begegnungen können die Kraft einer wärmenden und hellen Kerze entfalten, die anderen Menschen ihre Dunkelheit erhellt. Möge das neue Jahr viele solcher Begegnungen für uns bereithalten – den Trübsinnigen zum Trost und den Gebenden zur Stärkung.

Das Christusgeschehen, dass Jesus als Gottes Licht in eine von Dunkelheiten dominierte Welt kommt, war für Bonhoeffer stets ein fester Pfeiler seines Glaubens. Ein Christ lebt aus dieser Gewissheit: Jesus als Licht der Welt scheint in der Nacht, auch in der Nacht des Todes. Vielmehr noch, er verwandelt sie in den Tag der Auferstehung. Ich wünsche uns für das Jahr 2018 viel von solcher Glaubensgewissheit, die in Widerstand und Ergebung mündet. Wir brauchen als Kirche und vielmehr noch als Gesellschaft Menschen die widerstehen können, weil sie wissen, dass sie sich in Gott hineingeben können.

Am Ende wird es gut. Das klingt so banal, wie es im Märchen wahr ist. Aus der Feder Bonhoeffers, der den nahenden Tod vor Augen hatte, ist daraus eine Glaubensgewissheit geworden, die heute angefochtenen Menschen Trost und Kraft gibt. In der sich unsichtbar weitenden Welt hören wir den Lobgesang der Kinder Gottes. Seine Melodien sind vielfältig und singen vom Leben mitten in den Todesmächten, die uns umgeben. In solchen Lebensgesang dürfen wir jetzt einstimmen. Amen.

Die Gemeinde singt die Strophen 4-6.

 

Gebet

Herr, mein Gott,

ich danke dir, dass du diesen Tag zu Ende gebracht hast.

Ich danke dir, dass du Leib und Seele zur Ruhe kommen lässt.

Deine Hand war über mit und hat mich behütet und bewahrt.

Vergib allen Kleinglauben und alles Unrecht des Tages

und hilf, dass ich allen vergebe, die mir Unrecht getan haben.

Lass mich in Frieden unter deinem Schutz schlafen

und bewahre mich vor den Anfechtungen der Finsternis.

Ich befehle dir die Meinen, ich befehle dir dieses Haus,

ich befehle dir meinen Leib und meine Seele.

Gott, dein heiliger Name sei gelobt. Amen.

(Abendgebet von D. Bonhoeffer aus dem Gefängnis)