Motettenansprache

  • 07.06.2019
  • Pfarrerin Britta Taddiken

1. CORO Erschallet, ihr Lieder, erklinget, ihr Saiten! O seligste Zeiten! Gott will sich die Seelen zu Tempeln bereiten.

 

2. RECITATIVO (BASSO) »Wer mich liebet, der wird mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen.«

 

3. ARIA (BASSO) Heiligste Dreieinigkeit, großer Gott der Ehren, Komm doch, in der Gnadenzeit bei uns einzukehren; komm doch in der Herzenshütten, sind sie gleich gering und klein; komm und lass dich doch erbitten, komm und kehre bei uns ein!

 

4. ARIA (TENORE) O Seelenparadies, das Gottes Geist durchwehet, der bei der Schöpfung blies, der Geist, der nie vergehet. Auf, auf, bereite dich, der Tröster nahet sich.

5. DUETTO (SOPRANO ET ALTO)

ANIMA (SEELE) Komm, lass mich nicht länger warten, komm, du sanfter Himmelswind, wehe durch den Herzensgarten! SPIRITUS SANCTUS (HEILIGER GEIST) Ich erquicke dich, mein Kind.

ANIMA Liebste Liebe, die so süße, aller Wollust Überfluss! Ich vergeh, wenn ich dich misse.

SPIRITUS SANCTUS Nimm von mir den Gnadenkuss.

ANIMA Sei im Glauben mir willkommen, höchste Liebe, komm herein! Du hast mir das Herz genommen.

SPIRITUS SANCTUS Ich bin dein, und du bist mein!

 

6. CHORALE Von Gott kömmt mir ein Freudenschein, wenn du mit deinen Äugelein mich freundlich tust anblicken. O Herr Jesu, mein trautes Gut, dein Wort, dein Geist, dein Leib und Blut mich innerlich erquicken: Nimm mich freundlich in dein Arme, · dass ich warme werd von Gnaden: auf dein Wort komm ich geladen.

 

CORO (WIEDERHOLT)

 

Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen. 24 Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat. 25 Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin. 26 Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. 27 Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht. (Johannes 14,23-27)

 

Liebe Gemeinde,

ein wunderbares Stück Musik ist diese Motette von Kurt Thomas, die wir eben gehört haben. Aber was für ein schreckliches Ende: „Du verstörte Tochter Babel, wohl dem, der dir vergilt, wie du uns getan hast, wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt und zerschmettert sie an einem Stein.“ Was ist das, wie kann so etwas in der Bibel stehen? Solch ein Wunsch nach roher Vergeltung, Gewalt – gekleidet in das Gewand einer Seligpreisung! Ja, wenn man solch ein Werk aufführt, muss man etwas dazu sagen. Und  auch darüber nachdenken, ob unser Entsetzen auch etwas damit zu tun haben könnte, dass wir sehr wohl merken und wissen: Auch in mir selbst gibt es Gewaltphantasien. Phantasien wohlgemerkt. Ich habe Seiten an mir, die gucke ich mir nicht gerne an. Ich denke, auch damit hat es zu tun. Denn wenn man sich den ganzen Werk- bzw. Bibeltext anschaut, sieht man: Da schlägt offensichtlich die Stimmung um. Da sind Menschen, die sind tieftraurig und gedemütigt. Die Israeliten sind nach Babylon deportiert worden. Sie haben ihre Heimat verloren und den Mittelpunkt ihrer Religion, ihrer Identität. Der Tempel lag in Schutt und Asche und der Zion, der Berg Gottes, Inbegriff des Ortes der Erlösung von allem Schmerz und Leid – den würden sie nicht wiedersehen.

Und obendrein wurden sie gezwungen, als Gefangene ihre Lieder vom Zion anzustimmen, mit fröhlichen Gesichtern. Aber sie weigerten sich. Hängten ihre Harfen in die Weiden. Ließen sich nicht auch noch die letzte Würde nehmen. Und schworen sich selbst: Sie würden nicht das verraten, was ihnen am heiligsten ist. Eher soll ihnen die Zunge am Gaumen kleben. Erst dann kommt dieser Wunsch nach Rache, diese abscheuliche Gewaltvision. Sie scheint ein psychisches Ventil zu sein, dessen Öffnung zu überleben hilft. Das macht sie nicht besser. Aber es gehört eben auch zu uns, dass wir so sind. Es gibt solche Phantasien.

 

Gerade das aber zeigt, wie nötig wir Pfingsten haben. Dass, wenn man so will, dieser Geist in uns nicht die Oberhand gewinne. Sondern dass wir gestärkt werden zum Guten, zum Frieden. Zur Verständigung mit unseren Nachbarn nebenan und weltweit. Die Pfingstgeschichte erzählt davon, wir werden sie morgen in unseren Gottesdiensten lesen. Heftiger Wind erfasst die Jünger, ein Brausen vom Himmel, sie hören die Menschen in ihren eigenen Sprachen reden –und sie verstehen plötzlich. Bachs Kantate „Erschallet ihr Lieder“ gibt nun ergänzend dazu einen Einblick in das innere Geschehen von Pfingsten. Von dem, was es in uns bewirken kann. Und folgt damit dem Text aus dem Johannesevangelium, den wir eben gehört haben.

 

Der festliche Eingangschor gibt das Thema vor: „O seligste Zeiten! Gott will sich die Seelen zu Tempeln bereiten“. Und im Rezitativ des Basses erklingt dann die Stimme Jesu:  „Wer mich liebt, der wird mein Wort halten und mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen.“ Das also ist Pfingsten nach Johannes: Gottes Unmittelbarkeit zu jedem Menschen. Dass er  ins Innerste jedes Menschen kommen kann und will. Er will in uns wohnen – auf der Basis der Liebe und der Verständigung. Damit eröffnet er in uns einerseits einen Raum für den Trost, den wir in dieser Welt in ihrem Ineinander von Elend und Größe, Kummer und Glück dringend benötigen. Und verheißt uns andererseits eine notwendige Erneuerung und Korrektur unseres Denkens und Fühlens:  Euer Herz wird eine andere Sprache sprechen als das Herz der Welt, in der ihr lebt.

 

Die Kantate ist voll von Sehnsucht nach dieser Veränderung. „Komm, lass mich nicht länger warten, komm, du sanfter Himmelswind, wehe durch den Herzensgarten“, so heißt es in der Sopranarie im innigen Gespräch von Seele und Geist Gottes. „Ich erquicke dich, mein Kind.“ Vielleicht ist diese Kantate gerade darin berührend, wenn man auf das schaut, was die Welt gerade bewegt und welche Sprache da oft gesprochen wird – nämlich eine, die alles andere als Verständigung im Sinn hat. Wo nicht nur politische Bündnisse auseinanderzubrechen drohen, wo Partnerschaften und Zielstellungen mehr oder weniger aufgekündigt werden ohne Not, ohne Sinn und Verstand. Wo jahrelange Bemühungen, die Menschheit näher zusammenzubringen in ihrer gemeinsamen Verantwortung für diese eine Welt, einfach mal so eben für obsolet erklärt werden. Man kann nur hoffen, dass sich der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit Raum verschafft und dem Geist der Furcht die Luft ausgeht.

 

Im Pfingstereignis, wie es das Johannesevangelium beschreibt und auch die heutige Kantate, beginnt das immer wieder bei jedem einzelnen von Neuem. Grundlage dafür, dass der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit unter uns wirken können ist das, was Jesus sagt: Wenn ihr meine Worte im Herzen bewahrt und ihnen Wohnraum in euch gebt, werde ich bei euch sein. Wer weiß, was dann in euch, mit euch passiert? Zumindest werdet ihr berührbar bleiben, für den Schmerz (und natürlich auch für die Schönheit) der Welt. Nichts wird euch gleichgültig sein.

 

Bitten wir darum, dass Gott es in uns Pfingsten werden lasse. Wir wollen es tun mit Worten des Kirchenvaters Augustinus:

Atme in mir, du heiliger Geist, dass ich Heiliges denke. Trebe mich, du heiliger Geist, dass ich Heiliges tue. Locke mich, du heiliger Geist, dass ich Heiliges lebe. Stärke mich, du heiliger Geist, dass ich Heiliges hüte. Hüte mich, du heiliger Geist, dass ich das Heilige nie mehr verliere.

 

Vaterunser…

 

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org