Motettenansprache

  • 03.03.2017
  • Pfarrer Hundertmark

3.3.2017, Thomaskirche zu Leipzig um 18 Uhr

Liebe Motettengemeinde,

Worauf wollen wir uns als Gesellschaft gründen? Welche Werte sollen bestimmend sein für ein gemeinsames Leben? Solche Fragen sind gegenwärtig besonders aktuell. Aktuell deswegen, weil vieles infrage gestellt wird. Wie weit darf Meinungsfreiheit gehen? Wo sind die Grenzen der Nächstenliebe? Wann verwässert die Demokratie?

Ganz einfach ist es nicht, diese Fragen zu beantworten. Vielmehr befinden wir uns als Gesellschaft in einem selbstkritischen, klärenden Prozess, der seine Impulse meistens von außen bekommt. Die Wahl Donald Trumps zum amerikanischen Präsidenten lässt uns aufhorchen und mit kritischen Augen auf bei uns beginnende Wahlkämpfe schauen. Das Agieren der türkischen Staatsregierung fordert uns heraus, Flagge zu zeigen für Demokratie, Menschenrechte und fordert uns zum Bewusstwerden heraus, dass eben jene auch ihren Preis haben.

Freiheit, Demokratie, Mitbestimmung fallen nicht als Geschenke vom Himmel. Daran dürfen und müssen wir stets erinnert werden. Sie gehen verloren, wo wir uns als Menschen verlieren in einem selbstgefälligen Leben ohne Achtung derjenigen, die neben uns sind. Ausgehöhlt wird die Freiheit, wo sie sich von der Verantwortung entkoppelt. Verantwortungslos wäre zum Beispiel die Verweigerung eines klaren Bekenntnisses aller gesellschaftlichen und politischen Kräfte, dass es sich nicht mit unseren Grundwerten vereinbaren lässt, wenn in Deutschland für eine Diktatur geworben wird.

Von den gesellschaftlichen und politischen Fragen, die den Einzelnen bewegen unweit entfernt ist die Frage nach dem eigenen Fundament. Auf welchem Fundament will ich eigentlich mein Leben bauen? Was gibt mir Halt inmitten haltloser Zustände oder Lebensphasen, die als schwierig und unschön zu beschreiben sind?

Im Psalm 73, den Johann Ludwig Bach vertont hat, lässt sich eine Antwort finden. Es ist die Antwort des Glaubenden, der sich vergewissern will, indem er seine Lebenssituation vor Gott bringt, um dann zu schlussfolgern:

„Dennoch bleibe ich stets an dir;

denn du hältst mich bei meiner rechten Hand,

du leitest mich nach deinem Rat

und nimmst mich am Ende mit Ehren an.

Wenn ich nur dich habe,

so frage ich nichts nach Himmel und Erde.

Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet,

so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.

Aber das ist meine Freude,

dass ich mich zu Gott halte

und meine Zuversicht setze auf Gott den Herrn,

dass ich verkündige all dein Tun.“

So etwas geht nur mit guten Gottes-Erfahrungen. Sie sortieren sich auf dem eigenen Lebensweg, geben ihm Prägung und somit auch Richtung. Der so in und mit Gott verbundene Mensch, weiß dann, dass er sich an ihn wenden kann, weil Gott wenden will, was uns Mühsal bereitet. Gott wird zum Trost des Herzens – ein gelungenes Bild, wie ich meine. Denn so kommt zum Ausdruck, wo ich Gott nötig habe. Hier im Herzen, das sich manchmal verengen will ob der vielen Sorgen oder vor Angst plötzlich schnell zu pochen beginnt. Wohltuende Erinnerung an Gott und seine Maßstäbe können beruhigende und tröstliche Wirkung entfalten inmitten von Unruhe und Orientierungslosigkeit.

Die Zuversicht auf Gott zu setzen und nicht allein auf Menschen wirkt wie ein Neuausrichten des inneren Kompasses. Gerade und besonders in Zeiten der Autokraten, Despoten und Populisten, die haltlose soziale Versprechungen machen oder mit eiserner Hand Freiheitsverluste als großes Geschenk anpreisen ist die innere Ausrichtung wichtig. Gerne ermutige ich gemeinsam mit dem Psalmbeter, hier Gott ins Spiel zu bringen in Gebet, Bekenntnis und Lob. Und so wird die Arie aus der Motette von J. S. Bach „Singet dem Herrn ein neues Lied“ gleichermaßen zum bekennenden Gebet, wenn es dort heißt:

„Drum sei du unser Schirm und Licht,

und trüg uns unsre Hoffnung nicht,

so wirst du’s ferner machen.

Wohl dem, der sich nur steif und fest

auf dich und deine Huld verlässt.“

Mit Gottvertrauen lösen sich nicht alle Probleme, weder die persönlichen noch die gesellschaftlichen, einfach in Luft auf. Aber es ist enorm hilfreich jemanden zur Seite zu wissen:

  • dem ich vertrauen kann, wenn ich sie zu lösen versuche;
  • der mich auch da begleitet, wo alle davonlaufen;
  • der mir hin und wieder die Augen öffnen will für begegnende Liebe

Wo solche Erfahrungen mit Gott gemacht wurden, bricht sich die Freude Bahn und mündet in Lobsingen. Amen.

 

Gebet

Herr, ich halte dir meine Hände hin,

alles, was sie heute in die Hand genommen haben,

alles, was mir gelungen und misslungen ist.

Ich halte dir die Menschen hin,

denen ich heute die Hand gereicht habe,

und die, denen ich sie verweigert habe.

Ich halte dir hin, was ich geformt und gestaltet habe

und was mir aus der Hand geglitten ist.

Ich halte dir in meinen Händen diesen Tag hin,

so wie er war.

Ich verzichte darauf, zu beurteilen und zu bewerten, was war.

Ich überlasse dir das Urteil.

Ich vertraue dir, dass du alles verwandeln kannst, was heute war.

Ich übergebe dir den Tag.

Manchmal hatte ich das Gefühl, dass mir alles zwischen den Fingern zerrinnt,

dass der Tag nur Stückwerk war.

Füge du zusammen, was zerstückelt ist.

Ich lege meinen Tag in deine guten und zärtlichen Hände.

(nach Anselm Grün)