Motettenansprache BWV 228

  • 19.01.2018
  • Pfarrer Hundertmark

Motettenansprache am 19.01.2018, St. Thomas zu Leipzig um 18 Uhr

Liebe Motettengemeinde,

Furcht ist kein guter Ratgeber. Denn wo Furcht unser Leben und unsere Entscheidungen maßgeblich beeinflusst, begeben wir uns auf den Pfad der Unfreiheit. Diese wiederum verstärkt dann das Gefühl von Furcht. Ein Kreislauf entsteht, der uns Menschen hinabzieht. Schwer nur kommen wir da wieder heraus. Furcht und Schrecken oder Angst, wie man es auch benennen mag, lassen sich nicht mit einem einfachen Imperativ wegblasen. Es braucht mehr. Es braucht ein tragfähiges Fundament, auf dem ein solcher Satz stehen kann, damit er seine Kraft entfalten kann.

Das Weihnachtliche „Fürchte Dich nicht“ klingt auch am letzten Epiphaniaswochenende noch nach und möge nicht verklingen mit fortschreitender Anzahl gelebter Tage im Jahr. Wir hörten es eben aus J. S. Bachs Motette als Prophetenwort aus dem zweiten Jesaja. Zugesagt einem Volk, das aufgrund seiner ungewissen Zukunft in Furcht, Kleinglauben und Mutlosigkeit gefangen war, hat der Prophet Jesaja es vermocht, von jener Hoffnungssaat auszustreuen, die nachhaltig wirken konnte. Dafür waren eben auch die anderen Worte notwendig. Worte als Fundament für das „Fürchte dich nicht“. Zweifach tauchen sie auf.

Fürchte dich nicht, ich bin bei dir;

Hier steht die feste Zusage einer Begleitung. Alleine muss nichts bewältigt werden. Gott selber sorgt dafür. Gerade in Zeiten einer gefühlten Gottesferne wirkt solch ein Vers wie ein Lichtblick. Zeugt er doch davon, dass mich als Mensch oder uns als Kinder Gottes nichts herausreißen kann aus dieser Gemeinschaft. Freilich können Lebenssituationen so befremdlich, so leidvoll oder schrecklich sein, dass jegliche Kraft für ein vertrauensvolles Hoffen auf Gottes Begleitung aufgebraucht ist.

Die Zusage geht aber weiter. Denn in ihr steckt auch das stärkende Element. Wir Menschen können uns das manchmal nur schwer vorstellen und gebrauchen dann die Bilder, die wir selber verstehen. Von Gottes Hand gehalten zu werden, ist solch ein Bild. Stärkung erfahren wir ganz unterschiedlich – als Trost durch andere Menschen, die uns plötzlich begegnen und für einen Perspektivwechsel sorgen. Auch neue Möglichkeiten in ausweglosen Situationen, wenn das Auge auf einmal sieht, was vorher nicht wahrgenommen werden konnte oder eine Stimme zu uns vordringt, die überhört wurde, können für Stärkung sorgen. Christen glauben, dass dahinter Gott steht als einer, dem ich ganz persönlich ans Herz gewachsen bin. Um das zu unterstreichen, wurde Gott später selber Mensch in Jesus Christus. In ihm erfüllt sich das Prophetenwort auf neue Weise. Mit seiner Lebensgeschichte ist die Zusage „Fürchte dich nicht“ ganz eng verknüpft. Denn sie wird in Armut zu Weihnachten genauso hineingesprochen wie in Hoffnungslosigkeit am Ostermorgen.

Gottesferne ist ein schlimmes Gefühl der Ohnmacht. Und je ferner uns Gott scheinen mag, desto größer wird die Verzweiflung. Jesus Christus teilt mit uns genau diese Erfahrung. Er teilt sie am Kreuz. Wir können Gott nicht eins zu eins an irgendwelchen Dingen, Formeln oder Symbolen ablesen oder ihn der Tasche mit uns tragen. Ein Geheimnis, das unserem Verstand verborgen bleibt, ist Gottes Unverfügbarkeit. Von daher betrachtet, bekommt die Zusage „ich bin bei dir“ ein für mein Empfingen noch viel größeres Gewicht. Drückt sie doch aus, dass Gott auch dann mich nicht aufgibt, wenn es alle anderen tun und ich vor Dunkelheit im Leben nichts mehr wahrnehmen kann als mein eigenes Leid. Aus der zweiten Zusage klingt Standhaftigkeit.

weiche nicht, denn ich bin dein Gott!

Wo Dinge zum Fürchten sind, neigen wir zur Flucht. Für manchen Zeitgenossen ist das auch ein probates Mittel, um Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen. Lieber fliehe ich davor, als mich ihnen zu stellen. Denn würde ich das tun, müsste ich im wahrsten Sinne des Wortes „Stellung beziehen“ und gegebenenfalls auch mit eigener Meinung auftreten und wenn es ganz schlimm kommt, sie sogar ganz alleine gegen eine große Menge vertreten.

Interessant ist hier, wie die Aufforderung begründet wird: „Denn ich bin dein Gott!“ Das bedeutet, nicht irgendein Gott, sondern dein Gott, ganz persönlich, der dich kennt, um dich weiß und dem du Mensch oder Volk wertvoll bist. Von gleichgültigen Göttern haben wir genug im Alltag. Wir beten sie an, opfern ihnen unsere Zeit, unsere Liebe und vielfach auch unser Geld. Sie bleiben aber kalt, auch wenn sie goldglänzend sind wie das goldene Kalb, um das sich so trefflich tanzen lässt.

Unser Gott, der Gott, der nicht zum Fürchten, sondern zum Lieben ist, rüstet uns aus mit Stärke und Mut. Nur so vermag ich es auch, standhaft zu bleiben und nicht zurückzuweichen. Unsere Gesellschaft braucht mehr von solchem Mut und von dieser Standhaftigkeit. Gerade wo es opportun ist, nach Mehrheitsmeinungen die eigene Meinung auszurichten, drohen Menschlichkeit und Nächstenliebe unterzugehen.

Nicht jeder von uns kann so stark sein wie manche Vorbilder christlicher Standhaftigkeit wie Martin Luther, Dietrich Bonhoeffer oder Martin Luther King. Und bei Weitem hat nicht jeder deren Einflussmöglichkeiten. Aber das soll und darf keine Ausrede sein, wo christliche Werte mit Füßen getreten werden auch in den Bereichen, die wir überblicken können und für die wir jeder selber verantwortlich sind. „Weiche nicht, ich bin dein Gott“. Es gibt kaum eine schönere Zusage als diese. Was braucht es mehr? Vielleicht noch den zweiten Jesajavers, der unterstreicht, wie wichtig jeder und jede Einzelne Gott ist. Auch er beginnt mit dem „Fürchte dich nicht“

Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöset, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!

Amen.

Gebet

Barmherziger Vater im Himmel. Wir bitten Dich für alle, die unter dem Schweren Orkan gestern Schaden genommen haben an Leib und Leben sowie an Hab und Gut. Lass Hilfe und Trost geschehen durch uns. Wir danken Dir für Bewahrung in schwerer Zeit, für Stärkung auf schwierigen Wegen und für Mut, wenn wir Entscheidungen treffen müssen. Im Namen Deines Sohnes Jesus Christus, das Zeichen Deiner Liebe, rufen wir zu Dir:

Vater unser im Himmel…

Martin Hundertmark, Pfarrer an St. Thomas zu Leipzig (hundertmark@thomaskirche.org)