Motettenansprache BWV 44 "Sie werden euch in den Bann tun"

  • 11.05.2018
  • Pfarrer Hundertmark

Motettenansprache BWV 44 „Sie werden euch in den Bann tun“ am 11.05., St. Thomas zu Leipzig um 18 Uhr

Liebe Motettengemeinde,

die Situation verfolgter Christen weltweit hat sich in den letzten Jahren teilweise dramatisch verschärft. Dass, was wir in unserem Land an Toleranz, demokratischen Grundwerten, und diesen zählt u. a. die Religionsfreiheit, wertschätzen, ist längst nicht selbstverständlich. Leipziger, die hier vor mehr als vier Jahrzehnten aufgewachsen sind, werden sich immer wieder in Erinnerung rufen, wie mühsam und gleichsam wichtig es war, sich als Christ nicht unterdrücken zu lassen im Alltag. Damit waren oft Schwierigkeiten im Alltag verbunden.

Nicht immer muss Verfolgung bedeuten, dass man mit dem Tod bedroht wird, weil man Christ ist und seinen Glauben leben bzw. seinen Beruf ausüben möchte als Mitarbeiter im Verkündigungsdienst. „Sie werden euch in den Bann tun“ kann auch innerkirchlich ganz konkret werden. Während anderenorts zurecht festgestellt werden kann, dass sich die Situation Homosexueller in den letzten 40 Jahren deutlich verbessert hat, muss für unseren Landstrich und unsere Landeskirche leider das Gegenteil festgestellt werden. In einer der letzten Ausgaben fragte die sächsische Kirchenzeitung „Der Sonntag“ ob, die eigene Kirche bezogen auf die Frage von Christsein und Homosexualität zu hart ist.

Angesichts einer regelrechten Fluchtbewegung von Mitarbeitern im Verkündigungsdienst aus Sachsen weg hin zu Gemeinden und Kirchen, die weitaus liebevoller mit unterschiedlicher Sexualität umgehen, darf die Frage wohl mit „Ja“ beantwortet werden. Eine ehemalige Vikarin aus Leipzig wird in dem Artikel mit den Worten zitiert:

»Das Klima in der sächsischen Landeskirche ist im Moment schwierig für gleichgeschlechtlich liebende Paare. Ich wurde reduziert, mir wurde vom Pfarrberuf abgeraten und was am meisten schmerzte, es war kein wirklicher Dialog möglich.« Außerdem litt sie darunter, dass die breite Masse zu dem Thema »schweigt und sich die Ausgrenzung und Diskriminierung lieber schön-, beziehungsweise wegredet«.

Heute ist sie in der Nachbarlandeskirche als Pfarrerin in Leuna tätig und freut sich über das offene Willkommen ihrer neuen Gemeinde. Die christliche Kirche wird wegen eines überschaubaren Prozentsatzes von homosexuellen Mitgliedern und in ihr Dienst tuenden Menschen nicht zugrunde gehen. Sie wird aber zugrunde gehen, wenn sie auf die drängenden Fragen der Menschen keine Antworten mehr hat, bzw. nur herumeiert. Sie wird sich auch das eigene Grab schaufeln, wo sie die Nähe zu den ihr anvertrauten Menschen verliert, weil sie sich mit Dingen beschäftigt, die längst entschieden sind – die Mitte der Heiligen Schrift ist die Liebe Gottes und nicht die Frage nach Homosexualität. Wer glaubwürdig von der Liebe Gottes predigen möchte, darf andere nicht davon ausschließen weil sie anders sind.

Eine bestimmte Form der Sexualität zum Erkennungszeichen eines wahren Christen zu machen ist schlicht unchristlich. Denn somit wird dem Menschen nur sein Menschsein zugestanden, wenn er sich in eine bestimmte Norm pressen lässt. Dabei verkennt man die Tatsache, dass unterschiedliche Sexualität nicht eine Frage der Ethik ist, sondern eine existentielle Frage. Homosexualität ist kein Thema des Glaubens, sondern vielmehr ein Aspekt menschlicher Wirklichkeit, wie der emeritierte Professor für Praktische Theologe, Jürgen Ziemer, an gleicher Stelle im Sonntag konstatierte.

„Es sucht der Antichrist, das große Ungeheuer, mit Schwert und Feuer die Glieder Christi zu verfolgen, weil ihre Lehre ihm zuwider ist. Er bildet sich dabei wohl ein, Es müsse sein Tun Gott gefällig sein“, singt der Bass im Rezitativ der Kantate, um dann zu schlussfolgern, dass Palmenzweigen gleich, die sich unter der Last aufrichten und höher steigen, es dem Christen in Trübsal und Verfolgung ähnlich geht. Die sich auftürmenden Unwetter und Trübsalstürme der Verfolgung sind gewiss sehr unterschiedlich. In einem Land wird das Leben direkt bedroht, im anderen nur die Berufsausübung als Christ und Pfarrer.

Für beide Bedrängnisse gilt im Sinne der Kantate: „Es ist und bleibt der Christen Trost, dass Gott vor seine Kirche wacht.“ Dem so Verharrenden und Glaubenden wird am Ende die Freudensonne lachen. J. S. Bach komponierte diesen Gedanken in der Sopranarie im Continuospiel so aus, dass sich zum Kantatenende das Bedrohungsszenario in ein fast höhnisches Lachen auflöst. Damit wird auch der eigentliche Maßstab und Kompass zur Sprache bzw. im letzten Kantatensatz zu Gehör gebracht. Die angefochtene, verfolgte Seele möge sich besinnen, wem sie vertrauen soll – nämlich allein dem, der sie geschaffen hat und zwar so, wie er oder sie ist. Auf dieser Grundlage lässt sich die Frage, ob Homosexualität zum Kriterium für bzw. gegen einen Verkündigungsdienst werden kann nur mit einem deutlichen „Nein“ beantworten. Maßstabe für die Verkündigung muss Christus sein und das eigene im wahrsten Sinne des Wortes „glaub-würdige“ Vertrauen auf einen Gott, der führt, begleitet, gelegentlich auch zurechtrückt aber immer derjenige bleibt, der er vom Anbeginn der Zeiten war und sein wird, wenn alles längst vergangen ist. Amen.