Motettenansprache im Anschluss an das Stück „Zwei Beter“ von Arvo Pärt (*1935) nach Lukas 18,9-14
- 10.05.2025
- Kirchenrat Lüder Laskowski
PDF zur Motettenansprache HIER
Liebe Motettengemeinde,
ich schaue noch einmal auf den Evangelientext, den Arvo Pärt vertont hat und den wir eben hörten. Am Ende seiner Reisen erzählt Jesus dieses Gleichnis. Es bekommt bei Lukas ein besonderes Gewicht durch die Stellung in der Gesamterzählung, markiert eines seiner Grundanliegen.
Das Gleichnis hat einen doppelten Boden. Zunächst beschreibt es einen religiösen Zusammenhang. Der Schriftgelehrte, der Pharisäer, ist sich sicher, dass er genau Bescheid darüber wissen, wie der Glaube funktioniert. Er ist Gott nahe. Übersetzt: er meint den eigenen Grenzen und dem Elend der Welt enthoben zu sein, weil er sie möglichst weit auf Abstand hält. Auch das Leid. Der Pharisäer ist nicht mehr Teil der menschlichen Schicksalsgemeinschaft. Keine Schwäche, kein Scheitern, letztlich kein Irrtum – er macht es richtig, er gehört zu den Guten.
Der Zöllner hingegen ist sich darüber im Klaren, welchen Anteil er selbst am Elend der Welt hatte, hat und immer haben wird. Wie sehr sein Handeln verknüpft ist mit dem Leid anderer. Dass er sich ganz gleich, wie er sich müht, nie lossagen kann von den Verstrickungen, in denen er steht. Es ist das Geld, das ihn hineinzieht. Es seine Position in der Gesellschaft, die ihn korrumpiert. Es ist die eigene Angst und Bequemlichkeit, die sich nicht einfach abstellen lassen und die ihn hindern auszusteigen aus den verhängnisvollen Abhängigkeiten. Sie rücken ihn unendlich weit weg von dem, was er sich erhofft: inneren Frieden, geistige Freiheit, ja Freispruch. Das heute mein Versuch, die religiöse Dimension in Worte zu fassen.
Aber zugleich – und das war auch Jesus bewusst – hat sein Gleichnis eine politische Dimension. Kirche wird oft vorgeworfen, sie sei zu politisch. Sie solle sich auf das Seelenheil der Menschen, auf Trost konzentrieren und dort dabei sein, wo Menschen mit ihren Grenzen zu kämpfen haben. Das stimmt, das spricht Jesus zuerst an. Sein Gleichnis ist aber auch ein schönes Beispiel dafür, wie dicht beides beieinander liegt. Die innere Gestimmtheit, die Haltung zur Welt hat direkte Auswirkungen darauf, wie wir uns einbringen. Sie entscheidet über Tonlage, Urteile, Zielvorstellungen und wirkt damit unmittelbar auf alle Ebenen der Lebensgestaltung.
Und was ist politisch? Die Kunst und Art der Weltgestaltung, an der wir ja alle beteiligt sind. Wie sich der Pharisäer selbst sieht, wie er sein Verhältnis zu seinen Idealen bestimmt, prägt auch sein Handeln. Er wird über den Dingen schweben. Wird klare Urteile abgeben über das, was richtig und falsch ist. Wird sagen: das habe ich ja schon immer gewusst. Wird Verantwortung verschieben: die da haben es wieder nicht hinbekommen. Wird seinen eigenen Anteil leugnen: was gehen mich die Probleme der Anderen an.
Der sündige Zöllner hingegen kann es anders machen. Die tiefgehende Erfahrung der eigenen Verstrickungen wird ihn zur Nachsicht auch gegenüber den Fehlern anderer Menschen führen. Ihn wird die Welt berühren. Er wird vorsichtig mit seinen Urteilen und gnädiger mit sich und den anderen sein. Er kann neugierig bleiben für die Untiefen, die Rätsel, die Geheimnisse des Lebens. Er wird sich fragen, wie kann ich meiner Verantwortung vor Gott in der Welt gerecht werden.
Die Betonung liegt auf „kann“, ich sage nicht „wird“. Es gibt keine Sicherheit. Auch daran erinnert das Gleichnis. Der Übergang vom Pharisäer zum Zöllner und vom Zöllner zum Pharisäer ist fließend. Wie tiefgreifend die Einsicht ist, hängt vom dauerhaften Bewusstsein dafür ab, wie dünn das Eis ist. So schnell ist es geschehen, dass sich der Zöllner zu den Guten zählt, sich etwas einbildet auf seine Demut. Er geht hinaus und nimmt die Erfahrung mit, dass Gott ihn gnädig angesehen hat, dass er sein Leben gesegnet hat, nachdem er ganz unten war. Dann sagt er sich irgendwann: „Als ich demütig war, wurde ich ein besserer Mensch. Jetzt bin so nachsichtig, so aufmerksam für andere, so bescheiden. Jetzt gehöre ich zu den Guten.“
Friedrich Nietzsche hat den zwiespältigen Charakter der Demut gefasst. Er formuliert den Satz um, mit dem Jesus das Gleichnis beschließt. Jesus sagt: „Wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“ Nietzsche sagt: „Wer sich selbst erniedrigt, der will erhöht werden.“ Von wird zu will. Zwei Buchstaben nur ist der Demütige entfernt vom Hochmut. Nur ein kleiner Schritt ist es von der Kritik an der Überheblichkeit zur eigenen Überheblichkeit. Von der Kritik an Besserwisserei zu Besserwisserei. Von dem ehrlich empfundenen inneren Ruf zur Umkehr zu selbstgerechter Überhöhung der eigenen Erkenntnisse.
Woher kommt angesichts dieses schmalen Grates dann Trittsicherheit? Entscheidend ist, mit welcher Feststellung Jesus in den Schluss seiner Bildgeschichte geht: „Dieser ging gerechtfertigt nach Hause, jener nicht.“ Im Raum steht die Möglichkeit, vor Gott neu anzufangen.
Voraussetzung ist, was der Zöllner hier tut. Er sagt: „Gott, ich stehe mit leeren Händen vor dir. Fülle du sie mir. Entlasse mich in die Welt mit der Kraft, die ich brauche, um sie in deinem Sinne zu gestalten.“ Was würde sich nun ändern, wenn wir das Gleichnis Jesu in uns tragen und es mitnehmen ins Leben?