Motettenansprache

  • 24.08.2019
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Motette am 24. August 2019 Johann Sebastian Bach: Nimm von uns, Herr, du treuer Gott Choralkantate BWV 101 zum 10. Sonntag nach Trinitatis (EA: 13.8.1724)

 

1. CHOR Nimm von uns Herr, du treuer Gott, die schwere Straf und große Not, die wir mit Sünden ohne Zahl verdienet haben allzumal. Behüt für Krieg und teurer Zeit, für Seuchen, Feur und großem Leid.

2. ARIA (TENORE) Handle nicht nach deinen Rechten mit uns bösen Sündenknechten, laß das Schwert der Feinde ruhn! Höchster, höre unser Flehen, daß wir nicht durch sündlich Tun wie Jerusalem vergehen!

3. CHORAL UND RECITATIVO (SOPRANO) Ach! Herr Gott, durch die Treue dein wird unser Land in Fried und Ruhe sein. Wenn uns ein Unglückswetter droht, so rufen wir, barmherziger Gott, zu dir in solcher Not: mit Trost und Rettung uns erschein! Du kannst dem feindlichen Zerstören durch deine Macht und Hilfe wehren. Beweis an uns deine große Gnad und straf uns nicht auf frischer Tat, wenn unsre Füße wanken wollten und wir aus Schwachheit straucheln sollten. Wohn uns mit deiner Güte bei und gib, daß wir nur nach dem Guten streben, damit allhier und auch in jenem Leben dein Zorn und Grimm fern von uns sei.

4. ARIA (BASSO) Warum willst du so zornig sein? Es schlagen deines Eifers Flammen schon über unserm Haupt zusammen. Ach, stelle doch die Strafen ein und trag aus väterlicher Huld mit unserm schwachen Fleisch Geduld!

5. CHORAL UND RECITATIVO (TENORE) Die Sünd hat uns verderbet sehr. So müssen auch die Frömmsten sagen und mit betränten Augen klagen: Der Teufel plagt uns noch viel mehr. Ja, dieser böse Geist, der schon von Anbeginn ein Mörder heißt, sucht uns um unser Heil zu bringen und als ein Löwe zu verschlingen. Die Welt, auch unser Fleisch und Blut uns allezeit verführen tut. Wir treffen hier auf dieser schmalen Bahn sehr viel Hindernis im Guten an. Solch Elend kennst du, Herr, allein: hilf, Helfer, hilf uns Schwachen, du kannst uns stärker machen! Ach, laß uns dir befohlen sein.

6. ARIA (SOPRANO, ALTO) Gedenk an Jesu bittern Tod! Nimm, Vater, deines Sohnes Schmerzen und seiner Wunden Pein zu Herzen! Die sind ja für die ganze Welt Die Zahlung und das Lösegeld; erzeig auch mir zu aller Zeit, barmherzger Gott, Barmherzigkeit! Ich seufze stets in meiner Not: Gedenk an Jesu bittern Tod!

7. CHORAL Leit uns mit deiner rechten Hand und segne unser Stadt und Land; gib uns allzeit dein heilges Wort, behüt fürs Teufels List und Mord; verleih ein selges Stündelein, auf daß wir ewig bei dir sein.

 


Liebe Gemeinde und vor allem, liebe neue Thomasser und Familien,

da kommt heute nun gleich hinein mit dieser Kantate in die Bachzeit – und das gleich auf doppelte Weise:

Zum einen findet sich gleich im Eingangschor, Sie können es im Programm bitte mitlesen, die Bitte: „Nimm von uns, Herr du treuer Gott, die schwere Straf und große Not“, da ist die Bitte, doch verschont zu bleiben von Seuchen, Feur und großes Leid, vor Krieg und teure Zeit. Ja, immer mal wieder hat es in früheren Jahrhunderten auch den Thomanerchor getroffen, wenn die Pest hier durch die Stadt gezogen ist. Der Choral, der dieser Kantate zugrunde liegt, ist 1584 zur Pestzeit in Wittenberg gedichtet und es war eins der Hauptlieder auch noch zu Bachs Zeit. Und zum andern landen wir heute in seiner Zeit, weil man hier sieht: Wie hat man solche Ereignisse eingeordnet? Die Kantate reflektiert das so: All das ist Folge der Sünden ohne Zahl. Und das wird dann bunt ausgemalt.

Wir wollen sehen, was das mit uns und unserer Zeit zu tun hat- auf dass ihr nicht am Ende Eurer ersten Kantate aus der Thomaskirche geht und es ist wie in dem alten Witz, wo ein Junge zum ersten Mal in die Kirche geht und zuhause von den Eltern gefragt: Wie war es denn - und worum ging es? Der Junge: Der Pfarrer hat von der Sünde gesprochen. Und was hat er gesagt? Er war dagegen.

Nun, der der in dieser Kantate spricht: Er geht erst mal davon aus – wir haben das alles verdient, es ist kein Wunder, dass Gott zornig ist und straft, dass wir „wie Jerusalem vergehn“. Da möchte man die Noten schon nach dem Eingangschor und der Tenorarie zuklappen. Geht’s darum: Wir sind schlecht, schlecht, schlecht und gerecht ist die Strafe Gottes? Na ja, was wir in unserer Zeit ja durchaus begriffen haben ist: Es gibt ja schon Zusammenhänge zwischen unserem Verhalten und den Folgen. Unsere Leichtfertigkeit im Umgang mit Ressourcen wirkt sich negativ auf das Klima aus – und nicht nur die „Fridays for future“- Bewegung, die Jugendliche aufgebaut hat, macht uns klar:

Liebe Erwachsene, wir lassen euch da jetzt nicht mehr raus aus der Verantwortung. Sie werden unbequem bleiben und nicht nur Umdenken, sondern Umsteuern fordern. Eben, damit uns nicht treffen möge, was hier heißt: Seuchen, Feur und großes Leid – oder eben auch Vergehen wie „Jerusalem“. Wir haben es eben gehört in der Lesung: Jesus weint über die Stadt, weil sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat. Weil sie nicht erkannt, was zum Frieden dient, sondern an ihrem Weiter so zugrunde gegangen ist, sehenden Auges. Jesus kann das nur noch beweinen, wie es im Flehen der Tenorarie umgesetzt ist.

Der hier in der Kantate spricht – er erlebt sich im Zwiespalt, es doch eigentlich alles gut machen zu wollen. Wir meines es doch gut, wir versuchen doch alles, wollen wie es Sopranrezitativ heißt, doch „nur nach dem Guten zu streben“. Und so mögen auch wir uns sagen: Wir versuchen doch alles mehr oder weniger konsequent, versuchen, bewusst zu leben, Bioprodukte zu kaufen, Plastikmüll zu vermeiden, wir zahlen einen CO2 Ausgleich, wenn wir denn doch mal fliegen, wir verfeinern das immer weiter, wir haben auch gute Ratschläge an die anderen, was sie noch tun könnten - und wissen doch genau: All das allein wird nicht reichen. Das ist nur ein Beispiel für das, wie es im Leben meistens ist: Ich kann es wollen das Gute. Aber ich kann, wenn ich ehrlich bin, auch immer erkennen, dass ich es nur sehr bedingt schaffen kann, ich würde gerne viel konsequenter das einzuhalten, was ich mir selbst auferlege – wie z.B. vielleicht meine Familie besser zu behandeln, meinen Partner, meine Lehrer, meine Schüler, na all das, was wir uns immer wieder mit dem Sopran zum Guten vornehmen oder wo wir mit dem Tenor im fünften Satz nur einstimmen können: „Wir treffen hier auf dieser schmalen Bahn sehr viele Hindernis im Guten an.“

Den Schmerz über dieses Unvermögen, den kennen wir nun auch, diesen Spalt zwischen Wollen und Vollbringen. Und bei dem Wort Spalt – da sind wir bei dem, was das Wort Sünde eigentlich meint. Es kommt vom Wort „Sund“ – zwei unverbundene Ufer sind einander gegenüber, dazwischen ohne Brücke das tobende Meer. Die Bassarie und das Tenorrezitativ sind voll von Bildern, die diese Situatin beschreiben, vom Löwen verschlungen zu werden, auch der Teufel kommt noch vor, der böse Geist, der alles kaputt macht, der uns in der Verzweiflung über diesen Zustand denken lässt, na alles egal, nach mir die Sintflut, jetzt erst recht, hier, in diesem Spalt, in diesem Sund entsteht genau das, was die Kantaten die Sünden ohne Zahl nennt. Bis dann hörbar der Umschwung kommt im Duett von Sopran und Alt, wo auch die Musik sich verändert, wo es ganz innig wird.

Und so Bach, ich verstehe es jedenfalls so, anbietet, wie man denn mit dieser Situation für klarkommen kann. Dagegen zu sein –das reicht bei der Sünde nämlich nicht. Und so führt er hier alles sehr genau aus, so dass wir uns ganz mit den Musikern hineinversenken können, in das, was hier passiert: Mensch und Gott kommen sich ganz nah: „Gedenk an Jesu bittern Tod“. Es scheint, als ob die Sänger Gott daran erinnern müssen, dass er in Jesus doch selbst in diesen Spalt hineingekommen gekommen ist. Dass er ihn an sich selbst erlebt, was ein da quälen kann. Aber ich denke, sie erinnern nicht Gott. Den müssen wir nicht erinnern. Aber sie erinnern sich selbst, rufen sich das auf den Plan. Gerade hier ist er mir besonders nah, in diesem Spalt ist er der Gott für uns, der Vater-Unser. Und das ist nicht von ungefähr die eigentlich zugrundeliegende Choralmelodie (Luthers Vertonung des Vaterunser) der ganzen Kantate – im Schlusschoral wird sie ganz schlicht noch mal aufgenommen. Was ich aus mir selbst heraus nicht hinbekomme - er kann es, nur er. Ihm kann ich diesen Spalt hinhalten, ich muss nicht hineinfallen. Er kann diesen Spalt überbrücken. Das kann mich mit mir selbst versöhnen. Und versöhnlich, tröstlich ist diese Duett, Musik zum Weinen schön. Ich hoffe, dass uns das berührt: Euch in Eurer ersten Kantate und uns alle mit unseren Geschichten, dass es uns aufbaue und ermutige, keineswegs das Gute zu lassen, sondern wie der Tenor in seine Rezitativ zu bitten: „Hilf, Helfer, hilf uns Schwachen, Du kannst uns stärker machen.“



Gebet

Ja, Du unser Gott und Vater, Du kannst uns stärker machen. Wir sind hier mit all dem, was uns in der letzten Woche beschäftigt hat. Wir sind hier mit dem, was uns gelungen ist und was uns misslungen ist.

Wir vertrauen es Dir an: Lass wachsen, was gut war, heile, was zerbrochen ist. Hilf uns, dass wir die Zeichen der Zeit erkennen können und tun, was zum Frieden dient: an den Kranken, die Beistand brauchen. An den Ratlosen, die auf Zuspruch hoffen, an den Einsamen, dass wir an ihnen nicht vorbeigehen. Schenke DU unseren Wollen das Vollbringen. Darum bitten wir Dich mit Jesu Worten… Vaterunser….

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org