Motettenansprache

  • 27.04.2018
  • Pfarrerin Taddiken

Johann Sebastian Bach: Singet dem Herrn ein neues Lied (Motette BWV 225 für zwei vierstimmige Chöre und Basso continuo, EA: ~1726/27)

Singet dem Herrn ein neues Lied, die Gemeine der Heiligen sollen ihn loben. Israel freue sich des, der ihn gemacht hat. Die Kinder Zions sein fröhlich über ihrem Könige, sie sollen loben seinen Namen im Reihen; mit Pauken und mit Harfen sollen sie ihm spielen. Psalm 149,13

CHORAL Wie sich ein Vater erbarmet über seine junge Kinderlein, so tut der Herr uns allen, so wir ihn kindlich fürchten rein. Er kennt das arm Gemächte, Gott weiß, wir sind nur Staub, gleichwie das Gras vom Rechen, ein Blum und fallend Laub. Der Wind nur drüber wehet, so ist es nicht mehr da, also der Mensch vergehet, sein End das ist ihm nah. Johann Gramann

ARIA Gott, nimm dich ferner unser an, denn ohne dich ist nichts getan mit allen unsern Sachen. Drum sei du unser Schirm und Licht, und trüg uns unsre Hoffnung nicht, so wirst du‘s ferner machen. Wohl dem, der sich nur steif und fest auf dich und deine Huld verlässt. Verfasser unbekannt

Lobet den Herrn in seinen Taten, lobet ihn in seiner großen Herrlichkeit! Alles, was Odem hat, lobe den Herrn, Halleluja! Psalm 150,2, 6

Liebe Gemeinde,
„Singet dem Herrn ein neues Lied" - der 149. Psalm, der die Textgrundlage für Johann Sebastian Bachs Motette bildet - er gehört zu den großen Stücken der Bibel, die Juden und Christen in besonderer Weise verbinden. Für beide gehören sie zur Heiligen Schrift. Was aber heißt es, wenn einem etwas „heilig" ist?

Wir haben in dieser Woche ja auf verschiedene Art und Weise wahrnehmen können, wie mit religiösen Symbolen umgegangen wird. Mit dem Kreuz der Christen, mit der Kippa der Juden. Auch wenn sie natürlich in ihrer Bedeutung, in ihrer Gewichtung und von ihrer Herkunft her sehr unterschiedlich sind, haben sie eines gemeinsam gehabt in dieser Woche: Man hat versucht, sie für eigene Zwecke zu reklamieren. Das ist nicht ungefährlich und verdreht bisweilen genau das, wofür diese Symbole stehen:

Das Kreuz für die Erlösung der Menschen - und zwar aller! Es ist das Zeichen, dass Gott in Jesus die Folgen aller Handlungen auf sich nimmt, die uns Menschen das Kreuz bringen, die uns leiden und stöhnen lassen unter dem, was wir einander anzutun in der Lage sind. Im Kreuz erkennen wir den Einspruch Gottes dagegen - und sein Angebot, Hass und Gewalt durch Versöhnung zu überwinden. Es ist kein Zeichen einer besonderen kulturellen Prägung oder Tradition, schon gar nicht eines Landes oder einer bestimmten Politik, dafür kann man es nicht reklamieren ohne es seines Inhalts zu berauben. Es ist kein, wie es jemand in dieser Woche geschrieben hat, „religiöses Hirschgeweih", sondern das Symbol für die Überwindung all dessen, was Menschen den Tod bringt, den physischen wie den seelischen. Das macht es zu einem heiligen Symbol: Es bildet etwas von dem ab, was in der Mitte unseres Glaubens steht und was uns mit Gott und den Menschen verbindet: Gemeinde Jesu Christi ist immer die Gemeinde unter diesem Kreuz.
Und wie war es mit der Kippa? In vielen Städten gab es Demonstrationen für Toleranz und gegen Antisemitismus in all seinen verschiedenen Facetten. Das war und ist wichtig, da ein klares Zeichen zu setzen. Aber mit der Kippa auf dem Kopf, ist das nicht auch eine Aneignung von etwas, was anderen heilig ist? Bei allem Verständnis für die gute Absicht, seine Solidarität auszudrücken - ist es nicht so, nicht nur in Deutschland, dass sich gerade die Nachkommen von Tätern mit den Symbolen der Opfer besonders gern identifizieren, weil es sich leichter auf der Seite der Opfer lebt als auf der der Täter? Sollte man nicht lieber aus Respekt diese Symbole gerade nicht zu einem Demonstrationsobjekt machen? „Bitte lasst uns Juden unsere Kippa", war ein häufig zu vernehmender Kommentar jüdischer Journalisten in diesen Tagen. „Aus Respekt vor dem, was uns heilig ist - tragt sie bitte nicht."

Der Weg in Richtung Übergriffigkeit bis hin zur Aneignung kann ziemlich kurz sein. Auch die heute zu hörende Motette „Singet dem Herrn ein neues Lied" hat da ja ihre eigene Geschichte. In der Nazizeit griff man in ihren überlieferten biblischen Text ein, um „Israel" bzw. „die Kinder Zions" zu tilgen und aus dem jüdischen Psalm ein universales Gotteslob sog. „Gottgläubiger" zu machen. Da freut sich dann alles Welt ihres Schöpfers und ist fröhlich über ihren König. In einigen Motettenprogrammen aus dieser Zeit lässt er sich noch verfolgen, dieser Versuch, aus dieser Motette ein deutsches Lied der neuen Zeit zu machen. Was für eine Perversion dessen, worum es hier geht und was hier besungen wird: Die Heiligkeit des Lebens und der Schöpfung! „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn". „Alles" - darauf läuft es hinaus in dieser Motette und im ganzen Buch der Psalmen, das ist der letzte Satz in diesem alten, aber stets auch neu zu entdeckenden Buch voller heiliger Lieder. Ich denke, wie so vieles hat Bach auch das in seiner ganzen Tiefe verstanden.

Was also kann am Ende dieser Woche zum neuen Lied gehören, zu dem uns der Psalm bzw. Bachs Motette auffordern? Vielleicht besonders, dass wir neu nachzudenken bereit sind, wie wir die Symbole und Gebäude aller Religionen achten und pflegen und wie wir allen Schwierigkeiten und Widerständen zum Trotz, die es ja gibt, dabei beharrlich bleiben. Dass wir verstehen lernen, was dem anderen heilig ist - und vor allem auch uns selbst. Denn wer kann diese Frage denn so ohne weiteres und ohne Umschweife beantworten, was ist mir denn persönlich eigentlich wirklich heilig? Wie ein neues Lied gilt es immer wieder auch das alte zu lernen bzw. zu memorieren: Woher komme ich, worauf fußt mein Leben - und was habe ich davon vielleicht auch noch mal von neuem anzuschauen, bevor ich mich mit dem anderen auseinandersetze? Das können wir bei uns hier und heute Gottseidank in tun, in aller Freiheit, die uns das Grundgesetz dafür einräumt, wohlgemerkt: In Freiheit zu Religion wie auch in der Freiheit von Religion. Auch von daher ließe sich sagen: Lasst bitte den Christen die Kreuze. Lasst bitte den Juden die Kippa. Und lasst den anderen auch, was ihnen heilig ist. Und lasst uns alle gucken, wie wir miteinander vernünftig in Frieden und Respekt leben können. Alles, was Odem hat, lobe den Herrn. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org

 

Gebet
Unser Gott, Schöpfer und Erhalter allen Lebens. Wir danken Dir für die Werke Deiner Schöpfung, wir danken dir für den Atem des Lebens, der in allem ist. Schenke uns Willen und Weisheit, dafür einzutreten. Für Recht und Gerechtigkeit, für Frieden und Versöhnung. Erfülle uns mit Deinem Geist, der unser Leben von Tag zu Tag erneuert und erhält. Für alle Menschen, mit denen wir verbunden sind und für uns selbst bitten wir Dich mit den Worten Jesu... Vaterunser...
Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org