Motettenansprache

  • 01.11.2025
  • Pfarrerin Jutta Michael

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„Wohl denen, die da wandeln, vor Gott in Heiligkeit“

Lesung

Seligpreisungen aus der Bergpredigt, Matthäus 5, 1-10:

Als er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich; und seine Jünger traten zu ihm. 

Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach:

Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.

Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.

Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.

Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.

Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.

Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.

Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.

Ansprache

Liebe Motetten-Gemeinde,

was ist für Sie Glück?

Ich meine nicht im Sinne vom Los bei der „Glücks-Lotterie“ oder Glück-Gehabt als „Es hätte schlimmer kommen können“. -

Sondern eher im Sinne von „Glückseligkeit“ als dem Moment, den wir schwer in Worte fassen können.

Haben Sie am Bach-Marathon teilgenommen?

Von gestern Nachmittag an bis heute Vormittag spielte unser Thomasorganist Johannes Lang in einem fast 22-stündigen Konzert das gesamte Orgelwerk Johann Sebastian Bachs.

Bach-Begeisterte hörten einzelne Konzerte oder blieben die gesamte Zeit.

Stunden der Glückseligkeit, geschenkt durch die Musik.

Und wir dürfen mehrere Male in der Woche euch, den Thomanerchor erleben.

Menschen lassen sich berühren durch die Musik, werden angesprochen von Worten, die eine tiefe Sehnsucht zum Klingen bringen.

Was ist das für ein Zustand, glückselig zu sein?

Zu Beginn der Bergpredigt im Matthäus-Evangelium werden Glückselige genannt.

Und, wie zu ahnen, geht es nicht um Gewinnen und Haben.

Eher scheint es so, als das die Seligpreisungen einen Prozess beschreiben, weniger einen Zustand;

Eine Aussicht eröffnen, flüchtig wie Musik, die zwar verklingt, und doch überraschend Gefühle von Dankbarkeit und Zufriedenheit auslöst.

Die Seligpreisungen beginnen alle mit dem griechischen Wort Μακάριοι:

Übersetzen kann man das als Zuspruch:

Selig, glückselig oder glücklich und gesegnet sind; oder Wohl denen.

Wohl den Menschen, die barmherzig sind, die friedfertig sind.

Ihnen wird Segen und Heil zugesagt – ganz ohne Zutun, bedingungslos.  

Wir haben davon erst gestern wieder gehört und es gefeiert als das Herzstück des reformatorischen Glaubens:

Aus Gnaden wird dem Menschen das Heil Gottes zuteil:

„Es ist das Heil uns kommen her, von Gnad und lauter Güten“.

So hörten wir den Choral-Vers, geschrieben 1523, in der Motette von Johannes Brahms.

Paul Speratus dichtete dieses Lied.

Er hätte seine Hinwendung zur reformatorischen Lehre beinahe mit dem Leben bezahlt:

Als Ketzer verurteilt, sollte er den Feuertod sterben.

Sein Choral, der die Rechtfertigungslehre in mehreren Strophen erklärt, soll im Gefängnis entstanden sein, während er seine Strafe abwartete.

Wenn es so gewesen ist, lieferte er damit seinen Anklägern einen zusätzlichen schriftlichen Beweis.

Welch eine erlösende Kraft muss den Reformatoren aus ihrer Erkenntnis gestrahlt haben, dass sie nicht zurückwichen, selbst wenn ihr Leben bedroht war.

Paul Speratus wurde begnadigt.

Umso eifriger sorgte er für die Verbreitung des neuen Glaubens.

Gerettet und gesegnet, so wird er sich gefühlt haben.

Dankbar und furchtlos hat er sich weiter für die Reformation des Glaubens und der Kirche eingebracht und seine neue Überzeugung gelebt.

Ist das Glück? Glückseligkeit?

Wir ahnen:

Die Seligpreisungen aus der Predigt Jesu verheißen eine glückselige Welt, die sich am Ende aller Zeit erfüllen wird, aber doch schon hier und jetzt aufscheint.

Wer sich auf sie einlässt, für den ändert sich die Welt.

Nehmen wir einmal die erste Seligpreisung:

Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.

Die Haltung, arm im Geist zu sein, bewahrt davor, zu hoch von sich zu denken und sich selbst zu überfordern.

Wir dürfen unsere Grenzen annehmen und so realistisch wie es nur geht Ja zu uns sagen und werden erfahren:

Es ist genau richtig und gut so, weil Gott zuvor sein Ja zu uns sagt, bedingungslos.

Wir werden unseren Weg gehen und auf unverstellte Weise anderen begegnen und dem Miteinander guttun.

Selig sind, die mit sich im Reinen sind und aus diesem Selbstverständnis anderen offen begegnen,

Situationen annehmen können und sich wirksam einbringen.

Das ist das Kernstück der reformatorischen Erkenntnis am Beispiel der ersten Seligpreisung.

Die Seligpreisungen sprechen in eine Welt, die Gefahr läuft zu vergessen, was uns guttut.

Wir hören diese alten und scheinbar fernen Worte und werden gewahr:

Im Grunde ahnten wir schon immer, dass so zu leben wirklich glücklich leben heißt.

Darum finden die Worte Barmherzigkeit, Sanftmut und Friedfertigkeit einen Resonanzraum im Herzen.

Glück nach den Seligpreisungen heißt:

Sehnsucht nach Gerechtigkeit, die für alle gilt.

Ermutigung, sich an Gott zu halten im Leben: wir hörten davon in den gesungenen Psalmen.

Trost, wie bei der so aufrechten wie aufrichtenden Motette zum Römerbrief mit der Antwort Luthers:

Ob unserer geistigen Schwachheit: „Hilf uns, fröhlich und getrost bleiben“.

Die Seligpreisungen verheißen Glück, Segen und Heil in Fülle.

Sie versprechen das nicht für eine ferne Zukunft,

sondern laden ein, Hier und Jetzt aus dieser Vision zu leben.

Was zählt, ist die Gegenwart, eine Gegenwart, die mit Gott rechnet, die seiner Verheißung traut, sobald sie auch nur einen Winkel in unserem Herzen berührt.

Wir lassen es zu, uns zu sehen, wie wir sind und erkennen zugleich den andern als ebenso schwach und stark, zuversichtlich und voller Sorge, reich beschenkt und auf Gnade angewiesen.

Damit  sind wir hineingezogen in das Geflecht vielfältiger Beziehungen.

Mitmenschlichkeit wächst, weil wir gar nicht anders können als im Gegenüber ein ebenso sehnsuchtsvolles und beschenktes Geschöpf Gottes zu sehen.

Glück, das mich tief berührt und auf unser Miteinander ausstrahlt.

Darum wenden wir uns nun gleich noch einmal der Musik zu, die den Glauben an den dreieinigen Gott so großartig bekennt.

Für mich wird die Zusage vom Heil Gottes besonders eindrücklich, wenn Chor und Orchester aus der h-Moll-Messe Gott um seinen Frieden für uns bitten:

„Dona nobis pacem!“

Amen.

Fürbitte und Vaterunser

Lasst und beten:

Barmherziger Gott, 
du suchst die Nähe zu uns Menschen, 
willst deine Liebe unter uns neu entfalten, 
durch dein Wort, durch die Musik, die daraus geschaffen wird.

Wir danken dir für alles, was deine Liebe predigt: Musik, Wort, Stille.  

Wir bitten dich für die Orte des Glaubens:
Erfülle sie immer wieder mit deinem Geist. 
Mache sie zu Orten der Versöhnung und des Friedens. 
Rufe Menschen zusammen, die deinen Geist empfangen und weitertragen.

Lass uns deine Gegenwart spüren.                                                                                                                            Hilf uns, gegen alle Verzagtheit deine Zuversicht zu leben,                               da, wo Orientierung fehlt, von deiner Glückseligkeit zu zeugen.

Wir bitten dich um Frieden für die Welt,
für die Ukraine, für Israel und Gaza, für den Sudan. 
Wir bitten für alle Menschen, 
die von Gewalt und Terror betroffen sind, 
und wir bitten um deinen Schutz 
für alle, die sich vor sie stellen. 
Stärke alle, die sich für eine gerechte und stabile Ordnung in der Welt einsetzen; 
wehre denen, die ihre Interessen mit Gewalt durchsetzen.

Wir bitten dich um Frieden in unseren Häusern und Herzen. 
Für unsere Familien und für alle Menschen, 
die einander lieben und sich umeinander sorgen; 
und für alle, die einander nicht gerecht werden. 
Komm und bringe Heilung und Hilfe. 
Hilf uns, einander wohlzutun und füreinander da zu sein. 
Stärke unseren Glauben  an die Macht deiner Liebe.
Amen. 

Wir beten gemeinsam:

Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib uns unsre Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.