Motettenansprache über das Lied "Es ist das Heil uns kommen her"
- 10.02.2017
- Pfarrer Hundertmark
10.02.2017, St. Thomas zu Leipzig um 18 Uhr
Liebe Motettengemeinde,
Paul Speratus war ein Dichter und Prediger der Reformationszeit. Sein bis auf den heutigen Tag bekanntestes Werk findet sich im Evangelischen Gesangbuch. Unter der Nr. 342* ist das Lied „Es ist das Heil uns kommen her“ abgedruckt. In neun Strophen erzählt uns der 1484 geborene Prediger von Luthers reformatorischer Lehre, die ihn stark beeindruckte. Speratus war zunächst in Salzburg, am Würzburger Dom und auch am Stephansdom zu Wien tätig. Seine Predigten sorgten für Widerspruch; nicht zuletzt deshalb, weil er das Zölibat angriff und später dann selber der Ehelosigkeit absagte. Nach mehreren Stationen, Verfolgungen und Drangsalierungen kam er schließlich über Wittenberg nach Marienwerder und war dort für über zwanzig Jahre lang als evangelischer Bischof von Pomesanien bis zu seinem Tode tätig. Sein reformatorisches Lied muss großen Anklang gefunden haben. Es lässt sich schon in Martin Luthers Liedersammlung von 1523 finden, seinem Entstehungsjahr.
Biblische Grundlage für den Liedtext sind die Verse aus dem Römerbrief im 3. Kapitel. Sie wurden zu Schlüsselstellen des reformatorischen Schriftverständnisses. Gleich in der ersten Strophe lässt sich alles komprimiert finden. Woher kommt das Heil, woher kommt Erlösung für die Menschenseele?
Nicht aus sich selbst heraus. Das ist eines der großen Missverständnisses in der Beziehung zwischen Gott und Menschen: dass wir allzu oft meinen, mit unserem Handeln Gott einen Gefallen zu tun, ihn uns gegenüber wohlstimmen können bzw. durch unsere durchaus guten Werke Einfluss gewinnen auf sein Tun. Wer meint, in die Kirche zum Gottesdienst gehen zu müssen, damit Gott gut zu ihm ist, liegt einem gewaltigen Trugschluss auf. Gott ist gut zu uns, weil er es will und nicht weil wir es erzwingen können. Speratus beschreibt das mit den Worten „von Gnad und lauter Güte, die Werk sie helfen nimmermehr, sie können nicht behüten“.
Dabei lässt sich doch genau in solch einem Behütetwerden die Sehnsucht von uns Menschen entdecken. Wer will nicht behütet sein? Wer wünscht es sich nicht für seine Lieben? Wer sehnt sich nicht nach Geborgenheit, die auch jenseits des erlebbaren Lebens noch gilt? Keiner will verloren gehen. Und auch wenn wir für solche Verlustängste heute andere Begriffe als Hölle oder ewige Verdammnis haben wie noch zu Luthers Zeiten, im Kernpunkt hat sich nichts geändert. Der Mensch ist verloren, wo er nur und ausschließlich auf eigene Fähigkeiten vertraut. Gewiss sind sie wichtig und nützlich. Gewiss steckt manche Gottesgabe dahinter, die es zu entfalten gilt – aber niemals ohne die Rückbesinnung, dass alles, was durch uns gelingt, auch Geschenk Gottes ist – erst recht in Bezug auf unsere Erlösung aus dem schuldverstrickten Netzen, die wir im Laufe des Lebens mit unseren Fehlern weben.
Es braucht jemanden, der für uns eintritt. Für Speratus tritt an diese Stelle logischerweise Christus als Mittler und zwar als einziger Mittler. Mit glaubend, hoffenden Augen dürfen wir auf ihn und sein Werk schauen – das genügt.
In den folgenden Strophen wird die Heilstat Christi entfaltet, der auf die Erde als menschgewordenes Gotteswort kam, um den menschlichen Weg zu gehen ohne Ausnahme und bis zum bitteren Ende, bis zum Tod. Christi Tod wird als Sühnetod gedeutet, der sein musste, damit die Schuld gegenüber Gott beglichen ist. Zugegeben das ist ein Gedanke, der vielen durchaus auch frommen Zeitgenossen erhebliche Probleme bereitet, weil, denkt man ihn zu Ende sich ein Gottesbild entfaltet, von dem wir lieber Abstand nehmen möchten – der zornige Gott, dessen Zorn besänftigt werden muss, um Unheil zu verhindern.
Lassen Sie es mich so erklären: Weil wir Menschen uns tagtäglich, bewusst oder unbewusst, von Gottes Willen entfernen, ist eine Kluft entstanden zwischen uns und Gott. Sie zu überwinden, dafür tritt Jesus ein. Er ist gewissermaßen die Brücke über den Graben, der durch Sünde, sprich Gottesferne, entstanden ist und über den wir nun sicher gehen können.
Damit wir nicht unter der Last unserer Verfehlungen zerbrechen, hat Christus für uns bezahlt. Der Saldo ist ausgeglichen. Der Brückenzoll ist bezahlt. Sein „Tod wird mir das Leben sein, du hast für mich bezahlet.“ Damit öffnet Christus uns eine Tür in seine Gemeinschaft, die sich durch die Taufe gründet, weil er darin sein Versprechen gibt: „Wer glaubt an mich und wird getauft, demselben ist der Himmel erkauft, das er nicht werd verloren.“ In den nächsten beiden Strophen fünf und sechs schließt sich der theologische Bogen. Dort werden nun Glaube und Werke in die richtige Reihenfolge gebracht. Leider ist es bei Protestanten ein oft auftauchendes Missverständnis, dass durch das Geschenk von Gottes Zuwendung und Gnade alles schon geregelt ist und diese Liebestat keine Folgen hat. Gegen die billige Gnade hat Luther selbst geschrieben und Paul Speratus folgt ihm, wenn er schreibt: „Die Werk, die kommen gwisslich her, aus einem rechten Glauben, denn das nicht rechter Glaube wär, willst ihn der Werk berauben. Doch macht allein der Glaub gerecht, die Werk die sind des Nächsten Knecht, dran wir den Glauben merken.“
So dürfen wir aus Glauben leben und zwar ewig geborgen in Gottes Liebe, unserem Nächsten zum Nutze. Und das, was wir aus Liebe Gutes tun an anderen Menschen wird den Glauben sichtbar zum Leuchten bringen. Dazu verhelfe uns Gott. Amen.
*1. Es ist das Heil uns kommen her
von Gnad und lauter Güte;
die Werk, die helfen nimmermehr,
sie können nicht behüten.
Der Glaub sieht Jesus Christus an,
der hat für uns genug getan,
er ist der Mittler worden.
2. Was Gott im G'setz geboten hat,
da man es nicht konnt halten,
erhob sich Zorn und große Not
vor Gott so mannigfalten;
vom Fleisch wollt nicht heraus der Geist,
vom G'setz erfordert allermeist;
es war mit uns verloren.
3. Doch mußt das G'setz erfüllet sein,
sonst wärn wir all verdorben.
Drum schickt Gott seinen Sohn herein,
der selber Mensch ist worden;
das ganz Gesetz hat er erfüllt,
damit seins Vaters Zorn gestillt,
der über uns ging alle.
4. Und wenn es nun erfüllet ist
durch den, der es konnt halten,
so lerne jetzt ein frommer Christ
des Glaubens recht Gestalte.
Nicht mehr denn: »Lieber Herre mein,
dein Tod wird mir das Leben sein,
du hast für mich bezahlet.«
5. Daran ich keinen Zweifel trag,
dein Wort kann nicht betrügen.
Nun sagst du, daß kein Mensch verzag
- das wirst du nimmer lügen -:
»Wer glaubt an mich und wird getauft,
demselben ist der Himmel erkauft,
daß er nicht werd verloren.«
Mk 16,16
6. Es ist gerecht vor Gott allein,
der diesen Glauben fasset;
der Glaub gibt einen hellen Schein,
wenn er die Werk nicht lasset;
mit Gott der Glaub ist wohl daran,
dem Nächsten wird die Lieb Guts tun,
bist du aus Gott geboren.
7. Die Werk, die kommen g'wißlich her
aus einem rechten Glauben;
denn das nicht rechter Glaube wär,
wolltst ihn der Werk berauben.
Doch macht allein der Glaub gerecht;
die Werk, die sind des Nächsten Knecht,
dran wir den Glauben merken.
8. Sei Lob und Ehr mit hohem Preis
um dieser Guttat willen
Gott Vater, Sohn und Heilgem Geist.
Der woll mit Gnad erfüllen,
was er in uns ang'fangen hat
zu Ehren seiner Majestät,
daß heilig werd sein Name;
9. sein Reich zukomm; sein Will auf Erd
g'scheh wie im Himmelsthrone;
das täglich Brot noch heut uns werd;
woll unsrer Schuld verschonen,
wie wir auch unsern Schuldnern tun;
laß uns nicht in Versuchung stehn;
lös uns vom Übel. Amen.