Motettenansprache "Die 12 Artikel der Bauern von 1525 – Ein Manifest der Freiheit"

  • 07.03.2025
  • Pfarrer i.R. Christian Wolff

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Gestern vor 500 Jahren begann eine Zusammenkunft mit erheblicher Wirkungsgeschichte. Im oberschwäbischen Memmingen trafen sich die Bauernhaufen Süddeutschlands. Am Ende stand die Verabschiedung der „12 Artikel der Bauern“. Mitverfasst wurden sie vom Memminger Reformator Christoph Schappeler. In kurzer Zeit fanden diese Artikel große Verbreitung: 25.000 Exemplare wurden gedruckt und in ganz Deutschland verteilt. Die Bauernaufstände waren aber keine Bewegung, die sich ausschließlich in Thüringen zwischen Mühlhausen und Bad Frankenhausen abspielte und vor allem mit dem Namen Thomas Müntzer verbunden war. Das ist eine verengte Sicht. Die Bauern bildeten in ganz Deutschland ihre sog. „Haufen“, um ihre Rechte gegen die Fürsten und Feudalherren einzuklagen. Dabei verstanden sie sich als Teil der Reformationsbewegung im 16. Jahrhundert.

Leider sind die 12 Artikel heute kaum mehr bekannt – stehen aber in ihrer Bedeutung für die Freiheitsentwicklung Europas den 95 Thesen Martin Luthers vom 31. Oktober 1517 in nichts nach. Denn die 12 Artikel können als eines der frühesten Dokumente gelten, in denen Menschen- und Freiheitsrechte gefordert werden – als notwendige Konsequenz aus der biblischen Glaubensüberzeugung: Leibherr eines Menschen kann nur Gott sein, nicht aber ein Fürst oder Adelsherr. Leider sind die 12 Artikel der Bauern völlig überlagert von dem grausigen Geschehen der Bauernkriege 1524/25, in denen die Fürsten brutal ihre Macht und Pfründe verteidigten und die Bauern auch nicht gerade zimperlich reagierten. Leider wird auch in unseren Kirchen der 12 Artikel der Bauern kaum gedacht – was sicherlich auch damit zu tun hat, dass sich Martin Luther mit Thomas Müntzer völlig überworfen hatte.

Doch was steht nun in den 12 Artikeln (Die Zahl 12 knüpft an die 12 Apostel an)? Zunächst fordern die Bauern, dass „wir … über die Fähigkeit und die Macht verfügen, dass die gesamte Gemeinde selbst ihren Pfarrer wählen und bestimmen darf. Weiter die Macht, ihn wieder abzusetzen …“ Mit diesem 1. Artikel wollten die Bauern klarstellen, dass alle Hierarchie vor Gott und den Menschen keinen Bestand hat – eine Überzeugung, die auch heute nottut und in den Kirchen noch immer nicht eingelöst ist. Im 2. Artikel geht es um die Abgabe des „Zehnten“. Mit diesem sollen die (gewählten) Pfarrer bezahlt werden (nicht aber der katholische Klerus, Klöster oder Bistümer). Mit dem übrigen Geld soll Vorsorge für Kriegs- und Notzeiten getroffen und Armenpflege betrieben, also eine Art öffentlicher Haushalt aufgebaut werden. Der 3. Artikel ist in seiner Bedeutung sicherlich der weitreichendste. Denn hier wird die Leibeigenschaft bestritten. Diese wird als „zum Erbarmen“ angesehen „angesichts der Tatsache, dass uns Christus mit dem Vergießen all seines kostbaren Bluts erlöst und freigekauft hat, und zwar den Hirten gleichermaßen wie den Höchsten … Deshalb ergibt sich aus der Schrift, dass wir frei sind und sein wollen.“ Damit beziehen die Bauern das, womit auch Luther das Priestertum aller Gläubigen begründet hat, auf ihre soziale Stellung und fordern gleiche Freiheitsrechte für alle.

Diese Forderung wird dann in den weiteren Artikeln auf unterschiedliche Bereiche angewandt. So sollen die Jagd- und Fischereirechte neu geregelt werden (4. Artikel); die natürlichen Güter wie Holz sollen gerecht verteilt werden (5. Artikel); die Frondienste, also die Arbeitsverhältnisse der Leibeigenen, sollen menschlich gestaltet sein und die Leistungsmöglichkeiten des Einzelnen gerecht eingeschätzt werden (6.-8. Artikel). Das Recht soll vor Willkür schützen (9. Artikel) und unrechtmäßig erworbenes Land soll an die Gemeinde zurückgegeben und so der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden (10. Artikel). Dem entspricht dann auch die Forderung, dass die Quasi-Enteignung von Witwen und Waisen durch den sog. „Todfall“, eine Art Erbschaftssteuer, beendet werden muss. Schließlich wird im 12. Artikel festgehalten, „dass wir, wenn einer oder mehrere Artikel … dem Wort Gottes nicht gemäß sein sollten, … diese Artikel aufgeben …“ 

Wenn man das heute liest, kann man über die Weitsicht der Bauern von Memmingen nur staunen. Gleichzeitig müssen wir uns als Kirche der Reformation den Vorwurf gefallen lassen, dass wir über Jahrhunderte die Erkenntnisse und Forderungen der Bauern geringgeachtet haben. Denn sie listen schon vor 500 Jahren all das auf, was wir heute im Arbeitsrecht und in der Sozialgesetzgebung regeln – unter der Maßgabe der Menschenwürde und Gleichberechtigung. Beides ergibt sich zwingend aus dem christlichen Glauben. 

Dass Martin Luther sich damals nicht zu einer positiven Bewertung der Forderungen der Bauern durchringen konnte, gehört zu den dunklen Schattenseiten seines Wirkens. Zwar schrieb er 1525 an die Fürsten, dass unter den 12 Artikeln „einige so gerecht sind, dass sie euch (also den Fürsten) vor Gott und der Welt zur Schande gereichen.“ Doch in seiner widerlichen Hetzschrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der andern Bauern“ ruft Luther die Fürsten zu einer gnadenlosen Niederwerfung der Bauernaufstände auf: „Steche, schlage, würge hier, wer da kann“. Was für ein Gegensatz zu dem klösterlichen Gesang, den wir in dieser Motette zwei Mal hören: „Da pacem, Domine in diebus nostris – Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unsern Zeiten“.

Ja, wenn wir für Menschenrechte, für Freiheit, für ein gerechtes Zusammenleben streiten, dürfen wir in der Anwendung der Mittel diese Ziele nicht konterkarieren. Das war schon für Christoph Schappeler ein großes Anliegen. Er trat für strikte Gewaltlosigkeit der Bauern ein. Denn die Bitte um den Frieden beinhaltet, dass wir das durch Gott verliehene Lebensrecht eines jeden Menschen im Sinne der 12 Artikel der Bauern zu achten und zu schützen haben – damals wie heute. Amen.


Gebet

Gott, unser Vater,
wir danken dir für die Maßstäbe
eines freiheitlichen, gerechten und friedlichen Zusammenlebens,
die uns durch Jesus Christus geschenkt wurden.
Lass uns unser Leben und Tun
immer an diesen Maßstäben ausrichten.
Schenke uns die Kraft,
aus der Freiheit des Glaubens
für die Würde eines jeden Menschen einzutreten.
Lass uns nicht abseitsstehen,
wenn Menschen um ihre Freiheit und Gerechtigkeit ringen.
Verleih du uns den Frieden,
der uns gleichberechtigtes Zusammenleben ermöglicht.
Mit Jesu Worten beten wir:
Vater unser …


Zum Ganzen: Lyndal Roper, Für die Freiheit. Der Bauernkrieg 1525, Frankfurt am Main 2024. Dort sind auch die 12 Artikel im Originaltext und in einer Übertragung ins heutige Deutsch zu lesen.

Christian Wolff, Pfarrer i.R.
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