Motettenansprache

  • 01.11.2019
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Johann Ernst Bach: Mein Odem ist schwach (Motette für vierstimmigen Chor)

 Mein Odem ist schwach, meine Tage sind abgekürzet, das Grab ist da. (Hiob 17,1)

Herr, nun lässest du deinen Diener in Friede fahren, wie du gesaget hast. (Lukas 2,29)

Mit Fried und Freud ich fahr dahin nach Gottes Willen,

getrost ist mir mein Herz und Sinn, sanft und stille, wie Gott mir verheißen hat, der Tod ist mein Schlaf worden. (Martin Luther, 1524)

Denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, welchen du bereitet hast für   allen Völkern, ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volks Israel. (Lukas 2,30–32)

Nun schließ ich sanft in deine Hände und sage: Welt, zu guter Nacht! Eilt gleich mein Lebenslauf zum Ende, ist doch der Geist wohl angebracht. Er wird bei seinem Heiland ewig stehen, weil ich denselben hier im Glauben schon gesehen. (nach Paul Thymich, 1684)

 

Liebe Gemeinde,

die heutige Aufführung von Johann Ernst Bachs Motette "Mein Odem ist schwach" ist etwas Besonderes: Sie erklingt erstmals nach der neuen Notenausgabe - erschienen vor etwa vier Wochen. Möglicherweise bringt das LVE dieses Werk nach mehr als 200 Jahren erstmals wieder zum Klingen. Aber das wird kaum nachweisbar sein. Johann Ernst Bach entstammt der Erfurter Bach-Linie und war ab 1737 Thomaner. Sein Patenonkel hieß Johann Sebastian Bach (er war ein Cousin seines Vaters). Schauen wir hinein in dieses Stück.

Text und Melodie des zugrunde liegenden Chorals stammen von Martin Luther. Er hat sie in einem Liederzyklus über das Sterben im Jahr 1524 veröffentlicht. Hier ist einiges über seinen Glauben und seine Hoffnung angesichts des Todes herauszulesen. Der Tod als Schlaf, von dem man an einem neuen Morgen erwachen wird. Der Tod als „Schlafes Bruder“, wie es dann später in Bachs Kreuzstabkantate heißen wir. Das war Luthers Trost für Herz und Sinn. Einen Tag nach dem Reformationstag und heute am Allerheiligentag, wo nachmittags in den röm-kath. Gemeinden die Segnung der Gräber der Verstorbenen stattfindet, ist es wunderbar, dass das Programm heute Abend beides zusammenbringt: Die Endlichkeit unseres Lebens und die Erneuerung unseres Glaubens. Auch die Motette von Felix Mendelssohn am Schluss der Motette zeugt davon.

Luther stand ja noch ganz in der Tradition des Mittelalters, der „ars moriendi“ der Kunst des Sterbens bzw. der Kunst, sich darauf im Leben beizeiten vorzubereiten. In einer Predigt aus dem Jahr 1519 hatte er dabei schon einiges gesagt, was uns heute genau 500 Jahre später immer noch zum Nachdenken anregt. Wir leben ja in einer Kultur, die das Sterben eher an den Rand drängt als wir dass es zu einer Lebenskunst erklären. Wenn möglich, meiden wir das Thema, vor allem, wenn es um unseren eigenen Tod geht. Gestorben wird überwiegend nicht mehr zuhause, sondern im Krankenhaus oder im Heim. Und was mit dem toten Menschen direkt zu tun hat, wird in der Regel delegiert an Fachleute. Dass jemand die Versorgung des Verstorbenen ohne fremde Hilfe übernimmt bis hin zur eigenständigen Vorbereitung und Durchführung einer Trauerfeier, das gibt es wohl nur ganz selten. Von daher ist das Thema weit weg – oder auch bedrückend nahe dran, weil in dem Maße, wo die Professionalisierung zunimmt, die eigenen Kenntnisse und Erfahrungen abnehmen.

Und das kann einen schon verunsichern. Für die, denen es so geht, hält Luther im Jahr 1519 seine Predigt, die dann auch im Druck verbreitet wird. Er beginnt mit drei Ratschlägen oder Thesen, wie man sich gut bereiten möge.

Zum ersten, und das klingt sehr nüchtern: „…der Mensch möge sein zeitliches Gut ordentlich verteilen…damit nicht bleibe nach seine Tod Ursache für Zank und Hader“. Ja, wie viel geht in vielen Familien über das Thema Erbe kaputt. Man kann beim Thema Tod gar nicht nur an sich denken. In einem aber schon, und das vertieft Luther noch: Löse Dich innerlich beizeiten von allem, was Du nun einmal verlieren wirst. Mache deinen Frieden damit.

Das zweite, was Luther empfiehlt: nimm geistlich Abschied: „Vergebe freundlich, rein um Gottes Willen allen Menschen, die uns beleidigt haben“ Und: „begehre umgekehrt allein um Gottes Willen Vergebung von allen Menschen deren wir viele ohne Zweifel beleidigt haben“. Wo wir wirklich verletzt sind, fällt uns das schwer. Luther weist darauf hin: Es gibt hier ein zu spät. Du hast es in der Hand, den schweren ersten Schritt auf den anderen zu wagen. Gehe ihn, sagt Luther, und du wirst es leichter haben.

Und das dritte: „Richte dich aus, wohin der Weg des Sterbens sich kehrt.“ Für ihn gab es da nur eine Richtung. Richte dich allein zu Gott. Die Pforte des Sterbens, sie ist für alle schmal, auch für die, die an Gott glauben. Aber ihnen wird der schmale Steig dann zum Leben. Luther vergleicht den Prozess des Sterbens mit der Geburt. So wie ein Kind unter Gefahr, Ängsten und Enge geboren wird und dann die Weite von Himmel und Erde erblickt, so wird es auch im Sterben sein: Wir müssen durch den engen Gang des Todes, der uns dieses Leben hier weit und groß erscheinen lässt und das zukünftige klein und eng. Aber nach der Enge und der Angst des Sterbens, die auch gläubige Menschen empfinden, wird der Raum weit und die Freude groß sein.

Den ersten beiden Ratschlägen Luthers wird man, ob man nun an Gott glaubt oder nicht, zustimmen können. Dem dritten, sich an den Weg Jesu zu halten, werden manche nicht folgen wollen oder können. Ein guter Rat findet sich aber auch für die, die das so halten wollen. Luther schreibt: „Im Leben sollte man sich mit des Todes Gedanken üben und sie zu uns fordern, wenn er noch fern ist und einen nicht in die Enge treibt.“ Der November, der heute beginnt, ist der Monat, in dem diese Gedanken traditionell ihren Raum haben. Getrost und getröstet sterben können – wie können wir das? Es ist tatsächlich eine Kunst, in die man sich erst einmal einüben muss. Wo man lernt, umzugehen mit seiner Unsicherheit, seiner Angst und Neigung zur Verdrängung. Aber warum sie nicht wiederentdecken, diese Kunst. Denn niemand weiß, wie der Tod einen einmal ereilen wird - nur dass es geschehen wird. Wohl dem, der dabei die Gelassenheit der letzten Worte dieser Motette teilen kann: „Nun schließ ich sanft in deine Hände und sage: Welt, zu guter Nacht! Eilt gleich mein Lebenslauf zum Ende, ist doch der Geist wohl angebracht. Er wird bei seinem Heiland ewig stehen, weil ich denselben hier im Glauben schon gesehen.“ Amen.

 

Gebet

Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.

Bleibe bei uns und bei deiner ganzen Kirche.

Bleibe bei uns am Abend des Tages, am Abend des Lebens, am Abend der Welt.

Bleibe bei uns mit deiner Gnade und Güte, mit deinem heiligen Wort und Sakrament, mit deinem Trost und Segen.

Bleibe bei uns, wenn über uns kommt die Nacht der Trübsal und Angst, die Nacht des Zweifels und der Anfechtung, die Nacht des bitteren Todes.

Bleibe bei uns und allen deinen Gläubigen in Zeit und Ewigkeit.

Vaterunser…

 Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche,

taddiken@thomaskirche.org