Motettenansprache BWV 111 "Was mein Gott will, das gscheh allzeit"
- 21.01.2017
- Pfarrer Hundertmark
Motettenansprache am 21.01.2017, St. Thomas zu Leipzig um 15 Uhr mit Aufführung der Bachkantate BWV 111 – „Was mein Gott will, das gscheh allzeit“
Liebe Motettengemeinde,
heute auf den Tag genau vor genau 292 Jahren wurde die von J. S. Bach komponierte Kantate „Was mein Gott will, da gscheh allezeit“ in Leipzig uraufgeführt. Sie beleuchtet in Text und Musik das Sonntagsevangelium (Mt 8, 5-13) einer Heilungsgeschichte. Aufgrund des festen Glaubens und indem jemand auf Gottes Willen vertraut, geschieht ein Wunder.
Nun mag es sein, dass wir postmodernen Menschen, durch kantsche Aufklärung und hegelsche Philosophie geprägt, uns schwer tun mit Wundern. Wer Mut hat, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, kommt schnell an dessen Grenze, wo wundersame Geschehnisse sich nicht in eine logische Erklärungskette fügen lassen. Was will Jesus bzw. was will der Evangelist Matthäus mit dieser kleinen Erzählung weitergeben? Sicherlich nicht ein Wunderglaube, der den Buchstaben wortwörtlich als von Gott gegeben hinnehmen soll. Glaube lebt im praktischen Zutrauen auf Gott in konkreten Notfällen. So wie die Pilger Psalm 121 voller Vertrauen auf Gottes Hilfe und Führung beteten, die gefahrvolle Heimreise vom Heiligtum in Jerusalem immer vor Augen, so vertraut der Hauptmann in seiner lebensgefährlichen Familiensituation allein auf Jesus Christus. Gottes Wille rettet. Gottes Wille heilt und nicht die Befehlsgewalt des Hauptmannes; nicht meine Verdienste im monetären oder praktischen Sinne.
Im Eingangssatz wird Gottes Wille durch einen alles umgreifenden Klang musikalisch zum Ausdruck gebracht. Dem gegenüber steht im zweiten Satz die musikalische schlichte Arie, welche das Entsetzen symbolisieren soll. Das Herze braucht sich nicht entsetzen, wo Gott gleichermaßen Trost und Zuversicht ist. Aber, liebe Motettengemeinde, wie das so ist im vielfältigen Erleben des eigenen Lebens, Entsetzen lässt sich schwer bändigen. Es ist da. Es füllt das Herz, lässt keinen Raum für andere Gefühle. Trost und Zuversicht haben dann schwer zu tun, wollen sie durchdringen. Entsetzt sind viele Menschen über die ersten Redeworte des neuen Präsidenten der USA. Entsetzt sind hierzulande in dieser Woche quer durch alle Bevölkerungsgruppen viele Menschen über die Rede des Herrn Höcke in Dresden, der unser Land gerne in dunkelste, braune Zeiten zurückkatapultieren will.
Doch gehen wir weg von den politischen Ereignissen, zu den Dingen, die uns selber umgeben. Wer war nicht schon entsetzt, weil er enttäuscht wurde von Menschen, die es eigentlich zu lieben gilt, denen vertraut wurde? Entsetzen greift nach unserem Herz immer da, wo sich Realität als hässlich entpuppt, wo unerwartet Lebensentwürfe so massiv infrage gestellt werden, dass sich der Boden unter den Füßen als Abgrund öffnet.
Manche Nachricht über eine diagnostizierte Krankheit kann für solch ein Entsetzen sorgen, weil plötzlich alles, aber auch alles aus den Fugen gerät. Da helfen menschliche Kräfte nicht weiter. Deiner Seele Leben ist Gott. Er ist Trost und Zuversicht besonders in einer Welt, die sich nicht mit einfachen Mustern erklären lässt.
Hier die armen Menschen, dort die Reichen. Hier die unterdrückten und geknechteten, ausgebeuteten Seelen, dort eine skrupellose Politikerkaste. Solche populistischen Parolen stoßen gerne die Herzenstüren auf. Sie werden das Entsetzen jedoch nicht vertreiben können. Im gläubigen Vertrauen dürfen wir versuchen, unser Leben selber in die Hand zu nehmen – mit vollen Bewusstsein und in voller Verantwortung füreinander. Nicht alles, was durch uns geschieht, ist Gottes Wille. Da schlägt der Teufel gerne ein Schnippchen oder fährt in die Parade. Aber alles, was durch Gott geschieht, geschieht nach seinem Willen, der auf mich einwirken kann, der mich rettet und heilt. Wie nun lässt sich erkennen, wo Gottes Wille am Werk ist oder doch nur der eigene Wille sich zum Gott machen will? Im Widerstreit – so erzählt es der Kantatentext, so lässt er sich hören.
Entsetzen, Anfechtung und auch Angst stehen dem Vertrauen gegenüber. Ja, sie wollen sogar in der letzten Stunde menschlichen Lebens noch den Sieg erringen. Der Glaube leistet hier Widerstand. Dafür braucht er Stärkung und Gewissheit, dass ein Gewissen, ist es allein an Jesus Christus gebunden, stark genug sein wird, um gegen jegliche Lebensfeinde bestehen zu können. „Wenn mich der böse Geist anficht, Lass mich doch nicht verzagen“ wird in der letzten Choralstrophe gesungen.
Genau das brauchen wir dringender denn je – unverzagte Herzen, wo böse Geister für Anfechtung sorgen – zu Hause, im gesellschaftlichen Zusammenleben einer Bürgergemeinschaft wie auch zwischen den Staaten und Völkern. Dass, was mancher als Geist der Erneuerung empfindet, entpuppt sich als Ungeist. Die Geschichte hat uns diesbezüglich bittere Lehren erteilt. Und immer dort, wo sich Menschen an Gottes Stelle setzen, braucht es die Unverzagtheit eines mutigen „Nein“.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christus Jesu zum ewigen Leben. Amen.
Pfarrer Martin Hundertmark (hundertmark@thomaskirche.org)