Motettenansprache - Verlorener Sohn

  • 06.10.2017
  • Pfarrer Hundertmark

Motettenansprache am 06.10.2017, St. Thomas zu Leipzig um 18 Uhr (zum Gleichnis Vom verlorenen Sohn, Lukas 15,12ff)

Liebe Motettengemeinde,

„Es wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.“ Über dem neu begonnenen Monat Oktober steht dieser Vers aus dem Lukasevangelium aus dem 15. Kapitel.

Wer freut sich nicht über Wiedergefundenes?

Ich darf sicherlich zu Recht behaupten, dass jeder von uns schon mindestens einmal die Situation kennt: Man wird fast wahnsinnig beim Suchen nach einem bestimmten Gegenstand, einem Buch oder Brief und dann plötzlich, völlig unerwartet taucht das Gesuchte auf. Freude breitet sich aus, gewiss manchmal auch Erleichterung – gerade noch einmal ist alles gut gegangen. Im 15. Kapitel des Lukasevangeliums erzählt Jesus seinen Zuhörern von verloren gegangenen Dingen, zuerst vom Schaf, dann vom Groschen um schließlich auf das Hauptgleichnis vom verlorenen Sohn zu kommen an dessen Ende die Aufforderung zur Freude steht, weil ein verlorener und dadurch totgeglaubter Sohn bzw. Bruder wiedergefunden wurde und lebendig ist. Dieses Gleichnis, unzählig oft gemalt, zählt wohl zu den bekanntesten Geschichten des neuen Testaments. Drei Gedanken möchte ich zu diesem Gleichnis teilen.

Dramatische Ungehörigkeit

Vorzeitig zu fordern, was einem noch nicht zusteht, bringt Probleme mit sich. Erst recht, wenn es sich dabei um ein Erbe handelt. Denn erben tun wir, wenn diejenigen, die etwas zu vererben haben, gestorben sind. Für den jüngeren Sohn dauert das zu lange. Seine Eltern leben noch und er will weg, will eigenen Entscheidungen treffen in Freiheit, ohne Bevormundung durch den Vater oder den älteren Bruder. Verständlich ist dieser Drang zur Freiheit und zu den eigenen Entscheidungen. Unverständlich ist der Hinweis: Ich bekomme dein Hab und Gut ja später sowieso. Wer zuckt da nicht zusammen, wenn Kinder so mit den Eltern reden? Der Bruch ist vorprogrammiert und Lukas als Evangelist setzt das hier geschickt ein, um die Dramatik zu erhöhen.

Tief im Dreck

Das Geld ist alle. „Amicus certus in re incerta cernitur” – „Den wahren Freund erkennt man in der Not“. Die angeblichen Freunde sind verschwunden. Auch hier werden wir an den eigenen Erfahrungsschatz anknüpfen können. In der Geschichte kommt es für den nach Unabhängigkeit und Freiheit strebenden jüngeren Sohn nun ganz knüppeldick. Nicht nur das Geld ist alle, weil er verantwortungslos damit umgegangen ist, nein, eine Not im Land zwingt ihn zur Drecksarbeit. Er muss Schweine hüten.Hält man sich den Hintergrund des Gleichnisses vor Augen, wird umso deutlicher, um welchen Abgrund es sich hier handelt. Ein Jude, der Schweine hüten muss - das geht überhaupt nicht, verstößt gegen alle Reinheitsgebote und -vorschriften.

Ganz tief im Dreck sitzend, als ihm sogar der Schweinefraß verwehrt wird, beginnt sein Nachdenken, das bemerkenswert ist. Er jammert nicht über seine Situation. Er macht auch nicht andere dafür verantwortlich. Er ruft nicht nach dem starken Staat, der seinen Schlammassel jetzt bereinigen soll. Vielmehr denkt er darüber nach, was er selber tun kann, sucht nach Möglichkeiten, wie er überleben kann. Da fällt ihm die Lebensquelle ein – das Haus des Vaters. Selbstverständlich kann man nicht nahtlos an die Beziehung anknüpfen, weil sie verwirkt ist – so realistisch ist der verlorene Sohn. Aber, wenn ihm der Vater das Sohnsein abschlagen wird, so wird er ihm gewiss nicht das Überleben abschlagen – dafür steht der Tagelöhner im Gleichnis. Mit diesem Hoffnungsschimmer im Herzen und in den Gedanken bricht er auf.

Ende gut – alles gut?

Der Vater sieht sein Kind schon von weitem. Das kann nur geschehen, wenn er nach ihm Ausschau gehalten hat. Gott hält nach uns Menschen Ausschau, geduldig und unermüdlich, weil ihm jeder wichtig ist. Der Maler Rembrandt hat in seinem Bild von der Heimkehr des verlorenen Sohnes dieses Moment so kraftvoll gemalt, dass, egal von welcher Seite ich mich als Betrachter dem Bild nähere, mich der Vater immer anschaut. Daran lässt sich der Unterschied zwischen brüchiger Menschenliebe und Menschenfreundschaft sowie unermesslicher Gottesliebe zu uns Menschen festmachen. Gott wartet. Gott wartet auf uns, die wir uns allzu schnell verheddern im Gewirr eines selbstoptimierten Lebens.

Die neuartige Begegnung gebiert aber sofort einen Konflikt. Es geht um Gerechtigkeit, die, je nach Betrachter, doch sehr unterschiedlich gewichtet wird. Für den Vater steht es außer Frage, dass sein Kind immer geliebtes Kind bleibt, egal wie weit es sich von ihm entfernte. Der ältere Bruder schaut auf die faire Verteilung der Güter sowie auf die aus der freien Entscheidung resultierende Verantwortung für sein eigenes Leben des jüngeren Bruders. Nehmen wir Gott als den Vater an, so wird deutlich: Er will vermitteln zwischen dem, der schon immer in seiner Gemeinschaft ist und demjenigen, der nach einer tiefen Krise zurückfindet zur Lebensquelle.

Was wird nun der ältere Bruder machen? Geht er hinein und lässt sich die Freude befehlen? Wie wird der heimgekehrte Sohn reagieren, wenn er seinem Bruder begegnet?

Ich darf sie einladen, über das Ende des Gleichnisses selber nachzudenken, denn es bleibt offen. Vom Hörer will diese Geschichte fortgeschrieben werden und nimmt ihn damit selber mitten hinein. Amen.

Gebet:

Barmherziger Vater im Himmel, du suchst, was sich verirrt hat oder verloren gegangen ist. Dafür danken wir dir. Im Namen deines Sohnes Jesus Christus bitten wir dich am Ende der Woche für alle, die Orientierung suchen in ihrem Leben. Zeige ihnen Wege hin zur Lebensquelle, die wir in Christus finden. Mit seinen Worten rufen wir: Vater unser…