Motettenansprache

  • 02.11.2019
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Johann Sebastian Bach (* 21.3.1685, Eisenach; 28.7.1750, Leipzig; Thomaskantor 1723 - 1750)

Missa in G BWV 236 (1738/39)

1. CHOR Kyrie eleison. Herr, erbarme dich! Christe eleison. Christe, erbarme dich! Kyrie eleison. Herr, erbarme dich!

2. CHOR Gloria in excelsis Deo, et in terra pax Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Friede hominibus, bonae voluntatis. den Menschen seines Wohlgefallens. adoramus te, glorificamus te. Laudamus te, benedicimus te, wir beten dich an, wir verherrlichen dich. Wir loben dich, wir preisen dich,

3. ARIA (BASSO) propter magnam gloriam tuam. Gratias agimus tibi wegen deiner großen Herrlichkeit. Wir sagen dir Dank Deus, pater omnipotens, Domine Deus, rex coelestis, Gott, allmächtiger Vater, Herr Gott, König des Himmels, Domine fili unigenite Jesu Christe! Herr, einziggeborener Sohn, Jesus Christus!

4. DUETTO (SOPRANO, ALTO) Domine Deus, Agnus Dei, filius patris, Herr und Gott, Lamm Gottes, Sohn des Vaters, miserere nobis. qui tollis peccata mundi erbarme dich unser. der du trägst die Sünden der Welt, suscipe depracationem nostram. Qui tollis peccata mundi, nimm an unser Gebet. Der du trägst die Sünden der Welt, miserere nobis! Qui sedes ad dexteram patris, erbarme dich unser. Der du sitzest zur Rechten des Vaters:

5. ARIA (TENORE) tu solus altissimus, Jesu Christe. tu solus Dominus, Quoniam tu solus sanctus, du allein bist der Höchste, Jesus Christus. du allein bist der Herr, Denn du allein bist heilig,

6. CHOR Amen. in gloria Dei patris. Cum Sancto spiritu Amen. in der Herrlichkeit Gottes des Vaters. Mit dem Heiligen Geiste. Amen.

Lesung: Seligpreisungen Matthäus 5, 1ff

Als er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg. Und er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. 2 Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: 3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich. 4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. 5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. 6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. 7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. 8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. 9 Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen. 10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich. 11 Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und allerlei Böses gegen euch reden und dabei lügen. 12 Seid fröhlich und jubelt; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.

Liebe Gemeinde,

wir hören gleich Johann Sebastian Bachs Missa in G-Dur. Sie ist ein wunderbares Beispiel für das, was seit gut 1500 Jahren die Grundlage des christlichen Gottesdienstes ist: die lateinische Messe. Menschen verschiedener Zeiten und Kulturen empfinden diese Form des Gottesdienstes bis heute als stimmig. Ihre besondere Kraft, die sie in ihrer gesungenen Form entwickelt, erschließt sich auch dem, der Kirche und Gottesdienst sonst eher fern steht. Denn hier wird  alles aufgenommen, was das Menschsein in seinen Höhen wie Tiefen seit jeher bestimmt hat. Und weil das im Letzten doch immer gleich bleibt, ist die Messe zwar keine neue, aber gleichwohl eine moderne und zeitgemäße Form des Gottesdienstes, an deren Dynamik sich jede neuere Form des Gottesdienstes erst einmal zu messen hat.

Alles beginnt mit dem Ruf „Kyrie eleison“ – „Herr, erbarme dich“. Dieser Anfang bietet und die Möglichkeit, uns im geschützten Raum der Kirche und des Gottesdienstes von dem zu entlasten, was wir im Laufe der Woche angesammelt an Dingen, die wir mit uns herumschleppen und mit denen wir nicht richtig weiterkommen. Hier ist die Möglichkeit, ohne Angst vor Gesichtsverlust das tun zu können, was wir voreinander und vor uns selbst ungern tun: unser Versagen und unser Scheitern einzugestehen.

Aber das nicht, um uns selbst kleinzumachen und in dieser Position zu verharren. Sondern um uns aufrichten zu lassen durch den, der im folgenden Gloria als der besungen wird, der im wahrsten Sinne des Wortes allein über den Dingen steht: „Gloria in excelsis Deo“ - „Ehre sei Gott in der Höhe“. Was dieser Gott für die Menschen will, wird gleich zu Beginn klar gesagt: „Et in terra pax“ -  „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“ Was wir im Alltag oft aus dem Blick verlieren und je mehr das geschieht, doch umso stärker herbeisehnen, wird hier klargestellt: Friede und Gerechtigkeit unter den Menschen sind zugleich Ziel und Aufgabe unseres Lebens. Wir sind gefragt, Position zu beziehen und uns zu bekennen. Wo stehe ich. Wo trägt mein Verhalten dazu bei, dass Friede und Gerechtigkeit werden können auf dieser Welt bzw. vielleicht erst einmal in den Beziehungen, in denen ich direkt lebe. Dabei kann ich denjenigen an meiner Seite wissen, der sein Leben für Menschen eingesetzt hat, denen man die Würde abgesprochen hat oder nicht mehr als Teil der Gesellschaft akzeptiert worden sind: Jesus Christus. Ihm ging es immer auch um den einzelnen als Teil des großen Ziels: Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Und er hat diesen Weg durchgezogen bis zum Kreuz. Hat es dort sterben lassen, was an menschlicher Niedertracht anderen Menschen immer wieder den Tod bringt.

„Qui tollis peccata mundi“ heißt es in der Messe – der du trägst die Sünde der Welt. Er hat all dem seine letzte Macht genommen. Nicht mehr das, was uns verzweifeln lassen will, wird das letzte Wort haben. Und eigentlich ist es nur noch so stark, wie wir es stark sein lassen. Aber nicht von ungefähr kommt hier gleich zweimal die Bitte: „Miserere nobis“ – „Erbarme dich unser“. Denn immer wieder gelingt es uns nicht aus eigener Kraft, Frieden und Gerechtigkeit unter uns zu befördern. An dieser Stelle erinnert die Messe uns an etwas Grundlegendes: „Quoniam tu solus Sanctus“ – „denn du allein bist heilig, du bist allein der Höchste Jesu Christi“. Es ist das Bekenntnis, dass uns seine Worte heilig bleiben. Dass wir sie bewegen in uns, dass sie uns in Fleisch und Blut übergehen, zur zweiten Natur werden. Dann werden wir niemanden verunglimpfen wegen seiner Herkunft, wegen seines Aussehens und niemanden nach seinen Taten abschließend beurteilen. Dann werden wir denen entgegentreten, die die Worte und Werte Jesu als sog. „Gutmenschentum“ abtun. Dann werden wir dafür eintreten, dass die Würde jedes Menschen heilig ist. Auch an diese Grundhaltung Mensch zu sein, erinnert uns die Messe, dazu ermutigt und ermahnt sie uns, durch alle Zeiten und auch heute. Gebe Gott den Worten und der Musik die Kraft, unsere Herzen und Sinne zu erreichen. Lasst uns beten:  

Gebet

Unser Gott und Vater, wir alle sind mit den Eindrücken dieser Woche hier in dieser Motette. Wir danken Dir für all das Gute, was wir empfangen durften, für alle Momente des Glücks und der Erfüllung. Und genauso bringen wir vor Dich, was uns belastet und rat-und hilflos macht. Wir bitten Dich, sei bei denen, die Leid tragen und hilf, es zu wenden. Wir bitten dich um neuen Mut und neue Kräfte für die, die sich schwach und überfordert fühlen. Segne Du alle Bemühungen um Frieden und Gerechtigkeit, im Großen wie im Kleinen. Das bitten wir Dich im Namen Jesu, der uns zu beten gelehrt hat: Vaterunser im Himmel…

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org