Motettenansprache

  • 22.09.2018
  • Pfarrer Hundertmark

Ansprache zur Motette am 22.09.2018, St. Thomas zu Leipzig um 15 Uhr

Liebe Motettengemeinde,

Aus welchem Geist heraus wollen wir leben? Was mag uns leiten bei unseren Entscheidungen? Worin wollen wir sie verankert wissen?

Solche Fragen schieben wir gerne denen zu, die politische oder gesellschaftliche Verantwortung haben und Entscheidungen treffen. Es sind jedoch Alltagsfragen für jeden Einzelnen von uns. In J. S. Bachs Motette „Jesu, meine Freude“ werden sie musikalisch-theologisch beantwortet. Denn Bach vertont neben dem Choral Verse aus dem Römerbrief des Apostels Paulus. Dort heißt es sinngemäß im 8. Kapitel:

Es ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind, die nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geist. Denn das Gesetz des Geistes, der da lebendig machet in Christo Jesu, hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Nach Römer 8,1 und 2

„Fleisch“ und „Geist“ werden hier gegenübergestellt und stehen dadurch jeweils für eine bestimmte Haltung bzw. ein bestimmtes Verhaftet-Sein. Um es vorneweg zu sagen: Mit „Fleisch“ ist nicht eine moralische Kategorie gemeint, sondern eine menschliche Haltung, die immer wieder gerne zurückfällt in Egoismus, Bequemlichkeit und Gottesferne.

Wer sich wiedergeboren weiß durch die Taufe, ist in Jesus Christus geborgen. Dadurch wird er gerettet und hat unverbrüchlich Anteil am Christusgeschehen selbst. Mir als Menschen gibt dieses Geschehen eine neue Freiheit in Christus. Sie lässt sich einzig und allein an die Liebe binden. Dadurch bin ich frei vom Gesetz der Gottesferne und auch frei vom Gesetz des Todes. Denn durch Tod und Auferstehung Jesu wird dem Menschen ein neuer Lebensraum eröffnet, dessen Ausmaße weit über die menschliche Vorstellungskraft hinaus reichen. Denn dieser österliche Lebensraum greift über den Tod hinaus in die ewige, friedvolle und leidlose und dadurch freundvolle Gemeinschaft mit Gott. Das alles, liebe Motettengemeinde, kann für denjenigen, der Vertrauen gegenüber Gott aufzubringen vermag, wie ein unerschütterliches Fundament stehen, auf dem das eigenen Lebensgebäude aufgebaut wird.

Wo ich freigesprochen bin durch Christus, habe ich auch die Freiheit, Einspruch zu erheben, wenn gegen den Geist der Liebe und Gemeinschaft gehandelt wird. Solch „fleischliches“ Tun, um im Bild des Römerbriefes zu bleiben zeigt sich zuallererst dort, wo der Mensch sich selbst in den Mittelpunkt stellt, wo Machterhalt und Machtansprüche viel stärker sind als die Frage nach dem, was meinem Nächsten nützlich ist. Geistloses Handeln und Tun müssen wir leider zu oft erleben, ob im kleinen überschaubaren Terrain der eigenen Lebensbezüge oder in den großen Verknüpfungen unserer Gesellschaft.

Liebe Motettengemeinde,

alte Texte bekommen gelegentlich durch Wortwitz eine ungeahnte Aktualität und treffen den Nagel auf den Kopf. In der ersten Strophe des Wochenliedes „Was mein Gott will, geschieht allzeit“ heißt es „er tröst die Welt ohn Maßen“. Ob unsere Gesellschaft nach der Entlassung des Verfassungsschutzpräsidenten wirklich getrösteter ist als vorher, wird sich noch zu erweisen haben. Fest steht aber jetzt schon, dass aus dieser Causa nur einer als Sieger hervorgeht – die populistischen und demokratiefeindlichen Kräfte in unserem Land. Denn die politisch Verantwortlichen handelten aus einem Geist heraus, der mehr eigene Interessen wahren will als denn konsequent Verantwortung für begangene Fehler einfordert. Wer für grobe Fehler befördert wird, damit andere ihr Gesicht wahren können, ruft zu Recht Kopfschütteln hervor.

Verantwortungslos ist das Agieren eines Verfassungsschutzpräsidenten, wenn es auch nur den Anschein hat, politisch motiviert oder gefärbt zu sein. Wohin das im Extremfall führen kann, hat unsere deutsche Geschichte zweimal gezeigt. Eine Demokratie braucht aber Menschen, die sich völlig unabhängig für die Wahrung der Verfassung einsetzen und dabei zur Not auch ihr eigenes politisches Überleben aufs Spiel setzen, um sie zu schützen.

Paulus mahnt, sich stets zu vergewissern: Wie handle ich? Wo sehe ich mich verankert? Was gibt mir Halt, wenn ich in wie auch immer geartete Stürme gerate, die alles ins Wanken bringen?

Gott macht mir hier ein Angebot. Gottes Angebot an mich Mensch ist Jesus Christus als der treue Wegbereiter und Wegbegleiter. Da mag die Welt toben und springen – die glaubende Erinnerung, in Christus fest verhaftet zu sein, wird zum Ruhepol.

Aus dieser Ruhe heraus entsteht Kraft, im Geist der Freiheit zu handeln. Dann aber hat der Ungeist, der mich immer nur wieder in alte Verhaltensmuster ziehen will, keine Chance mehr. Amen.

Pfarrer Martin Hundertmark, St. Thomas zu Leipzig