Motettenansprache

  • 07.09.2018
  • Pfarrerin Taddiken

Liebe Gemeinde,
Wovor haben die Deutschen Angst? Gerade ist die von einer großen Deutschen Versicherung finanzierten 27. Langzeitstudie zu diesem Thema erschienen. Das Ergebnis mag nicht verwundern: Politische Probleme dominieren die Ängste der Deutschen. Anders als im letzten Jahr fürchten sie sich nicht mehr am meisten vor Terrorismus wie noch im Jahr 2017. Auch frustbesetzte Themen wie der Zwist in der Bundesregierung, der Streit um Zuwanderung und die Zahlungen an hoch verschuldete EU-Staaten schafften es nicht auf den Spitzenplatz, auch nicht die Angst vor dem Auseinanderbrechen unserer Demokratie. Den Spitzenplatz nimmt die Furcht vor einer gefährlicheren Welt durch Donald Trumps Politik ein, 69% der Befragten haben das angegeben. Nun ist es natürlich immer eine Frage, wonach gefragt wird. Putin oder Erdogan wurden im Gegensatz zu Trump nicht thematisiert.
Aber wozu überhaupt eine Studie zum Thema Angst? Ist so etwas nicht etwas sehr Deutsches? „German Angst", diese Formulierung hat es zu einem eigenen Wikipedia-Eintrag gebracht. Ob es nun so ist, dass wir uns lieber mit unseren Ängsten beschäftigen als andere oder auch nicht - die Frage ist immer noch, wie man das tut. Welchen Raum räumen wir unserer Ängste in unserem Leben ein, wo gelingt es uns, sie zu reflektieren, wo aber verursachen sie bei uns auch die gedankliche Enge, von der das Wort Angst sich ableitet? Kurz gesagt: Beherrschen wir sie - oder sie uns? Was ist stärker als sie, vermag ihr etwas entgegenzusetzen?

Auch wenn es beim ersten Hören nicht so scheinen mag: Es ist mit Thema von Bachs Motette „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf". Wir hören sie gleich. Ihr liegen Worte aus Paulus Brief an die Römer zugrunde. Er unterscheidet hier zwei Zugänge zum Leben: den nach dem Fleisch - oder den nach dem Geist. Hier geht es geht nicht um einen Dualismus von Körper und Geist. Nach dem Fleisch leben ist hier der Versuch, sich allein selbst zu genügen. Aus sich selbst alles schöpfen zu wollen, „Garant seiner selbst zu sein" und zu meinen, sich selbst das vollkommene Glück sichern zu können - oder das Heil, wie es in der Sprache der Religion heißt. Bei diesem Weg kommt das Scheitern nicht vor, das Schuldigwerden oder das Nichtgenügen: Es darf nicht sein, allenfalls kann es sich um einen kleinen behebbaren Zwischenfall auf dem Weg zum Ziel handeln. Dieser Zugang zum Leben, so Paulus, führt in die Enge. Er kann über die Überforderung bis hin zur Selbstverdammung führen(„Was bin ich bloß für ein Versager"). Wo das geschieht, gedeiht die Angst vor dem oder den anderen besonders gut, die mir selbst irgendwie als gefestigter vorkommen und von daher bedrohlich wirken. Das ist Leben im Fleisch.

Es gibt einen anderen Lebenszugang, sagt Paulus. auch der ist, Gottseidank, als Möglichkeit in uns: Leben im Geist. Leben in der Überzeugung: Ich muss mein Ich nicht selbst erschaffen. Was mein Leben trägt, ist unabhängig von mir da und ich bekomme umsonst Anteil daran. Ihr habt Gottes Geist in Euch, sagt Paulus, den Geist, der alles Leben schafft, der lebendig macht. Weil dieser Geist in Euch ist, seid ihr immer schon mehr als die, die ihr meint, werden zu müssen. Ihr seid schon längst befreit von dem Zwang, euch selbst fabrizieren zu müssen. Ihr braucht nicht unaufhörlich hinter eurer eigenen Ganzheit und Souveränität herzujagen. Und schon gar nicht hat die Welt es nötig, an eurem Wesen zu genesen.

Wie gesagt, das hat tröstliche wie auch kritische Komponenten. Tröstlich, weil dieser Zugang zum Leben uns sagt: wir sind nicht nur die Fragmente, als die wir uns selbst oft empfinden: mit unserer Widersprüchlichkeit, mit unseren Halb-und nicht selten auch Dummheiten. Wie es Bach in seiner Motette aufnimmt, müssen wir noch nicht einmal unsere Gebete selbst hinbekommen: „sondern der Geist selbst vertritt uns auf's Beste mit unaussprechlichem Seufzen". Es ist mir also erlaubt, ein bedürftiges Wesen zu sein und es gehört zu meiner Würde.

Aber da ist man auch gleich schon bei der kritischen Komponente. Denn das Vertrauen, schon mit dem Blick dieser Güte angesehen zu sein, bestreitet alle Mächte, die diese Güte ersetzen wollen. Der Hamburger Theologe Fulbert Steffensky hat das einmal so ausgedrückt: „Der Glaube an die Rettung des Lebens im fremden Blick der Güte hat eine beinahe anarchistische Kehrseite. Er bezweifelt alle Mächte, Einrichtungen, Personen, Lehren, die sich als substantiell notwendig ausgeben oder aufspielen. Dieser Glaube an die Geborgenheit des Lebens im Blick führt zu einem fröhlichen Unglauben, zu einer vergnügten Skepsis gegen alles, was sich so gravitätisch und unumstößlich gibt. Der Glaube an die Gnade Gottes hat eine zersetzende Kraft. Er zersetzt alle Mächte und Geister, die diese Güte ersetzen oder ergänzen wollen."
Besser kann man es nicht beschreiben, was „Leben im Geist" meint: der Kraft der Güte Gottes mehr zu vertrauen als an den Halt der Gesetze und Leistungen, mit denen man sich selbst umgibt. Zu dieser Freiheit sind wir befreit. Aber sie wird uns auch zugemutet, denn sie zu leben, will gelernt sein. Und so bedarf es wohl immer wieder auch der Bitte des Chorals, mit dem die Motette schließt: Die Bitte an den Heiligen Geist, uns „fröhlich und getrost" in seinem Dienst „beständig" bleiben zu lassen. Amen.

Gebet
Unser Gott,
wir bitten Dich um den Geist des Lebens, der aufbaut und uns Wege weist zu uns und den anderen: Hilf uns zu Verständigung unter uns, die wir so verschieden sind. Nimm uns unsere Angst vor dem anderen, der uns fremd ist und bedrohlich zu sein scheint. Stärke die Mutlosen und Verzagten. Tritt Du mit Deinem Heiligen Geist an unsere Seite, damit wir neue Anfänge wagen können in dieser Welt. Mit Jesu Worten beten wir: Vaterunser...

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org