Motettenansprache

  • 24.02.2017
  • The Reverend Dr. Robert Moore

Lesung aus Psalm 31
2 HERR, auf dich traue ich, lass mich nimmermehr zuschanden werden, errette mich durch deine Gerechtigkeit! 3 Neige deine Ohren zu mir, hilf mir eilends! Sei mir ein starker Fels und eine Burg, dass du mir helfest! 4 Denn du bist mein Fels und meine Burg, und um deines Namens willen wollest du mich leiten und führen. 5 Du wollest mich aus dem Netze ziehen, das sie mir heimlich stellten; denn du bist meine Stärke. 6 In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, HERR, du treuer Gott. Amen.

Liebe Motettengemeinde,
in diesem Jahr, in dem wir das 500. Jubiläum der Reformation feiern, wollen wir auf den Glauben des Psalmisten hören, ihn spüren. Die Reformation hat viel bewirkt, was bis heute von Bedeutung ist - auch für Menschen, die kirchlich nicht gebunden sind. Dazu gehört die Bedeutung des Wortes - zur Zeit Luthers: die Bedeutung des biblischen Wortes.
Wenn wir den 31. Psalm lesen, erfahren wir, was Glauben ist: Glauben ist eine Beziehung.
HERR, auf dich traue ich. (Psalm 31,2)
Um einigermaßen sorgenfrei zu leben, müssen wir vertrauen können: nicht nur darauf, dass all unsere technischen Geräte funktionieren; auch darauf, dass die Sonne auf- und untergeht, dass es etwas zu essen gibt, dass Eltern, Geschwister, Freunde, Lehrer und Lehrerinnen, Polizisten und Polizistinnen, Politiker und Politikerinnen die Wahrheit sagen und ihren Aufgaben gerecht werden. Wenn wir uns auf all das nicht verlassen können, dann gibt es Probleme. Der Mensch kann sich nicht nur auf sich selbst verlassen. Er ist angewiesen auf die Beziehungen zum Universum, zur Natur, zur Gesellschaft, zum Nächsten. Nur dadurch kann der Mensch sich erkennen und seine Identität finden.
Der Psalmist fügt nun hinzu, dass der Mensch auch auf das Vertrauen zu Gott angewiesen ist. Natürlich ist das ein Problem für Menschen, für die Gott nicht existiert, die keine Gottesbeziehung kennen, für die Gott lediglich eine Projektion ihrer Wünsche und Sehnsüchte ist.
Der Psalmist aber vertraut auf Gott. Warum? Weil er in eine tiefe Krise geraten ist. Von Selbstzweifeln geplagt, fürchtet er, dass er seinen Halt und sein Leben an Bedeutung verliert. Dahinter stehen konkrete Erfahrungen, die auch wir kennen: die Arbeitsstelle zu verlieren, eine Scheidung oder eine schwere Erkrankung. Jetzt leidet der Psalmist unter mangelndem Ansehen und einem angeknacksten Selbstbewusstsein. Wer ist er jetzt?
Ich kann mich gut daran erinnern, als ich vor achtundzwanzig Jahren aus meiner damaligen Arbeitsstelle entlassen wurde. Ich war zu jung, um ein Verstehen von mir selbst zu haben. Darum war der Verlust der Arbeitsstelle für mich wie ein Schock. Eines Tages habe ich in der Zeitung ein Interview mit General Colin Powell gelesen. Er war damals der erste Amerikaner mit afrikanischen Wurzeln, der der oberste General der US-Militärs wurde. Der Journalist hat General Powell gefragt, wie es ist, der mächtigste Soldat in Amerika, vielleicht auch in der Welt zu sein?
Generell Powell antwortete ruhig: „Ich versuche, mein Leben jetzt so zu führen, dass meine Identität nicht mit meiner Stelle verbunden ist. Ich möchte nie wieder mich selbst verlieren, wenn ich meine Stelle verliere oder aufgebe."
Ich weiß, dass Colin Powell Christ ist und aus dem Glauben lebt. Er fand sein Selbst in der Beziehung zwischen ihm und Gott. Vielleicht können wir nun ahnen, was der Psalmist meint, wenn er schreibt,
Neige deine Ohren zu mir, hilf mir eilends! Sei mir ein starker Fels und eine Burg, dass du mir helfest! Denn du bist mein Fels und meine Burg, und um deines Namens willen wollest du mich leiten und führen. (Psalm 31,3-4)
Natürlich fragen viele Menschen: Gibt es einen Gott, mit dem ich mich in Verbindung setzen kann? Dabei müssen wir aufpassen, dass wir Gott nicht nach unseren Vorstellungen formen, nicht instrumentalisieren und doch nur aus uns selbst heraus Antworten finden, die uns gefallen. Nein, Gott vertrauen heißt: sich ganz auf Gott einlassen. Denken wir an Martin Luther und seine Auslegung des ersten Gebotes:
Du sollst nicht andere Götter haben. (1. Mose 20,3)
Luther fragt,
Was heißt, einen Gott haben, oder was ist Gott? Antwort: ein Gott heißt das, dazu man sich versehen soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten; also, dass einen Gott haben nichts anders ist, denn ihm von Herzen trauen und glauben. . . Worauf du nun (sage ich) dein Herz hängst und verlässest, das ist eigentlich dein Gott.
Luther, Martin. Kleiner und großer Katechismus (German Edition) (p. 20). Jazzybee Verlag. Kindle Edition.
Liebe Gemeinde, auch in dieser Zeit, vielleicht eine Zeit des Umbruchs wie im Zeitalter der Reformation, müssen wir fragen: Wer bin ich, wenn alles um mich sich ändert? Bin ich nur Opfer des Wandels? Oder gibt es einen Stützpunkt, durch den ich Halt finde, durch den ich zur Selbsterkenntnis gelange?
Die Antwort kommt als Geschenk aus dem Glauben. Gott schenkt uns eine Identität - als Gnade, als eine Gabe der Freiheit. Der Psalmist verkündigt
In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, HERR, du treuer Gott. (Psalm 31,6)
Deshalb können wir mit Dietrich Bonhoeffer beten, der alles loslassen musste, von den Nazis ermordet wurde, aber sein Gottvertrauen nicht verlor:
Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!
Amen.
(aus: Dietrich Bonhoeffer. Widerstand und Ergebung)

Gebet
Lasst uns beten: Gott, du bist uns Burg und Fels. Dafür danken wir dir und bitten dich. Schenke uns jeden Tag neu die Kraft, dir zu vertrauen, damit wir alle Ängste überwinden können. Lass aus diesem Vertrauen unser Selbstbewusstsein wachsen. Sei du mit allen, die an sich selbst zweifeln und neue Zuversicht suchen. Stärke uns in dem Vertrauen, dass du aus allem, auch aus allem Scheitern, Gutes entstehen lassen kannst und willst.

The Reverend Dr. Robert Moore