Motettenansprache zu BMW 113 „Herr Jesu Christ, du höchstes Gut“
- 10.08.2024
- Pfarrer Martin Hundertmark
PDF zur Motettenansprache HIER
Liebe Thomasser,
im letzten Jahr traf ich einen Abiturienten und stellte die Frage, wie es denn so gelaufen wäre?
Er war etwas zerknirscht und antwortete „Ich mache zusätzlich eine mündliche Prüfung in Mathematik.“
„Was ist denn da schief gegangen“, fragte ich?
Er antwortete „Ich habe nur 14 Punkte bekommen und wollte 15.“
Ganz ehrlich, wenn ich in Mathe mit 14 Punkte nach Hause gekommen wäre, dann ich meinen Eltern Theaterkarten gekauft und es hätte eine riesige Party gegeben, an die wir uns noch nach fünfundzwanzig Jahren erinnert hätten.
Dem kurzen Moment der Verwunderung meinerseits erfolgte aber die Ermutigung und Stärkung. Denn manchmal muss man sich im Leben Ziele setzen und voll aufs Risiko gehen, um etwas bewegen zu können. Ich wünschte ihm Glück und Segen und er schaffte das, was er sich vorgenommen hatte.
Für euer neues Schuljahr wünsche ich Euch ebenfalls Glück und Segen sowie die Erfahrung, dass es sich manchmal lohnt auch etwas zu tun, worüber alle anderen nur den Kopf schütteln, weil sie es nicht verstehen. Und ich danke euch für die unzähligen gemeinsamen Dienste in den Motetten hier in der Thomaskirche.
„Gott sei mir Sünder gnädig!“
Fünf einfache Worte, liebe Motettengemeinde. Und doch reichen sie aus, um alle Last auf der Seele eines angefochtenen Menschen zur Sprache zu bringen.
„Gott sei mir Sünder gnädig!“ so ruft der Zöllner im eben gehörten Evangelium. Es hat an einigen Stellen Eingang gefunden in die heutige Kantate „Herr Jesu Christ, du höchstes Gut“.
Johann Sebastian Bachs Choralkantatenjahrgang greift einen Choral der ausgehenden Reformationszeit mit acht Strophen auf. Von Sünde ist da die Rede und von Sündern.
Was verbinden wir damit? Was bezeichnen wir als Sünde? Wenn man in den Urlaub fliegt anstatt eine Woche ohne Dusche durchs Erzgebirge zu wandern?
Wenn man nachmittags im Café an der Thomaskirche ein zweites Stück Kuchen ist?
Wenn man sich zu seiner Liebe bekennt, die alle anderen nicht verstehen?
Im Sinne unseres Kantatentextes und in den allermeisten theologischen Texten der Bibel ist Sünde zuallererst Gottesferne. Der Mensch entfernt sich von Gott, weil er meint, allein und ohne Hilfe alles bewerkstelligen zu können. Geschehen dann Fehler, werden andere dafür verantwortlich gemacht. Ohne Gott und Sonnenschein bringe ich die Ernte meines Lebens ein. Solche Hybris, liebe Motettengemeinde, ist Gottesferne oder eben Sünde genannt. Alles andere sind moralische Kategorien, die gesellschaftlich ausdiskutiert werden müssen.
Dass wir fehlerbehaftet sind, ist nun wahrlich kein Geheimnis. Trotz aller Bemühungen misslingen auch Dinge. Beim Musiker ist das dann zu hören und schnell wird darüber geurteilt, warum war das oder jenes nicht richtig? Wie oft habe ich hier Gespräche oder Bewertungen gehört, in denen sich über Viertel- oder Halbtöne ausgelassen wurde.
Hat Bach die Kantaten komponiert, damit sie zuallererst perfekt aufgeführt werden?
Nein, liebe Motettengemeinde.
Er hat seine Musik komponiert, damit sie uns Menschen ins Herz geht als süßes, wohlklingendes Evangelium von der Gnade und Liebe Gottes. Dass euch das so oft gelingt, lieber Chor und liebe MusikerInnen, ist ein himmlisches Geschenk.
„Ich danke Dir Gott, dass ich nicht so bin wie die anderen Leute…“ ruft der Pharisäer im Evangeliumstext. Ihm gegenüber steht der Zöllner.
Er ist sich seiner Fehler bewusst. Deshalb die Bitte um Vergebung. In der Kantate klingen sie so:
Herr Jesu Christ, du höchstes Gut, du Brunnquell aller Gnaden, sieh doch, wie ich in meinem Mut mit Schmerzen bin beladen und in mir hab der Pfeile viel, die im Gewissen ohne Ziel mich armen Sünder drücken.
In der zweiten Strophe wird unser seelisches Dilemma beschrieben. Wir leiden an dem, was wir vergeigen. Wir haben ein schlechtes Gewissen, dass wie ein Wurm an der Seele nagt, uns zerknirschen lässt und letztlich dem Leben alle Freude nehmen kann. Wir leiden, wenn wir realisieren, dass Entscheidungen nicht mehr rückgängig gemacht werden können und deren Folgen wiederum Leid produzieren. Die Hinwendung zum Kreuz Christi empfiehlt uns der zweite Liedvers des Chorals. Christus gibt uns ein großes Versprechen: Ihr könnt alle Last zu mir bringen. Ich werde euch entlasten. Dafür steht mein Kreuz unverbrüchlich. Und wir, liebe Motettengemeinde, dürfen ihn daran immer mal wieder erinnern
…auf daß ich nicht für großem Weh in meinen Sünden untergeh, noch ewiglich verzage.
Christus will das wir leben können auch unter den Bedingungen von Schuld und Versagen. Deshalb nimmt er gerade auch die an, die auf dem falschen Weg sind und nun umkehren.
Jesus nimmt die Sünder an: süßes Wort voll Trost und Leben! Er schenkt die wahre Seelenruh und rufet jedem tröstlich zu: dein Sünd ist dir vergeben. (Aria, T)
Mit süßen Worten lockt Jesus die Sünder zu ihrem Heil. Kein „du musst dies oder jenes tun, bevor ich dir meine Liebe schenke“. Bedingungslos wendet sich Christus uns zu mit einem einladenden Leitvers aus dem Matthäusevangelium. Wir finden ihn im Tenorrezitativ der Kantate: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“
Jesus lockt uns mit dem, was der Seele guttut. Angenommensein, geliebt und geachtet werden.
So können Verletzungen heilen. Ein Neuanfang ist möglich.
Das Verhalten vom Pharisäer ist geprägt von Lästereien und Abwertung anderer Menschen, um eigene Leistungen besonders hervorzuheben. Das führt nicht zum friedlichen Umgang und Miteinander. Ganz im Gegenteil. Wo andere Menschen abgewertet werden und ihnen letztlich ihr Existenzrecht abgesprochen wird, gibt es Gewalt und Krieg.
Lassen wir es dort, wo wir Verantwortung haben, nicht so weit kommen. Denn Jesu Friedensbotschaft fängt zuallererst in uns, in unserem Herzen an. Damit sie dort nicht vor lauter Hass und Selbstgerechtigkeit untergeht, sind manchmal nur fünf Worte nötig:
Gott, sei mir Sünder gnädig.
Amen.