Motettenansprache

  • 13.04.2019
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Liebe Motettengemeinde,

 Advent mitten in der Passionszeit – so lässt sich der morgige Palmsonntag ganz gut beschreiben.

Wir werden gleich aus Johann Sebastian Bachs Kantate „Himmelskönig sei willkommen“ den Eingangssatz hören und uns musikalisch an den Hof eines Herrschers, dessen Ankunft angekündigt wird, führen lassen.

Der zujubelnden Menge wird vor Augen geführt, dass Jesu Einzug in Jerusalem gemäß der Evangelientexte zwar ein Ereignis war, dass die Massen jubeln lies. Damit kann der nachösterliche Hörer aber schlicht nicht wirklich etwas anfangen. Hysterische Jubel, weil ein lang erwarteter Führer, der das Volk zur Hysterie treibt, in eine Stadt kommt, hat in der Geschichte selten etwas Positives gebracht. Ganz im Gegenteil – die populistischen Heilsversprechen wandelten sich regelmäßig in großes Leid.

Deshalb sind die Zeilen nach dem Willkommen “Lass auch uns dein Zion sein! Komm herein, Du hast uns das Herz genommen“ von großer Bedeutung.

Jenseits aller historischen Betrachtung handelt es sich, und ich möchte fast sagen tagtäglich, um ein sehr individuelles Ereignis. Christus will nicht die Massen begeistern, er möchte den Einzelnen zum dazu einladen, ihm Vertrauen zu schenken.

Christus will in unser Herz einziehen, will dort Wohnung nehmen. Er fragt mich als Glaubenden, ob ich dazu bereit bin oder ob ich mich wie damals nur vom Jubel leiten lasse, der schon kurze Zeit in das widerliche, hasserfüllte „kreuzige ihn“ umschlägt.

Christus kommt zu uns Menschen, zu denen, die auf ihn warten ebenso wie zu denen, die von anderen aufgegeben wurden. Er geht den Weg aus Liebe, um in aller Konsequenz zu zeigen: Solche Liebe hat sogar die Kraft, den Tod zu besiegen. Sie schreckt vor ihm nicht zurück und nimmt ihm dadurch seine endgültige Macht.

Der Bass im 4. Satz reflektiert dieses Geschehen wenn er in der Arie singt: „Starkes Lieben, das dich, großer Gottessohn, von dem Thron deiner Herrlichkeit getrieben“.

 Im Sonntagsevangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem hieben die Menschen Palmzweige ab und breiteten ihre Oberkleider vor Jesus aus.

Für den barocken Gläubigen werden aus den Palmzweigen des Matthäusevangeliums „Herzen, die ihr christlich seid“. Sie sollen dem Heiland hingelegt werden.

Nicht auf äußerlichen Glaubensschmuck kommt es demnach an, sondern darauf, ob der Mensch bereit ist, mit Jesus Christus seinen Weg zu gehen. Der inneren Wandlung folgt die äußere hin zur tätigen Nachfolge im Vertrauen auf einen Gott, der mich liebt und das durch Christus zeigt.

Mit ihm durchs Leben zu ziehen ist die große Einladung. Dabei wird deutlich: Will alles einigermaßen glaubwürdig und dadurch auch einladend für andere sein, so darf sich Christsein nicht allein im spirituellen Wohlfühlen ergehen. Nachfolge heißt, auch am Kreuz stehen zu bleiben und nicht zu fliehen.

Solche Standhaftigkeit bedarf der inneren Stärkung durch ein grenzenloses Vertrauen auf Gott. Wie schwer das ist, macht J. S. Bach in der nächsten Arie, gesungen vom Tenor, deutlich, indem er den beiden Worten „kreuzige“ und „fliehen“ Raum zur Entfaltung gibt. Fast beklemmend wirkt das und ich lasse mich mit einem gewissen Schauder daran erinnern: Zwischen dem „Hosianna“ und dem „Kreuzige“ aus ein und demselben Mund liegt oftmals nur ein Atemzug, weil sich der Wind gedreht hat.

 Mit der Masse zu schreien und bei Anfechtungen oder geforderten eigenem Einsatz dann schnell das Weite zu suchen, ist keine große Kunst.

Es bedarf hier immer wieder Menschen, die „Nein“ sagen, wo die Masse schreit „Kreuzige ihn“ oder „Absaufen“ oder „Ausländer raus“.

 Die dem Menschen geschenkte Würde begründet sich im Handeln des schöpferischen Gottes. Ohne Unterschied ist menschliches Leben nach biblischer Lesart gleich viel wert.

Die Debatten in dieser Woche über den Bluttest an ungeborenen Kindern, um Trisomie 21 validieren zu können, zeigen einmal mehr, an welchen ethischen Abgründen sich unsere Gesellschaft bewegt.

Das menschlich Machbare suggeriert uns oft eine Aussicht auf perfektes Leben und optimierte Lebensumstände. Die Erinnerung an Christi Passion will den Menschen auch an seine eigene Sterblichkeit erinnern. Dadurch soll er nicht geängstigt werden. Das Kreuz Christis soll vielmehr Trost- und Hoffnungssymbol sein.

Im einzigen Choral der Kantate entfaltet der Dichter Paul Stockmann mit dem Bild der Rose den Weg zum ewigen Leben. Die Blätter der Rose stehen hier symbolisch für die fünf Wunden Christi. Der Glaube, dass Christi Tod am Kreuz auch für mich Zukunft über irdisches Leben hinaus bedeutet, reicht schon aus, um Angst in Freude zu verwandeln.

Der in mein Herz einziehende Himmelskönig nimmt mich mit auf dem Weg ins himmlische Jerusalem als den Ort ewiger Gemeinschaft und Freude mit Gott. Daran wird auch erfahrenes Leid nichts ändern. Amen.

 Matthäus 21, 1-9

1 Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus

2 und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir!

3 Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen.

4 Das geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9):

5 »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.«

6 Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte,

7 und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf und er setzte sich darauf.

8 Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg.

9 Die Menge aber, die ihm voranging und nachfolgte, schrie: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe.

Martin Hundertmark, Pfarrer an der Thomaskirche, hundertmark@thomaskirche.org