Motettenansprache BWV 44 "Sie werden euch in den Bann tun"

  • 12.05.2018
  • Pfarrer Hundertmark

Motettenansprache BWV 44 „Sie werden euch in den Bann tun“ am 12.05, St. Thomas zu Leipzig um 15 Uhr

Liebe Motettengemeinde,

die Situation verfolgter Christen weltweit hat sich in den letzten Jahren teilweise dramatisch verschärft. Dass, was wir in unserem Land an Toleranz, demokratischen Grundwerten, und diesen zählt u. a. die Religionsfreiheit, wertschätzen, ist längst nicht selbstverständlich. Leipziger, die hier vor mehr als vier Jahrzehnten aufgewachsen sind, werden sich immer wieder in Erinnerung rufen, wie mühsam und gleichsam wichtig es war, sich als Christ nicht unterdrücken zu lassen im Alltag. Damit waren oft Schwierigkeiten im Alltag verbunden. Nicht immer muss Verfolgung bedeuten, dass man mit dem Tod bedroht wird, weil man Christ ist und seinen Glauben leben bzw. seinen Beruf ausüben möchte als Mitarbeiter im Verkündigungsdienst.

Am heutigen Samstagnachmittag möchte ich den Blick auf einen anderen Zugang zur Kantate lenken. Wie wäre es, wenn wir das, was Jesus seinen Jüngern in den Abschiedsreden sagt, auf den inneren Kampf des Gläubigen beziehen?

„Sie werden euch in den Bann tun“ würde dann bedeuten, dass die den Gläubigen umgebenden Feinde nicht unbedingt personell zu verstehen sind, sondern als Beschwernisse einer inneren Zerrissenheit. Im Widerstreit zwischen glaubhaftem Leben als Christ, zwischen Zeugnis und Dienst auf der einen Seite und den Verlockungen wie Bequemlichkeit, Angepasstsein oder Sicherheit auf der anderen Seite befindet sich dann die Seele.

Im dritten Satz der Kantate singt die Altstimme, dass auf Christen allerlei Dinge warten, die es zu überwinden gilt, will man ein wahrer Jünger Jesu sein. Marter, Bann und schwere Pein stehen wie Hürden auf dem schmalen Weg, türmen sich auf und machen das Leben schwer. Wie oft sind die inneren Kräfte so stark, dass sie uns einreden, sich lieber zu erholen, als den Gottesdienst zu besuchen? Ist es nicht viel bequemer, wegzuschauen und hinzunehmen, was alle als unausweichlich verstehen? Ungerechtigkeiten in ganz verschiedenen Bereichen zementieren sich dann. Schnell steht derjenige alleine da, dessen Gewissen aus christlichem Werteverständnis Einspruch erheben möchte. Und der innere Seelenkampf tobt erneut. Lass ich mich in den Bann ziehen, oder wird die Widerstandskraft ausreichend gestärkt? Ach dieser Kampf kann Marter und Pein sein.

Als Symbol für das, was dem christlichen Glauben und der Treue zu Gott entgegensteht ist der Antichrist anzusehen. Durch die Jahrhunderte hinweg hatte er unterschiedliche Ausprägung. Waren es bei den ersten Mönchen in der Spätantike eher die Begierden, die sich als Antichrist zeigten, hatte Luther in den Zeiten der reformatorischen Auseinandersetzungen oft den Papst als Antichristen bezeichnet.

„Es sucht der Antichrist, das große Ungeheuer, mit Schwert und Feuer die Glieder Christi zu verfolgen, weil ihre Lehre ihm zuwider ist. Er bildet sich dabei wohl ein, Es müsse sein Tun Gott gefällig sein“, singt der Bass im Rezitativ der Kantate, um dann zu schlussfolgern, dass Palmenzweigen gleich, die sich unter der Last aufrichten und höher steigen, es dem Christen in Trübsal und Verfolgung ähnlich geht. Auf den inneren Seelenkampf bezogen, heißt das: Anfechtungen stärken letztlich den Glauben. D

ort wo sich Zweifel und Glaube erbittert gegenüberstehen angesichts einer eigenen schweren Krankheit, geht der Mensch innerlich gestärkt hervor, wenn sein Glaube mehr Gewicht hat als die Zweifel. Und wo aufgrund eigener Schicksalsschläge alles zusammenzubrechen droht, kann das zarte Pflänzchen der Treue zu Gott am Ende zum Baum werden, der der Seele Schatten spendet und sie zur Ruhe kommen lässt. Die an uns zerrenden Kräfte sind wie sich auftürmenden Unwetter und Trübsalstürme. So wird die Sehnsucht nach Vergewisserung groß.

Für Bedrängnisse im Sinne der Kantate gilt: „Es ist und bleibt der Christen Trost, dass Gott vor seine Kirche wacht.“ Als Teil dieser Kirche, wacht er als auch vor mir und lässt mich nicht im Stich. Dem so Verharrenden und Glaubenden wird am Ende die Freudensonne lachen. J. S. Bach komponierte diesen Gedanken in der Sopranarie im Continuospiel so aus, dass sich zum Kantatenende das Bedrohungsszenario in ein fast höhnisches Lachen auflöst.

Damit wird auch der eigentliche Maßstab und Kompass zur Sprache bzw. im letzten Kantatensatz zu Gehör gebracht. Die angefochtene, verfolgte Seele möge sich besinnen, wem sie vertrauen soll – nämlich allein dem, der sie geschaffen hat. Der letzte Satz der Kantate bringt durch seine ruhige Gefasstheit zum Ausdruck,

dass Alles was mir Angst machen will, an Gottes Treue zerschellen wird.

dass alle sich noch so mächtig gebärdenden Zweifel, dass alle lebensfeindlichen Kräfte klein werden und kein Gewicht mehr haben. Amen.