Motettenansprache "Gloria" aus der h-moll Messe von J.S.Bach

  • 20.01.2018
  • Pfarrer Hundertmark

Motettenansprache am 20.01.2018, St. Thomas zu Leipzig um 15 Uhr

Liebe Motettengemeinde,

Heute dürfte, anders als im vierten christlichen Jahrhundert, die Frage nach dem Verhältnis von menschlicher und göttlicher Natur Jesu Christi nicht mehr Marktplatzgespräch sein und für große Auseinandersetzungen sorgen.

Den modernen Zeitgenossen beschäftigen andere Dinge – wer uns zum Beispiel regieren wird und vor allem mit welchen politischen Zielsetzungen. Vielleicht geben die nächsten zwei Tage darüber Aufschluss. Doch ganz so einfach scheint es nicht zu sein, eine Einigung hinzubekommen, ganz ähnlich wie im christologischen Streit, der sich seinerzeit über knapp einhundertdreißig Jahre hinzog.

Im soeben erklungenen Kyrie aus der h-Moll Messe von J. S. Bach umrahmen die beiden Kyriesätze den zweiten Satz, „Christe eleison“, der als Duett gesungen wird.

Zwei Sopranstimmen wollen uns vom altkirchlichen Bekenntnis erzählen: dass Jesus Christus wahrer Mensch und wahrer Gott ist. Dabei handelt es sich nicht um zwei Götter, sondern um zwei Naturen, die göttliche und die menschliche, welche unvermischt und ungeteilt, unverwandelt und ungetrennt zueinander stehen. Dass, was jetzt zugegebener Maßen kompliziert ist, wird durch die von Bach komponierte Musik in wohlklingende Verständlichkeit aufgelöst. Beide Stimmen singen in Sopranlage den gleichen Text auf unterschiedlichen Notenlinien. Man vernimmt deutlich, wie sie zusammengehören, ohne jedoch gänzlich zu verschmelzen oder ineinander aufzugehen. Jede Stimme für sich genommen würde auch schön klingen, aber es würde etwas fehlen. Im achten Satz, dem „Domine Deus“, führt Bach diesen Ansatz fort. Diesmal aber mit Tenor und Sopranstimme, für Gott-Vater einerseits und Jesus Christus andererseits. Wieder wird musikalisch übersetzt, was theologisch zum Bekenntnis wurde: Vater und Sohn gehören zusammen. Im Sohn zeigt sich Gott-Vater in Menschengestalt, um uns Menschen zu erlösen. So vereinen sich dann auch Gott-Vater-Stimme und Sohn-Christus-Stimme genau in dem Moment, wo sie beide vom agnus dei, dem Lamm Gottes, singen. Denn genau jenes Gotteslamm steht für unsere Erlösung. Mit diesen beiden Sätzen gelingt J. S. Bach hier ein musikalisch-theologischer Geniestreich.

In den zwei ersten Gloria-Sätzen klingt weihnachtliche Freude. Sie wird durch Pauken und Trompeten unterstrichen. Wem allein gebührt die Ehre und Anbetung? Gott, der über allem thront, der uns die Welt als seine Schöpfung schenkt und uns in die Verantwortung ruft, sie zu bewahren.

Dafür Worte und Musik des Dankes zu finden, ist eine selbstverständliche Aufgabe seiner Geschöpfe. Im nächsten Chor-Satz „gratias agimus tibi“ fließt der große Lobpreis durch jede Ader und erfüllt den ganzen Raum.

Wäre das nicht eine lohnenswerte Aufgabe für uns am Anfang eines noch jungen Jahres? Mehr loben und danken und zwar nicht uns selbst für die so tollen Dinge, die wir zustanden bringen, sondern Gott. Ihm danken, dass er es mit uns noch aushält, wo wir doch dazu neigen, ihn aus Herz und Gedanken zu streichen. Ihm zu danken für das Geschenk seines Friedens, der die menschliche Seele zur Ruhe kommen lässt, wo sie sich von ihrer Ichbezogenheit lösen kann und Gott mehr zutraut als sich selbst. Ihm zu danken, weil er immer wieder den Neuanfang mit mir armer Kreatur wagt und trotzt größter Zweifel, die ich an ihm hege, mich nicht verloren gibt. Wo Menschen aus Dankbarkeit heraus leben, wird menschliches Zusammensein viel leichter gelingen als da, wo zu allererst auf Mangel und Misslingen geschaut wird.

Zu solch göttlichem Perspektivwechsel lädt christlicher Glaube ein. Die Folge eines solchen Perspektivwechsels wird sich sehen lassen können. Ich schaue dann nämlich nicht zu allererst auf mich und meine Vorteile, sondern nutze Kraft, Vermögen oder Verstand auch dafür, was anderen nützlich und dienlich sein könnte. Für unser Land ist es wünschenswert, wenn möglichst viele Menschen auf allen Ebenen der Gesellschaft sich davon leiten lassen. Die Aufgabe von Christen ist es, daran unablässig zu erinnern.

J. S. Bach hat mit seiner h-Moll Messe musikalische Momente der Ewigkeit geschaffen, die erahnen lassen, wie tief das „Soli Deo Gloria“ ihn bewegt hat und wie es zu einer Lebenshaltung wurde. Als Siegel dafür dient Gottes schöpferische Kraft – sein Geist. Im letzten Satz des Gloriaabschnittes erklingen dementsprechend Jubel und Freude in einer fulminanten Doxologie. Diesem Gott, dem die Liebe über alles geht, die Ehre zu geben, muss, will und darf besungen werden. Hier im „Cum Sancto Spirito“ –Satz klingt Schöpfung, klingt Auferstehung, klingt Leben inmitten von Todesmächten, klingt pfingstliche Kraft ebenso wie friedliche Revolution mit Kerzen und Gebeten. Wir erahnen nur, welche Möglichkeiten jener Geist Gottes hat. Vielleicht führt J. S. Bachs Musik dazu, dass wir uns öfter darauf einlassen. Amen.

 

Gebet

Barmherziger Vater im Himmel. Wir bitten Dich für alle, die unter dem Schweren Orkan gestern Schaden genommen haben an Leib und Leben sowie an Hab und Gut. Lass Hilfe und Trost geschehen durch uns.

Wir danken Dir für Bewahrung in schwerer Zeit, für Stärkung auf schwierigen Wegen und für Mut, wenn wir Entscheidungen treffen müssen. Im Namen Deines Sohnes Jesus Christus, das Zeichen Deiner Liebe, rufen wir zu Dir: Vater unser im Himmel…

Lesung aus dem Philipperbrief

Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:

6 Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,

7 sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.

8 Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.

9 Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist,

10 dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,

11 und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

 

Martin Hundertmark, Pfarrer an St. Thomas zu Leipzig (hundertmark@thomaskirche.org)