Motettenansprache

  • 28.04.2018
  • Pfarrer Hundertmark

Motettenansprache am 28.04.2018, St. Thomas zu Leipzig um 15 Uhr

Liebe Motettengemeinde,

Wo soll ein Kreuz hängen? In Landtagen, Schulen, Gerichten, an der Halskette oder am liebsten nirgendwo?

Diese Fragen beschäftigen unser Land - angefeuert durch den Beschluss der bayerischen Staatsregierung vom vergangenen Dienstag, überall in den dortigen Behörden in deren Eingangsbereichen Kreuze aufzuhängen. Die Debatte zeigt zu allererst eins: eine riesengroße Verlogenheit. Denn auf der einen Seite dürfte ein Kreuz im Flur des Eingangs eines Gerichtes oder einer Schule wohl kaum so störend sein, dass es unmenschlich wäre, daran vorbeizugehen. Der Blick kann getrost in andere Richtung schweifen, so dass das Kreuz nicht unbedingt schmerzhaft ins Auge fallen muss demjenigen, der damit nichts anzufangen weiß. Andererseits wird es missbraucht als Heimatfolklore. Viel besser wäre es auf den Inhalt zu schauen, darauf, wofür ein Kreuz als christliches Symbol steht.

Kontrovers wird diskutiert, was das Kreuz eigentlich symbolisiert. Ist es ein religiöses Symbol oder steht es für eine bestimmte Kultur? Mit der Begründung des bayerischen Königs, äh Ministerpräsidenten, das Kreuz sei ein rein kulturelles Symbol, quasi ein „Bekenntnis zur Identität und kulturellen Prägung Bayerns“, macht er nicht das Kreuz zum Problem, sondern sich selbst.

Denn wer dem Kreuz die religiöse Symbolik abspricht, zieht den Tod Jesu Christi, seine Auferstehung, sowie all das, was mit der Verkündigung vom Kreuz in Zusammenhang steht, in den Dreck. Als Christ sollte man das tunlichst unterlassen, sondern vielmehr das Kreuz als das beschreiben, was es ist: Ausdruck der christlichen Religion, Symbol der Hoffnung und Zeichen dafür, dass dem Tod und seinen lebensfeindlichen Kräften die Macht genommen ist. Denn:

Das Kreuz steht in erster Linie dafür, dass wir nicht mehr gefangen sind in Gottesferne und Sünde. Es ist Ausdruck der Liebe Gottes zu uns Menschen, die auch dann noch ihre Gültigkeit besitzt, wenn wir an unsere Grenzen kommen.

Das Kreuz ist ein Zeichen für Leiden und Sterben Jesu Christi, damit wir nicht zugrunde gehen an unseren Egoismen.

Das Kreuz durchbricht das schwindelerregende Kreisen des Menschen ausschließlich um sich selbst. Dadurch befreit es uns zum Leben in Liebe und Verantwortung für den Nächsten.

Antrieb, Motor und Motivation menschlicher Aktivitäten ist seit seiner Existenz gewesen, dass er die eigenen Lebensumstände optimiert. Mit möglichst wenig Aufwand ein Höchstmaß an Komfort, Absicherung und Lebensglück zu erreichen, dafür strengen wir uns an, denken, forschen und gebären neue Ideen. Doch was ist, wenn wir in unserem menschlichen Optimierungsstreben unterbrochen werden, weil nicht planbare Ereignisse, Lebenswege durchkreuzen? Dann suchen wir hilflos nach Hilfe, Halt und Orientierung.

Ein Kreuz zeigt uns auch, wie erlösungsbedürftig wir Menschen sind, weil wir das Entscheidende in unserem Leben nicht selber bewerkstelligen können – Vergebung und Neuanfang, sowie ein Schauen mit den Augen der Barmherzigkeit und ein Bewerten eigener Leistungen aus Liebe. In J. S. Bachs Motette „Singet dem Herrn ein neues Lied“, die sich passend zum morgigen Sonntag in das Kirchenjahr einfügt, hörten wir in der Chor-Arie:

„Gott, nimm dich ferner unser an,

denn ohne dich ist nichts getan

mit allen unsern Sachen.

Drum sei du unser Schirm und Licht,

und trüg uns unsre Hoffnung nicht,

so wirst du’s ferner machen.

Wohl dem, der sich nur steif und fest

auf dich und deine Huld verläßt.“

Insbesondere der letzte Satz fasst in summa evangelisch-lutherische Theologie zusammen, wie sie im Wochenlied „Nun freut euch, liebe Christen g´mein“ zum Ausdruck kommt. Erlösung geschieht nie durch eigene Leistungen, sondern stets ist sie ein Geschenk aus Barmherzigkeit und Gnade.

Wo das verinnerlicht wird, verwandelt sich die Sicht auf eigenes Leben und das Leben derjenigen, die mir begegnen. Ich kann dann nämlich mit einem gerüttelt Maß an Gelassenheit auch neu beginnen, weil ich weiß: Gott bewertet mich nicht zuerst nach eigener Leistung, sondern nach dem, was ich bin.

Wenn aber Kreuze aus machtpolitischen Gründen aufgehängt oder vor sich hergetragen werden, dann sind Christen besonders herausgefordert, dort zu widersprechen. Gleiches gilt da, wo aus falsch verstandener Toleranz gefordert wird, das Kreuz zu verstecken, weil sich Menschen anderen Glaubens sonst gestört fühlen könnten. Da das Kreuz ein Symbol der Freiheit des Menschen ist, darf es gar nicht versteckt werden, sondern dient als sichtbares Zeichen jener Freiheit, die sich in Christus gründet und sich im Nächsten begrenzt weiß.

Das Wissen um jene Begrenztheit nimmt mich mit hinein in den Frieden, der von Gott ausgeht. J. S. Bach hat am Schluss der H-Moll Messe alle Theologie und Glaubensgrundsätze auch musikalisch vollendet. „Dona nobis pacem“ ist nicht nur die angemessene Bitte des Gläubigen ob seines eigenen Imperfektseins, sondern gleichsam auch die Verheißung, die uns durch Kreuz, Tod und Auferstehung Jesu Christi als unverbrüchliches Siegel unseres Glaubens zugesprochen wurde.

Wo das in die Öffentlichkeit getragen und mit dem Kreuz in lebendiger Gestaltung verbunden wird, macht es Sinn, Kreuze auch in Behörden zu zeigen. Amen

Martin Hundertmark Pfarrer an St. Thomas zu Leipzig (hundertmark@thomaskirche.org)