Motettenansprache

  • 08.09.2018
  • Superintendent i. R. Michael Hundertmark

Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da? Habt ihr auch so gut geschlafen? Na, dann ist ja alles klar!

Liebe Motettengemeinde,
kennen Sie noch diesen Schlager, mit dem Jürgen von der Lippe 1987 so richtig durchgestartet ist?
Guten Morgen, liebe Sorgen seid ihr auch schon alle da?
Da mag wohl manch einer von uns mit einstimmen, nicht nur weil die Musik ins Ohr geht. Nein, weil da Sorgen sind, die einen nicht in Ruhe lassen, mit denen er einschläft und am nächsten Morgen wieder aufwacht. Sorgen gehören zu unserem Leben dazu; sie bleiben nicht aus; die kleinen und leider auch die großen. So ist es nicht verwunderlich, dass wir uns nach einem sorgenfreien Leben sehnen. „Wir nehmen Ihnen Ihre Sorgen ab", - werben deshalb z.B. Versicherungen. Und tatsächlich wird uns bei entsprechender Vorsorge der Umgang mit manchen Sorgen leichter gemacht.
Und doch beschäftigen uns immer wieder Sorgen; Sorgen um die Zukunft, die eigene, die der Kinder und Enkelkinder oder anderer nahestehender Menschen, aber auch Sorgen um die Zukunft unseres Landes, um vieles verstärkt nach den Vorfällen in Chemnitz. Wir sorgen uns um das Miteinander in unserem Land und nicht zuletzt auch um die Zukunft der Welt. Wie umgehen mit den großen und den kleinen Sorgen, die uns zu schaffen machen?
Viele Lieder nehmen unsere Sorgen mit den Sorgen auf und wollen helfen, damit umzugehen. Dabei fällt mir z.B. das Rhönlied ein, in dem es am Ende einer jeden Strophe heißt: „Zieh an die Wanderschuh und nimm den Rucksack auf und wirf die Sorgen ab, marschier zur Rhön hinauf." Ja, manch einem hilft das und es geht ihm besser mit seinen Sorgen, wenn er in die Natur hinaus geht und ein Stück wandert. Aber irgendwann kommen sie trotzdem wieder, die Sorgen.
„Sorgt nicht um euer Leben", sagt Jesus in dem Bibelabschnitt, den wir vorhin hörten (Matthäus 6,25-34). Damit will uns Jesus sagen, dass das Leben nicht nur aus Sorgen besteht. „Es gibt mehr als die täglichen Sorgen. Euer himmlischer Vater weiß, was ihr braucht. Darum trachtet zuerst nach dem Reich Gottes. Lasst Gott die Mitte eures Lebens sein, so wird all das, worum ihr euch Sorgen macht, einen anderen Stellenwert bekommen."
Darauf zu vertrauen, möchte uns die heutige Kantate Mut machen. Sie gehört zu Bachs Choralkantatenjahrgang in seinem 2. Leipziger Amtsjahr. Am 17. September 1724 erklang sie zum ersten Mal. Das war innerhalb des Kirchenjahres der 15. Sonntag nach Trinitatis, den wir morgen begehen. Zu Grunde liegt der Choral „Was Gott tut, das ist wohlgetan" von Samuel Rodigast. Bach hat diesen Choral öfter verwendet. In der heutigen Kantate sind die Strophen 1 und 6 wörtlich übernommen. Wichtige Aussagen der anderen Strophen fließen in die Sätze 2 bis 5 ein.
In einem beruhigenden und zuversichtlichen Concertocharakter beginnt der 1. Satz instrumental, bevor der Sopran mit der ersten Liedzeile einsetzt. Der Choral erklingt schwer und bedeutungsvoll. Das Horn unterstützt den cantus firmus. In langen Noten wird das Vertrauen auf Gottes Tun unterstrichen. Die ganze Kantate ist vom Vertrauen auf Gott durchzogen; auch in schweren Zeiten. Dass Gott Schweres wenden kann, wird durch Koloraturen am Ende des Bassrezitatives unterstrichen.
Bei allem Gottvertrauen ist es aber nicht zu leugnen, dass es auch Zeiten des Zweifelns und Verzagens gibt. Das arbeitet im Menschen und schüttelt ihn hin und her. In der Tenorarie hat das Bach verarbeitet. Die konzertierende Flöte, die die Kantate virtuos durchzieht, macht durch 32stel Bewegungen die Erschütterungen deutlich. Wie schwer es fällt, den bitteren Kelch zu trinken, gibt die Chromatik wieder. Doch Gott kann durch Schweres hindurchführen. Dass dies oft verborgen geschieht, kommt am Ende der Tenorarie zum Ausdruck.
Den inneren Kampf hat Bach auch in dem 5. Satz verarbeitet. Sopran und Alt streiten in dem Duett miteinander. Doch dann vereinen sich beide. Und das ist „wohlgetan".
Was Gott tut, das ist wohlgetan - darauf dürfen wir vertrauen; zu allen Zeiten. Bach hat uns das bei allem Schweren, das er erfahren musste, und bei allen Sorgen, die er hatte, vorgelebt. Das gibt er musikalisch weiter.
Den anfangs erwähnten Schlagerworten möchte ich darum entgegensetzen: Ein neuer Morgen, all ihr Sorgen, ihr bestimmt mich heute nicht, denn Gott ist meine Zuversicht: Sein Wort zu mir spricht: alle eure Sorgen werft auf ihn, denn er sorgt für euch. Amen.

Superintendent i. R. Michael Hundertmark