Motettenansprache

  • 07.06.2019
  • Pfarrerin Taddiken

Liebe Gemeinde,

zu Pfingsten fangen die Menschen an, die Sprache des anderen zu verstehen. So erzählt es die Pfingstgeschichte. Sie fangen an, in dem, was sie verbindet, ihr Heil zu sehen. Nicht in dem, was sie unterscheidet. Viele sind da im Moment auf ganz anderen Wegen unterwegs. Voneinander weg. Politisch und auch sonst. Queen Elizabeth ist mit ihren 93 Jahren in dieser Woche ungewöhnlich deutlich geworden in ihrer Ansprache an Donald Trump und wohl auch an ihre eigene unglückliche Nation. Dass da gerade etwas in Vergessenheit gerät, was gerade angesichts der Gedenkfeiern zum D-Day wichtig zu betonen ist. Gesagt hat sie: „Wir haben nach dem zweiten Weltkrieg gemeinsam internationale Institutionen geschaffen, um sicherzustellen, dass sich die Schrecken eines Krieges nicht wiederholen.“ Uno, Welthandelsorganisation, Nato. Die EU hat vor sieben Jahren den Friedensnobelpreis bekommen. Da war doch was. So mag man am Ende dieser Woche gern in die fünfte Strophe des Pfingstliedes einstimmen, das wir gleich singen: „Lenk uns nach dem Willen dein, wärm die kalten Herzen fein, bring zurecht, die irrig sein.“

Nun lassen sich aber auch in der Bibel Stellen finden, die ganz und gar nicht diesem verbindenden pfingstlichen Geist entsprechen. Ein Beispiel dafür ist der Schluss des 137. Psalms, den wir nachher in Vertonung des früheren Thomaskantors Kurt Thomas hören. Ein wunderbares Stück Musik, aber ein schreckliches Ende: „Du verstörte Tochter Babel, wohl dem, der dir vergilt, wie du uns getan hast, wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt und zerschmettert sie an einem Stein.“ Was soll das? Solch ein Wunsch nach roher Vergeltung, Gewalt – gekleidet auch noch in das Gewand einer Seligpreisung! Ja, wenn man solch ein Werk aufführt, muss man etwas zu sagen. Und vielleicht darüber nachdenken, dass unser Entsetzen auch etwas damit zu tun haben könnte, dass wir sehr wohl merken und wissen: Auch in mir selbst gibt es Gewaltphantasien. Phantasien wohlgemerkt. Ich habe Seiten an mir, die gucke ich mir nicht gerne an. Ich denke, auch damit hat es zu tun. Denn wenn man sich den ganzen Werk- bzw. Bibeltext anschaut, sieht man: Da schlägt offensichtlich die Stimmung um. Da sind Menschen, die sind tieftraurig und gedemütigt. Die Israeliten sind nach Babylon deportiert worden. Sie haben ihre Heimat verloren und den Mittelpunkt ihrer Religion, ihrer Identität. Der Tempel lag in Schutt und Asche und der Zion, der Berg Gottes, Inbegriff des Ortes der Erlösung von allem Schmerz und Leid – den würden sie nicht wiedersehen.

Und obendrein wurden sie gezwungen, als Gefangene ihre Lieder vom Zion anzustimmen, mit fröhlichen Gesichtern sollten sie das tun. Aber sie weigerten sich. Hängten ihre Harfen in die Weiden. Ließen sich nicht auch noch die letzte Würde nehmen. Traten in den Sänger-Streik. Und schworen sich selbst: Sie würden sich selbst nicht so weit erniedrigen. Würden nicht das verraten, was ihnen am heiligsten ist. Eher soll ihnen die Zunge am Gaumen kleben. Erst dann kommt dieser Wunsch nach Rache, diese abscheuliche Vision, diese neurotische Gewaltvision. Sie scheint ein psychisches Ventil zu sein, dessen Öffnung zu überleben hilft.

Das macht sie nicht besser. Aber es gehört eben auch zu uns, dass wir so sind. Es gibt solche Phantasien. Manche Menschen vertreiben sich Tag und Nacht damit, im Internet Hass und Hetze zu verbreiten – und setzen diese Phantasien in Worte um. Und vielleicht auch in Taten? Bis dahin sind es weitere Schritte, aber mit der Phantasie kann alles beginnen. Meistens sind es irgendwie ganz normale Menschen, die das tun. Die sich aber vielleicht in einem bestimmten Punkt verletzt fühlen, gedemütigt. Oder vernachlässigt, abgehängt. Ich bin sicher, jeder von uns hat da mal in einer Form überreagiert, bei der er sich über sich selbst erschrocken hat. Und wo man den, den es getroffen hat, nur um Entschuldigung bitten konnte.

Umso mehr wird deutlich: Wir brauchen diesen pfingstlichen Geist, der uns durchaus auch zur Ordnung ruft. „Bring zurecht, die irrig sein“, das ist schon wichtig. Und ebenso deutlich wird es, dass wir  jeden Tag von Neuem dieses göttlichen Beistands benötigen, damit wir nach vorne blicken können. Und auf das, was dieser unserer einen Welt den Frieden erhält: Die Sprache des anderen zu verstehen. Bitten wir darum: „Heilger Geist, du Tröster mein, hoch vom Himmel uns erschein, mit dem Licht der Gnaden dein.“

Gebet

Gott, wir bitten dich um deinen Geist. Entzünde unsere kalten Herzen, bewege unsere trägen Sinne und erfülle uns mit Kraft, Liebe und Besonnenheit. Wir bitten um Deinen Geist des Friedens, der böse Gedanken und tödliche Pläne des Menschen überwältigt und gegen alles Widerstand leistet, was das Leben zerstören will. Gott, Heiliger Geist, du heilst unsere verworrene Sprache und unsere zerrissenen Herzen. Du vollendest diese Schöpfung und rufst das Vergängliche zu neuem Leben. Komme über uns und verwandle uns. Im Namen Jesu beten wir: Vaterunser…

 

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org