Motettenansprache
- 24.08.2018
- Pfarrerin Taddiken
Francis Poulenc, Salve Regina
Heinrich Schütz, Das Deutsche Magnificat
Salve, Regina,
mater misericordiae;
Vita, dulcedo et spes nostra, salve.
Ad te clamamus, exsules filii Hevae.
Ad te suspiramus,
gementes et flentes in hac lacrimarum valle.
Eia ergo, Advocata nostra,
illos tuos misericordes oculos
ad nos converte.
Et Jesum, benedictum fructum ventris tui,
nobis post hoc exsilium ostende.
O clemens, o pia, o dulcis virgo Maria.
Sei gegrüßt, o Königin,
Mutter der Barmherzigkeit,
unser Leben, unsre Wonne
und unsere Hoffnung, sei gegrüßt!
Zu dir rufen wir verbannte Kinder Evas;
zu dir seufzen wir
trauernd und weinend in diesem Tal der Tränen.
Wohlan denn, unsre Fürsprecherin,
deine barmherzigen Augen
wende uns zu
und nach diesem Elend** zeige uns Jesus,
die gebenedeite Frucht deines Leibes.
O gütige, o milde, o süße Jungfrau Maria.
Liebe Gemeinde,
den größten Wutanfall eines Besuchers, den ich je nach einer Motette abbekommen habe, war nicht, weil jemand meinte, ich hätte mich politisch mal wieder zu sehr verausgabt. Nein, der war nach einer Motette, in der auch ein solcher Marienhymnus gesungen wurde wie der, den wir gerade gehört haben. Der Herr war fast so auf Zinne wie der mit seinem Deutschlandhütchen vor der ZDF-Kamera. In einer evangelischen Kirche solch ein katholisches Zeugs - widerlich, das ging wohl gegen seine „religious correctness", wenn man das mal so sagen kann. Welche Sprengkraft liegt denn nun in diesem „Salve Regina"? Maria als Himmelkönigin, als Fürsprecherin für die Verzweifelten Sünder? Nun, schon in der Reformationszeit hat man diese mittelalterlichen Texte protestantisch- theologisch korrekt glattgezogen und bisweilen parodiert. So war dann nicht mehr die Mutter Maria die Angesprochene sondern Gott Vater persönlich, Salve Rex statt Salve Regina. Selbst von Michael Praetorius finden sich solche Vertonungen.
Nun, Texte, die Parodie, Wut oder das Bedürfnis nach Korrektur hervorrufen, sind in der Regel spannend, weil anstößig. Für Evangelische: Wozu brauchen wir eine Maria - wenn wir Jesus haben. Wozu brauchen wir einen Fürsprecher vor Gott - wir können schließlich selbst mit ihm reden. Aber reicht das, um sich wirklich aufzuregen? Ich habe eher einen anderen Verdacht. Maria steht in diesem Hymnus auf einer Stufe mit Gott und zwar so sehr, dass sie wie eine Seite Gottes selbst erscheint. Als Mutter der Barmherzigkeit repräsentiert sie göttliche Eigenschaften, die wir Menschen eher mit dem weiblichen Geschlecht in Verbindung bringen: Milde, Erbarmen, Fürsorge, Güte - im Gegenüber zu den eher männlich gedachten göttlichen Eigenschaften wie Gerechtigkeit, Allmacht, Wahrheit. Wird dieser Text vielleicht deshalb als anstößig empfunden, weil sich das Weibliche zu sehr in das überlieferte Gottesbild drängt?
Nun, das Bedürfnis auch diese Seite göttlicher Kraft und Macht zu betonen und zur Sprache zu bringen, ist in einer Zeit entstanden, in der nicht nur in der Kirche das Männliche dominierte und Frauen eben als die im Vergleich zu den Männern noch verdorbeneren Kinder Evas. Woran sich die Volksfrömmigkeit seinerzeit nicht störte, störte dann später die nüchterne schriftbezogene protestantische Theologie. Maria, ja, aber dann bitte als die Maria, die uns im Magnificat begegnet. Als Magd des Herrn, die ihr Loblied darüber singt, dass sie das Kind des Höchsten austragen darf. Wunderbare Vertonungen dieses biblischen Liedes sind gerade in der Zeit entstanden und eine der schönsten und berühmtesten von Heinrich Schütz hören wir gleich. Dennoch hat man wie so oft in allen Bewegungen der Nüchternheit auch das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, jedenfalls etwas. Indem man die göttliche Mutter der Barmherzigkeit sozusagen wieder vom Himmel auf die Erde gezogen hat, ist es zu einem Ungleichgewicht gekommen, die männlich-konnotierten Vorstellungen in Bezug auf Gott dominieren bis heute und bis in die Sprache hinein. Aber Gott ist kein Mann. Er - man könnte auch sagen: sie - ist auch keine Frau. Er ist das ganz andere, weit über all dem - aber wir können nicht anders als Gott zu denken eben in den Bildern, die wir im Kopf haben. Das 1. Gebot bzw. das sog. Bilderverbot warnt uns davor, diese Bilder absolut zu setzen und sie mit der Wirklichkeit Gottes zu verwechseln, die sich ihnen entzieht.
Sofern uns das bewusst ist: Warum also nicht Gott selbst preisen mit den Worten dieses alten Hymnus, warum nicht singen von der „Mutter der Barmherzigkeit, unser Leben, unsre Wonne und unsere Hoffnung"? Zumal es ja gerade auch die irdische Maria ist, die in ihrem großen Lobpreis des Magnificats von der Barmherzigkeit Gottes zu singen weiß, die verändernde Kraft hat. Marias Lied, dieses „Meine Seele erhebt den Herrn." gehört zu den revolutionärsten Abschnitten der Bibel. Aus dem gesellschaftlichen Abseits rückt diese junge Frau in den Mittelpunkt der Weltgeschichte. Als einfacher Mensch, der sich nach dem sehnt, was uns nicht fremd ist: angesehen zu werden, so, wie wir sind, mit unseren Licht-und Schattenseiten, mit unserem Geltungsbedürfnis wie auch unserer Verletzlichkeit. Dabei geht es nicht, wie am Ende vieler politischer Revolutionen, um die bloße Vertauschung der Machtverhältnisse, so dass die, die vorher oben waren nun unten sind und die unten waren oben. In ihrem Lied hören wir vor allem, was sich in der Seele eines Menschen tut, der wider Erwarten Respekt oder sogar Ansehen erfährt. In ihrem Lied heißt es: Gott „hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen".
Damit beginnt es in der Bibel zwischen Gott und den Menschen immer wieder. Das ist der Grundtenor, der sich von der ersten bis zur letzten Seite durchhält. Gott sieht und spricht die Menschen an, mit denen all die anderen fertig sind und die deshalb am Rande leben. Er gibt ihnen die Würde zurück, die andere ihnen absprechen, er ruft sie heraus aus ihrer Namenlosigkeit um mit ihnen seine Geschichte mit den Menschen voranzubringen. Maria, die junge Frau, Maria, die Mutter der Barmherzigkeit, in welcher Weise auch immer sie uns begegnet - auch die Evangelischen tun gut daran, von ihr zu reden und zu singen. Amen.
Gebet (nach EG 878)
Dir danke ich, mein Gott, für alles, was mir gelungen ist, für den Segen, den du auf meine Arbeit gelegt hast.
Dich bitte ich um Vergebung für alles, was dir an mir nicht gefällt, für meine Schwächen und mein Versagen.
Dir vertraue ich mich an mit allen, die mein Leben teilen und mit mir zusammenarbeiten.
Du wirst meiner Seele Ruhe schenken.
Vaterunser...
Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org