Motettenansprache

  • 25.01.2025
  • Superintendent Sebastian Feydt

PDF zur Motettenansprache HIER

Liebe Gäste in der Thomaskirche, 
liebe Gemeinde, 
manche halten es vielleicht für einen Zufall. Ich finde: 
es ist eine Fügung, fast ein Fingerzeig, 
dass gerade heute, am Ende dieser turbulenten Tage, dieser dramatischen Wendung in der Weltgeschichte, der English Choir die Motette kirchenmusikalisch gestaltet. Sängerinnen und Sänger, die aus vielen englischsprachen Ländern der Welt stammen, sicher eine ganze Reihe von Ihnen aus den USA und GB. 

Liebe Gemeinde, ich bin sicher: 
die zurückliegenden Ereignisse seit dem 20. Januar 2025 werden uns nicht mehr loslassen.  

Der Sieg der Willkür über regelbasierte Rechtsnormen. 
Der gewollte und geduldete Bruch des Rechts. 
Die Aushöhlung und Demontage der Basis des Gemeinwesens: 
dass alles Humane, die Menschlichkeit, 
dass ich Vertrauen zu anderen habe, 
dass ich barmherzig bin, 
dass ich bereit bin zu helfen und zu teilen, 
dass das verhöhnt und bewusst aufgegeben wird. 

Am Ende dieser Woche begegnet uns nun der English Choir mit anglikanischer Chormusik des 19. und 20. Jahrhunderts. 
Teils vertraute Klänge, 
teils ungewohnte Weisen. 
Diese Tradition anglikanischer Kirchenmusik zu bewahren, verstehen die Frauen und Männer in ihrer Verschiedenheit, als ihre gemeinsame Aufgabe, das ist ihre Mission. Viele von uns haben, wenn sie in den letzten Tagen die Berichterstattung verfolgt haben, in die Tradition der anglikanischen Kirche schauen können. 
Das reichte von religiös untersetzten Gesten und Worten: Hand auf dem Herz.
God bless America. God save America. 

Aber es reichte auch bis hin zu der beachteten Predigt eine anglikanische Bischöfin, die im Einführungsgottesdienst in Washington die neuen Machthaber mit eindringlichen, klaren Worten   die biblisch begründete Mitmenschlichkeit ans Herz gelegt hat.
Bischöfin Budde hatte gesagt: 
Im Namen unseres Gottes bitte ich Sie, Erbarmen mit den Menschen in unserem Land zu haben, die jetzt Angst haben. Ich bitte Sie, um Erbarmen mit denjenigen in unseren Gemeinden, deren Kinder fürchten, dass Ihnen ihre Eltern weggenommen werden. 
Unser Gott lehrt uns, dass wir barmherzig zu Fremden sein sollen, denn wir alle waren einst Fremden in diesem Land. 
Möge Gott uns die Kraft und den Mut geben, die Würde jedes Menschen zu ehren, 
die Wahrheit zueinander in Liebe zu sprechen und demütig miteinander und mit unserem Gott zu gehen – zum Wohl aller Menschen. 

Wahrnehmungen der letzten Woche – und heute hören wir spätweihnachtliche Weisen, werden wir am Ende des der Epiphaniaszeit erneut erinnert an das Licht, das von dem Mensch gewordenen, dem menschlichen Gott ausstrahlt. Nicht allein in Bethlehem oder im neuen Osten, sondern weit hinaus, weltweit. 

Und dann werden wir direkt angesprochen: lehre, o lehre uns, heiliges Kind, 
lehre uns dir zu gleichen - in deiner Demut. 

Da ist sie wieder, diese Haltung, die nicht zuerst mich selbst sieht und in den Mittelpunkt rückt, sondern mich in eine Beziehung mit anderen – und mit meinem Gott.
Es ist die Überzeugung, mein inneres Bedürfnis, doch Gutes zu tun, zu dienen, 
mit meinem Mut zusammenzuhalten.
Demütig zu sein und zu bleiben   ist und bleibt eine zutiefst jüdisch-christlich begründe Tugend, die uns zu bewahren und vor allem aber zu leben ans Herz gelegt ist.

Es wird darauf ankommen, diese menschliche Haltung demütig zu sein und barmherzig zu sein als Christ und Christen in unsere Gemeinschaft einfließen zu lassen.

Das verlangt viel. Es verlangt mutig zu sein. Denn die Demütigung und Verhöhnung einer solchen zutiefst menschlichen Haltung greifen längst um sich. 
Wer von uns dafür noch einen inneren Schub, Motivation und Unterstützung braucht, wird beides in der Vertonung des Magnifikat, des Lobgesangs der Maria nach Gabriel Jackson hören. 

Marias Blick auf die Welt ist so ungemein von Hoffnung erfüllt, dass man sich an ihren Worten in diesen Tagen nur immer und immer und immer wieder selbst orientieren und ermutigen lassen kann. 

Wir werden es gleich noch hören: 
Angesichts der Machtfülle von Potentaten im Römischen Reich, angesichts bitterer Armut und verheerender sozialer Umstände, setzt Maria mit ihrem Gesang einen Hoffnungspunkt. 
Die hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. Die Gewaltigen stößt er vom Thron und erhebt die Niedrigen.

Liebe Gemeinde, heute hier in dieser mehrsprachigen Mottete! 
Ich finde, nicht nur der Umstand, dass der English Choir Berlin heute hier singt, ist eine Fügung. 

Viel mehr noch sind es die biblischen Worte, die uns den Kern christlicher Glaubenshaltung an die Hand und ans Herz geben. 
In allen Entscheidungen den Menschen zu sehen. Ihm, als Mensch zu begegnen.
Menschlich zu bleiben.

Das hat nichts, aber auch gar nichts damit zu tun, Unrecht nicht Unrecht zu nennen, gravierende Versäumnisse, schwerwiegende Fehler von politisch Verantwortlichen zu benennen und dazu beizutragen, sie abzustellen.

Aber lassen wir uns nicht von populistischer Polemik verunsichern oder gar anstecken, dass Barmherzigkeit, Liebe zum Menschen, Demut vor Gott und den Menschen keine Zukunft haben.
Denn erst wenn sie keine Zukunft mehr hätten, stünde die Zukunft der Welt in Frage.

Nehmen wir uns an, was uns christlich sein lässt. Nehmen wir es mit und - leben wir es. 

Amen