Motettenansprache
- 22.02.2019
- Pfarrer Hundertmark
Liebe Motettengemeinde,
„Ein Lied vom Gesetz und vom Glauben, mächtig mit göttlicher Schrift belegt.“ So leitet der Verfasser Paul Speratus das vierzehnstrophige Lied „Es ist das Heil uns kommen her“ ein.
Als Wochenlied begleitet es uns in dieser Woche und soll heute Abend Grundlage für die Ansprache sein.
Martin Luther beschwerte sich Anfang der 1520er Jahre, dass es nicht genügend Choräle gäbe, die von der neuen reformatorischen Theologie geprägt sind. Es müsste mehr gedichtet werden, damit alle singend gewissermaßen wie von selbst aufsaugen, was die Reformatoren wiederentdeckt haben – Gottes geschenkte Barmherzigkeit und Liebe ohne menschlichen Verdienst. Paul Speratus folgte diesem Aufruf und schrieb 1523 sein Lied. Bevor wieder darauf eingehen, möchte ich den Verfasser ein wenig beleuchten.
Höchstwahrscheinlich handelt es sich um einen gewissen Paul Offer, der 1503 durch einen Matrikeleintrag in der Universität zu Freiburg belegt ist. Dort studierte er Jura und wahrscheinlich auch Theologie, wurde zum Priester geweiht und war zwischen 1514 und 1518 in Salzburg tätig. Dort schrieb er 1526 noch einen Lobgesang auf Luthers späteren Gegner Johannes Eck, der vor 500 Jahren hier in Leipzig mit dem Reformator disputierte.
Wie das Leben so spielt, sind die Wege manchmal verschlungen. Paul Speratus lernte die schöne Anna Fuchs kennen, verliebte sich und lebte mit ihr zusammen. Daraufhin musste er Salzburg verlassen, später auch Würzburg, wo er als Domprediger tätig war. Seine Predigten, in denen er sich zunehmend schärfer gegen den Zölibat positionierte, brachten ihm auch 1522 in Wien Ärger ein. Er hielt im dortigen Stephansdom eine Predigt als Antwort auf die Predigt eines Mönches, der den Zölibat verteidigte und das nicht ohne Grund. Denn die Predigt jenes Mönches war auf Speratus gemünzt und besonders auf sein Verhältnis zu Anna Fuchs. Daraufhin wurde Speratus exkommuniziert.
Es noch weiter: Der Bischof von Olmütz verurteilte ihn aufgrund der reformatorischen Predigten in Iglau zum Tode; begnadigte ihn aber unter der Auflage, das Land zu verlassen. Paul Speratus ging dann über Wittenberg nach Königsberg, weil er von Albrecht von Preußen zum Prediger berufen wurde. Von 1530 bis zu seinem Tod 1551 war er in Marienwerder als Bischof von Pomesanien tätig.
Sein Lied EG 342 ist schon in einem der ersten reformatorischen Gesangbücher, dem Achtliederbuch von 1523, enthalten.
Die erste Strophe seines Liedes machen das Zentrum reformatorischer Theologie deutlich: Solus Christus – allein Jesus Christus ist der Mittler zwischen uns Menschen und Gott. Und sola fide – allein aus Glauben an ihn werden wir durch ihn gerettet.
Dann entfaltet er die Lehre von der Entfernung des Menschen von Gottes Wort. Wir nehmen uns oft selber zu wichtig. Eigene Interessen, Vorteile oder auch die Überschätzung ausschließlich für unser Heil selber verantwortlich zu sein führen uns weg von Gottes Wort, weg von seinen Geboten. Das, liebe Gemeinde, ist so aktuelle wie zu Zeiten Mose oder eben jenes Paul Speratus zu Beginn des 16. Jahrhunderts.
Je mehr der Mensch versucht, durch gute Werke einen schönen Schein aufzubauen, der doch nur blendet und ablenkt vom Egoismus, desto weiter entfernt er sich von Gott. Aus eigener Kraft können wir nicht frei werden. Nur ein einziger Mensch war imstande, alles zu erfüllen – Jesus Christus. Von daher ist es folgerichtig, wenn die Gemeinde in der 6. Strophe singt: „Lieber Herre mein, dein Tod wird mir das Leben sein, du hast für mich bezahlet.“
Jetzt kehren sich die Vorzeichen um. Weil ich mich als Mensch nicht mehr mühen muss, vor Gott Gefallen zu finden, weil mir durch Christus alles Heilsnotwendige geschenkt ist, brauche ich nur zwei Dinge:
Erstens – den Glauben an genau jenes Heilsgeschehen. Und
Zweitens – den daraus folgenden Blick für meinen Nächsten, dem ich in Liebe diene als Dank für eben jenes Geschenk der barmherzigen Zuwendung Gottes aus Liebe.
Lasst uns gemeinsam davon singen. Wir hören zunächst ein Choralvorspiel von J. S. Bach aus dem „Orgelbüchlein“.
LIEDVERSE 6 – 8
Martin Luther fasste in seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ zusammen:
„Ein Christenmensch ist ein freier Herr und niemanden untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan.“
Bezieht sich der erste Teil auf die Freiheit des Gewissens im Glauben an Christus, wird im zweiten Teil der Blick auf die Folgen gelenkt. Paul Speratus entfaltet diese Gedanken in Vers 9 und 10 seines Liedes. Evangelium Gottes ist gute, stärkende Botschaft von seiner Liebe. Es richtet den Menschen auf, der im Alltag seine Unzulänglichkeiten erkennt und daran zu verzweifeln droht. „Tu dies und jenes.“
„Warum ist das noch nicht fertig?“
Wieso hast du so entschieden und nicht anders?“
All solche Rechtfertigungssätze und –vorwürfe begleiten unser Leben.
Weil ich vor Gott durch Christus gut dastehe und für das Wichtigste im Leben eben nicht ständig Leistung erbringen muss, bin ich als Mensch frei. Diese Freiheit findet ihre Entsprechung im Dienst am Nächsten, wie es Ende der 10. Strophe heißt.
Zum Glauben gehören die Zweifel. Vieles ist zum Verzweifeln, wenn wir wahrnehmen, wie sich Dinge trotz besseren Wissens zum Bösen hin wenden. Gottes Wort, seine Zusagen stehen den Alltagserfahrungen oftmals entgegen. „Die Hoffnung wartet auf die rechte Zeit, in der Gottes Wort uns stärkt“ schreibt Speratus in Strophe 11.
Weil Gottes Handeln gerade nicht eins zu eins ablesbar ist, weil er im Unscheinbaren Großes sieht oder im Verborgenen sich der Schwachen annimmt, fällt es dem Menschen schwer, allein darauf zu vertrauen. Wie näher liegt uns doch das deutlich sichtbare Zeichen.
Paul Speratus will uns mit auf den Weg geben:
Selbst wenn alles gegen Gott spricht, bleib ihm treu, vertraue seiner Liebe und seinen Zusagen.
Er verlässt dich nicht, sondern rettet dich am Ende aus allen Verstrickungen von Schuld, Sünde, ja sogar vom Tod. Amen.
Wir singen die Verse 11 und 12.
Gebet
Barmherziger Vater im Himmel.
Manche Last hat uns in dieser Woche niedergedrückt. Nimm von uns, was beschwerlich war; heile, wo Schaden entstanden ist durch unser Tun.
Manches Glück wurde uns geschenkt. Hab Dank dafür und lass uns nicht vergessen, zu teilen, was wir im Überfluss haben.
Manche Sorge umwölkt unsere Gedanken – Sorge um Frieden, Sorge um Zukunft, Sorge um die eigenen Gesundheit oder die unserer Lieben.
Befreie uns von den Sorgen des Alltags, indem du uns lehrst, die kleinen schönen Dinge zu sehen, mit denen Du uns besonders in schwerer Zeit erfreuen willst.
Manches bringen wir nicht über die Lippen, sondern nur über unser Herz zu Dir.
Deshalb wollen wir in der Stille beten und danach das VATER UNSER singen:
Martin Hundertmark, Pfarrer an der Thomaskirche, hundertmark@thomaskirche.org