Motettenansprache "Credo" aus der h-Moll Messe von J. S. Bach zum 275. Gewandhausjubiläum

  • 10.03.2018
  • Pfarrer Hundertmark

Ansprache zum „Credo“ aus der h-Moll Messe von J. S. Bach am 10.03.2018

Festmotette zum 275. Geburtstag des Gewandhausorchesters zu Leipzig

 

Liebe Motettengemeinde,

Gewiss lässt sich mit unterschiedlichem Blick auf die Ausgaben einer Stadt oder eines Landes schauen. Dieser Blick ist auch immer von persönlichen Interessen eingefärbt. Die nach Kindergartenplätzen Ausschau haltenden Familie wünscht sich sicherlich genau dort ein stärkeres Engagement als im Kulturbereich.

Es lohnt sich nicht, Interessen gegeneinander auszuspielen. Wo aber Prioritäten gesetzt werden müssen, lohnt es sich sehr wohl zu schauen, was unsere Stadt ausmacht, was ihr geschichtlich auf den Weg mitgegeben wurde und wo sie Alleinstellungsmerkmale hat. In Leipzig sind das Gewandhausorchester, Thomanerchor und Thomaskirche als Botschafter unserer europäischen-christlichen Wurzeln. Dem nicht genug. Sie sind auch Friedensbotschafter, weil Musik Menschen aus allen Ländern, über alle Grenzen hinweg verbunden hat und auch heute noch verbindet. Sie als Besucher und internationale Gäste bezeugen das. Die Besinnung darauf tut immer dort gut, wo infrage gestellt wird, was eigentlich selbstverständlich sein sollte.

An Geburtstagen taucht die Frage auf, was die Zukunft bringen mag, wohlwissend, dass wir nicht in die Zukunft schauen können. Es bleiben aber Wünsche und Hoffnungen für den Jubilar:

Mögen alle kleinlichen Diskussionen um Ausstattung von Orchester oder Chor verstummen, mögen die Entscheider erkennen, welch großen Gewinn die Investitionen in Kultur bringen, weil Menschen sich begegnen, weil sie gestärkt werden und weil sie dadurch widerstandsfähiger gemacht werden gegen Einfalt, Populismus oder Dummheit.

Welch großartigen Beitrag zur Kulturtradition Leipzigs haben ihre Komponisten, Dirigenten, ihre Musiker beigetragen. Sie alle aufzuzählen würde jetzt den Rahmen sprengen. Wir hörten von Mendelssohn, von Hiller und nun gleich noch einmal von Johann Sebastian Bach aus der h-Moll Messe das Credo.

Jenes Symbolum Nicaenum wird in den meisten Gemeinden nur zu den hohen Feiertagen bekannt. Das ist in gewisser Weise bedauerlich, hat es doch eine theologische Bildsprache, die vielen Menschen deutlich näher ist. Schon im ersten der drei Abschnitte wird Gott bekannt als derjenige, der allumfassende schöpferische Kraft hat, im Sichtbaren und Unsichtbaren.

Der Mittelabschnitt erzählt das Christusgeschehen. Schwer vorstellbar war zu allen Zeiten, wie das gehen soll – wahrer Mensch und wahrer Gott in einer Person Jesus Christus?

Mit der Metapher vom Licht, bauen uns die altkirchlichen Theologen eine Brücke für den Verstand, der doch ergründen möchte, was das Herz gerne glaubt. Christus ist Licht vom Licht, und wahrer Gott vom wahren Gott und eines Wesens mit diesem Schöpfer-Gott-Vater, dessen Kraft Licht in dunkles Chaos vor allem Leben brachte.

Im Duett von Sopran und Alt veranschaulicht Bach mit einer kanonischen Komposition der beiden Stimmen – zwei Personen in einem Wesen. Sie sind verschieden und doch wesensgleich und verdeutlichen so den Glaubenssatz vom wahren Menschen und wahren Gott Jesus Christus. Im Folgenden verdichten sich in drei Sätzen Weihnachten, Karfreitag und Ostern. Zunächst steigt der göttliche Logos herab vom Reich der Himmel auf die Erde und nimmt Fleisch an, wird also Mensch, um unter uns zu leben.

Gott will uns ganz nahe sein, darum wird er Mensch. Im Menschsein geht Jesus Christus auch den Leidensweg konsequent bis zum Schluss am Kreuz. Die Streicher im „Crucifixus“ geben mit ihrer Akkorden diesen Weg vor und führen zum Zentrum des Credos. Dass Jesus Christus auch für mich ganz persönlich Leid auf sich genommen hat und für mich gestorben ist, damit ich frei werde von aller niederdrückenden Schuld unterstreicht Bach, indem er vier Sätze vor das Crucifixus stellt und ihm vier Sätze folgen lässt. Der Satz endet in der Grabesstille des Karsamstag. Tot, begraben, ohne Hoffnung, weil die lebensfeindlichen Kräfte gewonnen haben, scheint alles aus zu sein.

Wo ich den eigenen Kreuzweg gehen muss, weil mich Leid umfängt, weil Dinge im Leben nicht gelingen oder Lebenskräfte schlichtweg schwinden, wird die Suche nach Trost zum rettenden Strohhalm. Auch der fest und stark Glaubende steht manchmal vor jenen Anfechtungen, die alles infrage stellen, weil alle Gewissheiten begraben zu sein scheinen. Der Blick auf das Christusgeschehen im Credo kann tröstlich sein. Aber reichen Worte allein?

Manchmal ja, weil sie an sich schon eine schöne Melodie haben. Zu anderen Zeiten vermögen sie ihren Trost nicht entfalten können. Denn sie vermögen nicht durchzudringen durch den Felsenstein, der von den lebensfeindlichen Kräften vor meines Herzens Tür geschoben wurde.

Aber in der Kombination von Worten und Musik bietet gerade der Übergang vom „Begrabensein“ hin zur Auferstehung einen Trost, der sich mit Macht den Weg ins Herz bahnt. Nach dem langen Schlussarkord des selputus-Satzes bricht das Schöpferlicht durch. Im nun folgenden „resurrexit“ bietet J. S. Bach alles auf, was an festlicher Musik möglich ist, leuchtet doch in diesem Teil des „Credo“ das Osterlicht mit aller Kraft. An jedem Sonntag feiern wir das Fest der Auferstehung als den Sieg der Liebe über alle lebensfeindlichen Kräfte und Mächte; in der neuen Woche des Sonntags Laetare sogar als kleines Osterfest inmitten der Passionszeit.

Trauer, Leid und Tränen haben keine Chance mehr, die Oberhand zu gewinnen. Sie gehen unter in der froh machenden Botschaft vom Leben in der Liebe Gottes. Ressurrexit! Amen.

 

Lesung aus dem Philipperbrief

Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:

6 Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,

7 sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.

8 Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.

9 Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist,

10 dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,

11 und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

 

Martin Hundertmark, Pfarrer an St. Thomas zu Leipzig (hundertmark@thomaskirche.org)