Motettenansprache
- 18.05.2018
- Pfarrer Hundertmark
Motettenansprache am 18.05.2018, St. Thomas zu Leipzig um 18 Uhr
Liebe Motettengemeinde,
auf dem Weg der Wanderung durch die Wüste macht das Gottesvolk sehr differenzierte Erfahrungen. Verfolgungen ausgesetzt, ist die noch junge Existenz in der Freiheit massiv bedroht. Wundersam wirken Rettung und Bewahrung beim Durchzug durch das Schilfmeer. Gerettet, frei und verantwortlich für den Weg zum großen Ziel der Verheißungen Gottes, stellt sich schon bald die Sehnsucht nach der Vergangenheit ein. Denn Probleme tauchten auf. Mühsam war der Alltag in Freiheit. Fad schmeckten Wachteln und das staubtrockene Mannabrot. Lieber einen Fleischtopf in Unfreiheit genießen als karge Kost in Freiheit? So kam es zu ständigem Murren und Meckern über die neue Lebenssituation. Solange die Ketten der Sklaverei durch fette Kost versüßt wurden, war das harte Eisen kaum spürbar. Und in der Rückschau sieht sowieso alles viel besser aus als in der Gegenwart. Vergangenheit wird dann schnell verklärt. Die Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk ist eine Geschichte voller Höhen und Tiefen, voller vergeblicher und glücklicher Liebesmüh, voller Vertrauen und Zweifel.
Ein Tiefpunkt der Beziehung zwischen Gott und Mensch ist immer dann erreicht, wenn mangelndes Vertrauen zu Abgründen führt. Solch ein Abgrund ist erreicht als infrage gestellt wird, ob es denn noch Sinn macht, dem unsichtbaren Gott, sichtbares Vertrauen entgegenzubringen?
Auf dem Weg der Wüstenwanderung kommt das Gottesvolk an den Punkt, an dem diese Frage mit „Nein“ beantwortet wird. Was sollen all die Verheißungen von einem gelobten Land in weiter Ferne? Warum haben wir nicht auch, wie all die anderen, die uns umgeben, einen sichtbaren Gott? Schnell kommt es zum Aufruf: Lasst uns einen sichtbaren Gott machen, um den wir tanzen können. Dafür wurden alle materiellen Kostbarkeiten geopfert. Ein Goldenes Kalb entstand - glänzend, zum Tanz einladend, materiell wertvoll. Gott wollte man ganz nahe sein und entfernte sich mit dem Tanz um das Goldene Kalb doch unendlich weit von ihm.
Der für den heutigen Tag ausgesuchte Bibelvers steht im 2. Buch Mose. Dort heißt es: „Sie haben sich Götter von Gold gemacht.
Vergib ihnen doch ihre Sünde!“ Ex 32, 31
Sünde in diesem Sinne bedeutet Gottesferne. Nun stünde der Vers aus der uralten Geschichte nicht über einem Frühlingstag im Jahr 2018, wenn sich daraus nicht auch für den heutigen Zeitgenossen etwas Fruchtbares ergeben könnte. Für mich stellt sich zum Beispiel die Frage, wo wir uns ganz persönlich dazu hinreißen lassen, goldene Kälber zu schmieden, die mit ihrem Glanz betören, bestätigen und für alle sichtbar weithin strahlen?
Wo wird materielle Bestätigung zum Gott, um den sich alles dreht? Wo bete ich Arbeit, wo bete ich Familie oder Freundschaften so an, dass in Verblendung nichts anderes mehr wahrgenommen wird?
Beispiele wird hier jede und jeder aus dem eigenen Erfahrungsschatz aufzählen können. Ideale, Visionen gehen verloren, weil wir es manchmal nur schwer ertragen, dass dafür ein langer Atem und Geduld notwendig sind.
Der schnelle Erfolg schmeckt viel süßer als das langfristige Ziel, nachhaltig etwas zu verändern. #
So gestalten wir unser Leben in der Alltagswüste, manchmal voll rückwärtsgewandter Sehnsucht nach den Fesseln der Sicherheit und manchmal, frustriert von den Mühen, etwas zu verändern, dann doch lieber nach dem Sichtbaren greifend. Wir schmieden uns gerne Götter. Die Geschichte vom Goldenen Kalb geht weiter, wird tagtäglich aktualisiert. Zeigt sie doch eben jenen Charakterzug von uns Menschen, sich von materiellen Erfolgen schnell blenden zu lassen. Jeder mag selber prüfen, wie groß die eigene Affinität zum Goldenen Kalb ist.
Im Bibelvers für den heutigen Tag wird noch etwas anderes deutlich: Dort, wo wir unseren eigenen Blick verblenden lassen, braucht es das fürbittende Gebet. Mose tritt vor Gott und bittet für das Volk. Er weiß um die Gottesferne der ihm anvertrauten Menschen, bringt sie vor Gott im Vertrauen, dass Gott sich nicht in gleichem Maße abwendet, wie es die Menschen ihm gegenüber taten. Auf uns heute bezogen heißt das:
Wir haben die Einspruch erhebenden Propheten nötiger denn je. Wo wir uns von Werten entfernen, die eine Gemeinschaft gründen, wo Visionen von einer gelingenden Zukunft aufgegeben werden, weil es zu unbequem ist, sie zu gestalten, da sind diejenigen wichtig, die uns die Augen öffnen. Das kann im Kleinen ebenso geschehen, wie im großen gesellschaftlichen Zusammenhang. Mögen wir unsere gelegentliche Gottesferne nicht zum Dauerzustand werden lassen, sondern mögen wir erkennen, dass es sich lohnt, einem Gott zu vertrauen, der das ganze Leben im Blick hat und nicht nur den schönen Moment.
Amen.