Motettenansprache

  • 18.02.2017
  • Vikarin Teresa Tenbergen

Liebe Motettengemeinde,„Was meint ihr?", fragt die Frau, die uns durch das Militärhistorische Museum führt, „Ist es leicht, einen Menschen zu töten?". Ein paar der Jugendlichen kichern. „Klar. Peng. Und weg." Den letzten Mord haben sie kurz zuvor begangen, gar nicht schwer in der digitalen Welt. Die Frau schüttelt den Kopf. „Nein, tatsächlich ist das Töten schwer, wenn es nicht gerade aus dem Affekt heraus geschieht. Gerade terroristische Gruppen bereiten ihre Kämpfer lange vor. Sie schwören sie ein. Und vor allem: Sie machen deutlich, wer der Feind ist. Und warum er bekämpft werden muss. Jeder Krieg funktioniert letztlich so." An diesem Freitag Nachmittag im Militärhistorischen Museum in Dresden erkenne ich die Funktionalität von Feindbildern. „Nichts verbindet so sehr wie ein gemeinsamer Feind", sagt der Volksmund. Und tatsächlich: ein Feindbild formt und sichert die Identität von Gruppen ungemein. Das Prinzip ist alt. Nicht erst die „-Gidas" unserer Tage sind ein Beispiel dafür, wie viel Energie sich gewinnen lässt, wenn der Feind klar ist. Und nicht erst in unseren Tagen ist die Welt doch viel komplexer. Nicht erst in unseren Tagen verschwimmen die Grenzen zwischen schwarz und weiß und Freund und Feind da, wo es um Menschen geht. Die Frau im Museum in Dresden führt uns zu einem Ausstellungsbereich, der „Krieg und Spiel" heißt. Auch hier: Feindbilder schon für die Kleinsten. Durch alle Zeiten. Der Russe. Der Amerikaner. Der Jude. Der Afrikaner. Und heute und hier ist sogar in der Kirche die Rede vom Feind. Der Text der gleich zu hörenden Bach'schen Kantate führt mitten hinein in die Feindbild-Diskussion. Und er ist erschreckend deutlich. „Erhalt uns Herr, bei deinem Wort und steur des Papsts und Türken Mord, die Jesum Christum, deinen Sohn, stürzen wollen von seinem Thron". Das Prinzip ist alt. Und dieser Text auch. Bach hat hier Worten der Reformatoren eine musikalische Stimme verliehen. Und ja, die Bedrohung war real, 1542, als Martin Luther die drei Verse schrieb, die als „Erzfeindelied" Eingang in die Gesangbücher fanden: Ein expandierendes Osmanisches Reich und ein theologischer Konflikt mit politischer Sprengkraft. Es ging um Viel zwischen Rom und Wittenberg und an den Grenzen des Reiches. Um Leib und Leben. Aber es ging auch - und das ist Luthers größter Antrieb - um das Wort Gottes und um die Freiheit des Glaubens. Deshalb werden die Feinde hier so drastisch markiert. Denn für Luther war klar, dass das Wort Gottes nicht daran gehindert werden darf, auf guten Boden zu fallen, wie es im Text des Sonntagsevangeliums anklang. Auch, weil für jeden Menschen dieser letzte Feind bleibt, der Tod, von dem die Kantate im dritten Satz klingt. Den Reformatoren stand es sehr deutlich vor Augen: Wo der Glaube in Freiheit wachsen kann, verliert dieser letzte Feind seinen Schrecken. Dort kann Leben wachsen. Auch deshalb sind Luthers Worte so leidenschaftlich und kämpferisch. Deshalb klangen sie weiter auch nach seinem Tod heute vor 471 Jahren. Zu den drei Strophen von Luther kamen zwei antirömische von seinem Mitstreiter Justus Jonas. Zu Bachs Zeiten wurde das Lied dann im liturgischen Gebrauch mit den beiden reformatorischen Verleih-uns-Frieden-Strophen beschlossen. Da klingt noch ein anderer Ton. Der vom Frieden nämlich. Von einem Frieden, der anders ist als das laute Kampfgetöse. Von einem Frieden, den Jesus den Seinen versprochen hat. Mitten in der Welt. Und ihren Kriegen zum Trotz. Dieser Frieden gestaltet sich im Für-etwas-Sein und nicht im Dagegen. Dieser Frieden wird da spürbar, wo Jesus Raum einnimmt. Bach hat auch das in Töne gebracht. Das Christusbekenntnis in der ersten Strophe umfasst einen Tonraum von drei Oktaven. Eine ganze Klangwelt. In der ist Raum auch für die Zwischentöne. Und für solche vom Frieden, wenn sie auch nur leise zu hören sind. Es sind Töne, wie sie zum Beispiel zusammenklingen im Projekt „Peace counts", „Frieden zählt": Journalisten, Friedenspädagoginnen und Konfliktforscher sammeln die Geschichten von Friedensmachern weltweit. Solche von ganz normalen Menschen, die versuchen, Frieden einzuüben und zu gestalten. In all den Nachrichten von Kriegen scheinen ihre Geschichten wie Tropfen auf einem zu heißen Stein. Und trotzdem. Diese Geschichten machen Hoffnung. Und es sind solche, die den Klang vom Frieden Jesu in sich tragen. Am Ende der Führung durch das Militärhistorische Museum sieht die Frau die Jugendlichen nachdenklich an: „Es ist verlockend, der Stärkere zu sein.", sagt sie. „Aber bevor ihr euch überzeugen lasst, dass ein Mensch euer Feind ist, seht ihm in die Augen. Keine höhere Instanz kann euch je zwingen, einen Kampf mit Gewalt zu gewinnen. Ihr habt eine Verantwortung für euer Tun. Und auch für den Frieden, ein bisschen zumindest." Und ich denke im Stillen: Amen.

Vikarin Teresa Tenbergen (teresa.tenbergen@web.de)