Motettenansprache BWV 106 "Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit"

  • 11.03.2017
  • Pfarrer Hundertmark

BWV 106 „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“ am 11.03.2017, St. Thomas zu Leipzig um 15 Uhr

Liebe Motettengemeinde,

Ist alles Tun vergebliches Tun, weil kaum etwas Bestand hat, weil unser Leben wie ein Gras am Morgen sprosst und abends verwelkt ist?

„Ja“ und „Nein“ könnte die Antwort lauten. Wer jung an Jahren ist, voller Tatendrang und Ideen oder wem die Lebenskräfte erhalten blieben, dem wird sich kaum erschließen, warum er nichts bewirken könne mit seinen Kräften. Dem Kranken, dem Schwachen jedoch, dessen Tage nur mühevoll gelebt werden, steht vielleicht das vergebliche Tun vor Augen, weil alles Mühen nur unendlich Kraft kostet und doch nichts fruchtet. Im Psalm 90 werden die Bilder göttlicher Zeitmessung denen menschlichen Zeiterlebens gegenübergestellt um den Unterschied deutlich zu machen zwischen Zeit und Ewigkeit.

Der Mensch fragt sich gelegentlich, worin seine Lebenstage verankert sind, weil er weiß, dass vor ihm etwas gewesen ist und weil er ahnt bzw. hofft, nach seiner Zeit gibt es einen bergenden Raum. Die beiden Ankerfragen „Wo komme ich her?“ und „Wohin gehe ich wenn die Lebenszeit ausgemessen ist?“ beschäftigen ihn unterschiedlich stark, aber sie lassen den Menschen nicht los. In der gleich zu Gehör kommenden Kantate „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“ wird eine theologische Antwort gegeben, indem ein Bibel- und ein Choralvers über den Lebenszeitraum des Menschen gestellt werden. „In Gott leben, weben und sind wir“ heißt es im ersten Chor. Doch zuvor webt Bach eine anrührende, zu Herzen gehende Melodie in die Sonatina ein.

Mit dem Vers aus der Apostelgeschichte, der hier gewiss eine andere Bedeutung beigemessen bekommt als im Zusammenhang der großen Rede des Paulus auf dem Areopag in Athen, wird zum Ausdruck gebracht: Das menschliche Leben des Gläubigen ist in Gott verankert – und zwar zeitlos, weil er unsere Zeit nicht loslässt. Solche Gedanken fordern zur Fröhlichkeit heraus. Eben weil wir Menschen in Gottes Pläne eingewoben sind, darf uns Leben auch geprägt sein von dankbarer Freude. Dabei wird nicht vergessen, wie beschwerlich, wie leidvoll und gelegentlich auch schrecklich menschliche Lebensbahnen verlaufen können.

Hier kommt der andere Anker zum Tragen. Im letzten Satz heißt es „die göttliche Kraft macht uns sieghaft in Jesum Christum“. Auf diese beiden Ankerfundamente lässt sich die Lebensbrücke bauen – so verstanden es J. S. Bach und seine barocken Zeitgenossen, deren Leben mehr als einmal angefochten wurden, weil früher Tod ständiger Begleiter gewesen ist. Unser Erleben lässt sich diesbezüglich anders beschreiben. Doch angesichts vieler Widerwärtigkeiten in der noch nicht erlösten Welt, für die ich als Mensch Verantwortung trage durch Gottes Schöpfungsauftrag, wird die Suche nach Halt, Trost und Kraft lebensbegleitend. Dabei braucht der Glaube an Christus als mein Beistand und Fürsprecher immer wieder die Vergewisserung.

Meisterhaft drückt Johann Sebastian Bach das in der Kantate aus. Im 5. Satz, werden z. B. mehrere Schichten übereinandersetzt. Der Gedanke daran, dass ich sterben muss, wechselt sich ab mit der Sehnsucht, Jesus Christus möge als mein Beistand und Erlöser kommen.

Wie nötig wir diesen Beistand und Erlöser haben, zeigt sich stets dort, wo gegen die von Jesus Christus eingeforderte und von ihm selbst gelebte Nächstenliebe gehandelt wird, weil Menschen aufgrund ihrer Religion, ihrer Hautfarbe oder ihres Geschlechts in Schubladen sortiert und unterschiedlich bewertet werden, ohne sie zu kennen. Jesus Christus wollte dass wir uns in seiner Nachfolge wenigstens versuchen zu orientieren an dem, was er gelebt hat – in jeder Begegnung den Mitmenschen zu sehen, der ebenfalls ein Geschöpf Gottes ist, ihn nicht mir hasserfülltem Blick anzuschauen, sondern mit Liebe. Über lebensfeindliche Kräfte wird der Sieg errungen werden, wenn ich der Liebe mehr zutraue als mit selber.

Todeskräfte werden auch weiterhin ihre hässliche Fratze zeigen. Terroranschläge, Attentate oder Messerattacken sind nur eine Ausdrucksform. Die Todeskräfte werden an mir zerren, werden mir einreden wollen, dass alles keinen Sinn macht, weil ich sowieso sterben muss und andere stärker sind.

Weil es einen gab, einen Menschen, Jesus Christus, der den Tod überwand, ist eine neue Dimension aufgestoßen worden. Die Endlichkeit des Menschen begrenzt nun nicht der Tod, sondern sie wird aufgehoben in der Unendlichkeit göttlicher Liebe, die ihn birgt. Darauf kann gar nicht anders als mit dem Loblied geantwortet werden, weil diese göttliche Kraft uns allein durch Jesus Christus sieghaft macht. Amen.

Pfarrer Martin Hundertmark (hundertmark@thomaskirche.org)