Motettenansprache

  • 13.05.2022
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Motette am 13. Mai 2022

Ola Gjeilo (*5.05.1978, Skui/Norwegen)

Northern Lights (2008) für vierstimmigen Chor

Liebe Gemeine,

heute ist Freitag der 13te – aber es ist vor allem der Freitag zwischen den Sonntagen „Jubilate – jauchzet Gott“ und „Kantate – singet Gott“. Und damit ist es zumindest hier in der Thomaskirche eigentlich die schönste Woche in der österlichen Freudenzeit. Ja, sie ist getrübt diese Freude in diesem Jahr. Immer haben wir das ja mit im Hinterkopf, dieses Verbrechen an den Menschen in der Ukraine, es ist da, auch wenn wir es genießen, draußen zu sitzen bei dem schönen Wetter. Aber wir tun gut daran, das eben auch zu tun, weil wir nicht nur vom Wahren und Guten leben, sondern auch vom Schönen. So ist es wunderbar, dass Thomaskantor Reize für heute ein Stück ausgesucht hat, das in diese Zeit passt. Eins, das von Lust und Liebe handelt, ein Text aus dem alttestamentlichen „Lied der Lieder“ oder auch dem „Hohenlied Salomos“, das so heißt, weil man es früher mal im Umfeld Salomos verortet hat, der ja bekanntlich das Schöne und Prächtige liebte, also auch die Liebe.

Schön bist du, meine Freundin,     

süße und schmucke Tochter Jerusalems.     

Schön bist du, meine Freundin,     

süß und schmuck wie Jerusalem,

furchteinflößend wie ein Kriegsbanner.

Wende deine Augen von mir ab,

da sie die Kraft besitzen, mich davonzujagen.

Hohelied Salomos 6:3

Man muss sagen: Das Hohelied war dem Judentum und auch der christlichen Kirche lange durchaus peinlich. Es war einfach zu erotisch für eine Heilige Schrift. Man hat dann versucht, diese Texte allegorisch auszulegen. Statt zwei verliebten Menschen hat man es im Judentum als ein Gespräch zwischen Gott und seinem auserwählten Volk angesehen und im Christentum ging es um Christus und die Kirche oder um Christus und die Seele des einzelnen Gläubigen. Nur ganz lange eben nicht als das, was es ist: eine Sammlung erotischer Liebesgedichte. Warum soll diese erotische Kraft nicht von Gott sein? Sie ist nicht zu kontrollieren. Und deshalb war sie und ist sie bisweilen immer manchen religiösen Gemeinschaften suspekt. Ja, sie hat eine Kraft, die alles vermag und sie hat auch etwas Furchteinflößendes, so wie das in diesem Werk von Gjeilo ja auch beschrieben ist. Und so heißt es im Hohenlied zum Schluss gewissermaßen als Zusammenfassung: „Liebe ist stark wie der Tod.“

Auf der Internetseite des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL war vor kurzem eine Geschichte zu lesen, die wie eine Nacherzählung des Hohenliedes klingt. Manche Liebende haben einen Mut, da bleibt einem kurz einmal die Luft weg. Da gibt es einen jungen Mann aus Vietnam. Vor zwei Jahren hatte er geheiratet. Seine Frau kam aus Indien. Kaum aber waren sie verheiratet, brach die Pandemie aus. Die beiden waren gerade jeweils in ihrem Heimatland und wurden also getrennt. Es gab keine Chance und kein Visum, von Vietnam nach Indien zu kommen. Und was macht der Liebende, der sich nach seiner Frau sehnt?

Er reist mit Flugzeug und Bus von Vietnam nach Phuket in Thailand. Dort kauft er sich ein Schlauchboot, packt ein paar Sachen ein und will von Thailand nach Indien paddeln, ja: paddeln. Das sind etwa 2.000 Kilometer. Er schafft es nicht. Das Meer ist zu stark. Hohe Wellen setzen ihm schnell eine Grenze. Obwohl: Eigentlich stimmt das nicht. Die Liebe ist grenzenlos. Die Liebe in seinem Herzen. Es geht ja nicht darum, dass er es nicht geschafft hat, nach Indien zu paddeln, was von vorneherein aussichtslos war. Es geht darum, dass sein Herz es gewollt hat, mit jeder Faser, ohne Zaudern. Mit Boot, Paddel, einer Flasche Wasser und zehn Packungen Nudeln, wie zu lesen war. Das konnte natürlich nicht gut gehen. Er war gerade mal 14 Kilometer weit gekommen, als er von Fischern noch rechtzeitig in der Andamanensee vor dem Golf von Bengalen gefunden und gerettet wurde.

Aber sein Herz kam ja dennoch viel weiter. Es hat jede Welle und jede Grenze überwunden. Die ganze Welt liest nun vom Mut dieses Mannes – wie sehnsüchtig er nach seiner Frau war und wie rührend er eingepackt hat für seine Reise.

Ein Herz, das liebt, weiß von keiner Grenze. Es weiß etwas anderes: Liebe ist stark. Stärker als Wind und Wellen. Stärker als Pandemie und Krieg. Wo Liebe ist, fallen Grenzen – in Kopf und Herz. Wahrscheinlich wird es auch das sein, was einmal mit dazu beitragen kann, dass es irgendwann Versöhnung geben kann zwischen den Menschen. Es werden auch die Liebesgeschichten sein zwischen Menschen aus Russland und aus der Ukraine, die hoffentlich einmal mit zur Grundlage werden können sich zu versöhnen. Was anderes sollte uns jetzt eigentlich Hoffnung machen? Wie immer das alles einmal werden wird, wer weiß das jetzt. Aber eins ist jetzt schon gewiss: Ohne die Kraft der Liebe wird es nicht gehen. Mal wieder nicht. Gott sei Dank für diese Gabe. Amen.

Gebet

Unser Gott, am Ende dieser Woche kommen wir vor Dich. Und wir sind wieder hier mit all unserem Entsetzen über das, was Menschen Menschen antun können. Wir sind traurig, ratlos, wütend und hilflos. Und so bitten wir Dich: Hilf uns, dass wir uns auf die Kräfte besinnen können, die Du uns täglich schenkst. Die Kraft zu lieben. Die Kraft mitzufühlen. Die Kraft zu denken und zu handeln. Sei mit und bei allen, die jetzt Leid tragen müssen, die trauern und verzweifeln möchten. Hilf Du uns allen, dass es ein Ende haben kann damit. Herr, unser Vater im Himmel, nimm Dich der Deinen an…

Hymnus von Mykola Lyssenko

Vaterunser

 

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org