Motettenansprache
- 20.04.2018
- Pfarrerin Taddiken
Liebe Gemeinde,
etliche ECHO-Preisträger haben ihre Auszeichnungen in dieser Woche zurückgegeben. Aus Protest gegen die Auszeichnung des Rapper-Duos Farid-Bang und Kollegah, zu deren Repertoire antisemitische und andere menschenverachtende Texte gehören. Der Sänger Marius- Müller Westernhagen schrieb am Dienstag auf seiner Facebookseite: „Eine Industrie, die ohne Bedenken Menschen mit sexistischen oder rassistischen Positionen unter Vertrag nimmt und diese dann auch noch auszeichnet, ist skrupellos und korrupt." Ich frage mich am Ende dieser Woche mit vielen Reaktionen wie diesen: Wäre es auch dazu gekommen, wenn es diese Form von antisemitischer Grenzüberschreitung nicht gegeben hätte? Es ist ja kein Geheimnis, in einem Teil der Rapperszene gilt es als Kunst, sich gegenseitig in den Beleidigungen so zu überbieten, bis einer nicht mehr kann - oder nicht mehr will. Wenn man sich dazu überwindet, sich diese Texte mal genauer anzuschauen, dann geht es im Grunde nur um eins: den anderen zu vernichten. Und scheinbar ist das ein Ton, an den wir uns schleichend aber sicher immer mehr gewöhnen. Einige der Jugendliche, mit denen ich über diese Echo-Geschichte gesprochen habe, konnten darin keine Menschenverachtung erkennen. Ist halt normal bzw. nicht so schlimm. Ja, normal? Ebenfalls in dieser Woche hat mir jemand erzählt, wie sich in den letzten Jahren der Umgang von Ehepaaren verändert hat, die sich trennen bzw. ihre Dinge vor Gericht und anwaltlicher Hilfe zu regeln versuchen. Dass es da in sehr vielen Fällen nicht mehr darum geht, irgendwie eine vernünftige Lösung zu finden. Sondern das Ziel ebenfalls ist, den anderen mehr oder weniger zu vernichten. Ist das normal, ist das übertrieben?
Es fällt schon auf und ich zumindest wünsche mir da mehr an Wortmeldungen aus Politik, Kultur und auch der Kirche, zu der ich selbst gehöre. Ein klares verbales Stop-Signal zu menschenverachtendem Umgang, zu dem, was Menschenrechte infrage stellt, immerhin 40 sächsische Bürgermeister haben das in dieser Woche getan in bezug auf das heute am 20. April stattfindende Neonazi-Festival in Ostritz. Aber nicht nur dieses Stop-Signal gehört ja dazu, sondern auch die Frage, was bringt Menschen dazu, sich stark oder sicher zu fühlen durch die Herabwürdigung anderer? Und: Inwiefern bin ich selbst gefährdet das zu tun - gut ist da immer erst mal auch ein Blick auf bzw. ins eigene Innere. Auf die eigenen Ängste, etwas verlieren zu können. Auf die Befürchtung, ein anderer könnte stärker, besser, schöner was auch immer sein als ich selbst, Ängste, die Menschen an den Rande des Abgrunds führen und sie jedes Selbstbewusstseins berauben können. Was machen unsere Ängste, vor allem die verdrängten und unausgesprochenen, mit uns? Was können wir ihnen entgegensetzen? Letztlich ist das eine Frage, die die Menschheit sich immer wieder gestellt hat und immer wieder stellen wird. Wie finde ich mit all dem, was mich umtreibt, Halt? Wo kann ich Schutz und Geborgenheit finden? Worauf kann ich mich verlassen, was trägt mich, was erfüllt mich, was gibt mir Halt und seelische und geistliche Nahrung?
Es ist nicht von ungefähr, dass viele Menschen, auch die, die der Kirche gar nicht so nahe stehen, eine Antwort darauf finden im 23. Psalm, der über dieser Woche steht. „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln." Was für ein Vertrauen gegen die Angst, zu kurz oder schlecht wegzukommen. „Mir wird nichts mangeln - denn der Herr ist mein Hirte". Da wird sofort deutlich: Hier geht es nicht um Materielles, jedenfalls nicht ausschließlich. Es geht um das, was meine Seele nährt - und meinen Geist. Wenn das unklar ist, sind auch Seele und Geist in Aufruhr, unruhig, unberechenbar. Der 23. Psalm erdet diesen inneren Aufruhr und vielleicht sogar die innere, geheime Lust an der Verachtung eines anderen, vor der niemand gefeit ist.
Die Vertonung dieses Psalms durch Heinrich Schütz und im gleich folgenden Wochenlied „Der Herr ist mein getreuer Hirt" sind dafür ein wunderbares Zeugnis. Gerade die im wahrsten Sinne des Wortes Ver-dichtung des Chorals vermittelt: Frei sein, frei leben und leben lassen - das können wir, wenn wir einigermaßen sicher wissen, was uns nährt und stärkt an Leib, Seele und Geist. Da ist die Rede vom „wohlschmeckend Gras seines heilsamen Wortes" und der „rechten Straße seiner Gebote". Wort und Weisung werden betont: die Freiheit des Menschen erwächst danach aus der eigenen Bindung an diese beiden Dinge: Wort und Gebot Gottes. Das ist eine andere Definition von Freiheit als heute weithin üblich: So wie alles grenzenlos sein soll, wird auch Freiheit definiert. Für Juden und Christen aber ist das Selbstverständnis, Geschöpf zu sein, von grundlegender Bedeutung; gelebte Freiheit braucht auch die Bereitschaft zur Bindung und Selbstbegrenzung.
Im Bild von Hirt und Herde wird das eindrücklich dargestellt. Es ist eins der Urbilder, die sich über Zeiten und Kulturen hinweg erschließen. So geht es außer um die Orientierung an Wort und Gebot auch an der Zusage, dass der gute Hirte auch in schweren Zeiten da ist und da bleibt. Er setzt sich mit dem eigenen Leben für die Schafe ein, er behält sie im Blick, geht ihnen nach. Auch durch das finstre Tal, das man nur irgendwie durchschreiten kann, wo nichts anderes mehr geht und funktioniert als zu sagen: Weitermachen, weitergehen. Bei allem Vertrauen, bei allem Glauben, gibt es Momente, wo nichts anderes mehr geht weil die Verzweiflung größer ist als alles.
„In dieser Welt Tücke" kann man den Hirten dennoch hinter sich wissen. Das wird in diesem Psalm nicht verschwiegen. Auch die Feinde sind Realität, und die Momente, wo wir ihnen ins Angesicht schauen müssen, auch. Vielleicht hat der 23. Psalm Menschen gerade deshalb so viel Trost vermitteln können und Befreiung aus trüber Zeit, weil genau das hier vorkommt: die Bedrohung des Lebens einerseits, aber auch der gedeckte Tisch im Angesicht dessen, was sich als menschen- oder lebensfeindlich generiert. Auch dort kann man das Haupt erheben und erfahren was das heißen mag, was hier gesungen wird: „Macht mein Herz unverzagt und frisch". Und diese Unverzagtheit, diese Frische brauchen wir unter uns. Neid, Missgunst, Verachtung - sie können und werden nicht das letzte Wort haben über uns. Sondern Gutes und viel Barmherzigkeit. Amen.
Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org